Null Bock auf Schule

Die Lehrer in Bulgarien verdienen so wenig wie in keinem anderen Land in Europa. Sie streiken seit eineinhalb Monaten für höhere Gehälter. von jutta sommerbauer

Die bulgarischen Lehrer streiken seit sechs Wochen. Sie begannen Mitte September, als das of­fizielle Schuljahr anfing. »Würdevolle Arbeit – doppeltes Gehalt«, Losungen wie diese haben die Lehrer in den vergangenen Wochen auf ihre Plakate geschrieben. Allerdings hat die Zahl der Strei­kenden inzwischen abgenommen. Die Gewerkschaften sprachen am Dienstag voriger Woche von 67 Prozent streikender Lehrer. Dem Bildungs­ministerium zufolge befinden sich noch 34 Prozent der Schulen im Ausstand.

Ein Großteil der Demonstranten sind Frauen. Der Lehrberuf ist schlecht bezahlt und wird über­wiegend von Frauen ausgeübt. Tausende Lehrer und Lehrerinnen haben in den vergangenen Monaten den Schuldienst verlassen – vor allem die Männer. Sie verdienen etwa als Bauarbeiter doppelt so viel. Hinzu kommt, dass nur noch drei Prozent der Lehrer jünger sind als 30 Jahre. Daher waren es vor allem unauffällig gekleidete Frauen im mittleren Alter, die durch die Straßen zogen, Sprechchöre riefen, Lärm machten, den Ver­kehr lahm legten und Vertreter der Drei-Parteien-Regierung aus der Sozialistischen Partei, der Zarenpartei und der Partei der türkischen Minder­heit auspfiffen.

Ende Oktober hatten Gewerkschafter nach langen Verhandlungen mit dem Bildungsministerium endlich einen Kompromiss erzielt. Auf dem Papier wurde den Forderungen der Lehrer beinahe entsprochen. Das Gehalt sollte bis zum Juli 2008 auf durchschnittlich 650 Leva (320 Euro) angehoben werden. Doch lehnten 55 Prozent der streikenden Lehrer das Angebot ab. Denn sie fordern eine stärkere Anhebung der Löhne. Außer­dem sollte der in Aussicht gestellte Lohn nur für das pädagogische Personal gelten und nicht – wie von den Lehrern gefordert – auch für das Hilfs­personal. In manchen Schulen wurde deshalb die Arbeit wieder aufgenommen, in anderen wiederum weiter gestreikt.

Bulgarische Lehrer verdienen nicht einmal halb so viel wie ihre Kollegen in Rumänien und Litauen, die auch unter chronischer Unterbezahlung leiden. Lehrer in Bulgarien verdienen durch­schnitt­lich etwa 170 Euro monatlich. Das ist zu wenig zum Leben, sagen die Lehrer. Seit dem EU-Beitritt sind die Preise deutlich gestiegen. Im Vergleich zum Vorjahresmonat lagen sie im September 2007 etwa um 13 Prozent höher. Ein Liter Milch kostet mittlerweile etwa 70 Cent, ein Abendessen in einem Lokal sechs Euro, einen günstigen Pullover kann man für etwa zehn Euro erstehen. Eine Familie kann man von 170 Euro jedenfalls nicht ernähren. Die meisten Lehrer müssen sich mit Zweit- oder Drittjobs über Wasser halten. Sie arbeiten nebenbei als Vertreter für Kosmetikfirmen, geben private Sprachkurse oder Nachhilfestunden.

Nach den geplatzten Verhandlungen ist nun er­neut das Ministerium aufgefordert, das ein neues Angebot machen soll. Lange Zeit war in den Gesprächen kein Kompromiss zu erreichen. Zu unter­schiedlich waren die Vorstellungen. Die Regierung wollte die Löhne nur geringfügig und langsam anheben. Das sei zu wenig, klagten die Lehrer. Die Regierung zeigte sich unnachgiebig. Ministerpräsident Sergej Stanishev von der Bulga­rischen Sozialistischen Partei warnte vor einer »Hyperinflation«. Das Land könne sich zusätz­liche Budgetausgaben nicht leisten. Das volkswirt­schaftliche Risiko sei zu groß, erklärte er. Doch gerade die BSP war bei den Parlamentswahlen mit dem Versprechen angetreten, die Bildung zu einer Priorität im Regierungsprogramm zu machen.

Bulgariens Bildungssystem befindet sich seit lan­gem in der Krise. Viele Schulen sind schlecht aus­gestattet, und wegen der schlechten Bezahlung fehlt es den Lehrern an Motivation. Die Schul­leiter sind ebenso überaltert wie die Lehrer, ihnen fehlt es oftmals an modernen pädagogischen Kennt­nissen. In den vergangnen zwei Jahren sind keine jungen Lehrer mehr in den Schuldienst eingetreten. Fremdsprachenunterricht fin­det bezeichnenderweise vor allem in russischer Sprache statt, obwohl etwa das Erlernen der eng­lischen Sprache sowohl von den Schülern weitaus gewünschter als auch von den beruflichen Erfordernissen angebrachter ist. Die Medien berichten zudem immer wieder von Lehrern, die selbst lieber die Schule schwänzen.

Kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen innerhalb der akademischen Ausbildung der Lehrberuf bei den Jugendlichen so unbeliebt ist wie kein anderer Beruf: Wer kann, schlägt eine andere Laufbahn ein. Hinzu kommt, dass dem Bildungsministerium zufolge in Zukunft weniger Lehrer gebraucht werden. Die Geburtenrate in Bulgarien sinkt seit Jahren, daher will man Personal einsparen. Auch gegen diese Maßnahme wehren sich die Lehrer. In dem ganzen Streit geht es daher auch um die Frage, was zuerst kom­men soll: Reformen im Bildungssystem oder Lohnerhöhungen.

Dass das Zugeständnis der Regierung erst nach einigen Wochen kam, bringen Beobachter mit dem Wahlkampf für die Lokalwahlen in Verbindung. Denn die inzwischen abgelehnte Einigung von Gewerkschaften und Bildungsministerium kam just zwei Tage vor dem Wahlgang am 27. Oktober zustande. Gedankt haben es die Wähler der sozialistischen Regierung jedenfalls auch im letzten Moment nicht. Die Partei landete landesweit nur auf dem zweiten Platz. Boiko Borissov und seine neue rechtsliberale Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung und Zukunft) haben die Wahl gewonnen. Borissov wurde erneut zum Bürgermeister der Hauptstadt Sofia ge­wählt, auch in der zweitgrößten Stadt des Landes, Plovdiv, hat ein Mitglied der GERB gewonnen. Insgesamt konnte sich die Partei landesweit konsolidieren. Die Wahlen gelten auch als Test für die Parlamentswahlen in zwei Jahren. Dem Ergebnis der Lokalwahlen zufolge würde der nächste Minis­terpräsident Borissov heißen und nicht Stanishev. Borissov hat bereits wiederholt sein Interesse daran bekundet, sich für den Posten zur Wahl zu stellen.

Im Hinblick auf den Lehrerstreik behauptete er kürzlich, die Regierung hielte den Streik im Zentrum Sofias am Laufen, damit der Verkehr in der Hauptstadt behindert werde und die Sofioter sich ärgern müssten. Die Behebung des Verkehrs­chaos und des Müllproblems in der Stadt sind die beiden Themen, mit denen Borissov bei den Wahlen angetreten ist. Diese Probleme will er mit »starker Hand« lösen.