Arm oder reich – alle gleich!

Das Gießener Verwaltungsgericht hat in einem Urteil die Verfassungsmäßigkeit der Studiengebühren in Hessen angezweifelt. Die Begründung könnte von den Gegnern der Gebühren stammen. kommentar von jesko bender

Es ist der dritte Rückschlag, den die hessischen Befürworter von Studiengebühren in kurzer Zeit hinnehmen müssen. Zwar haben die Studierenden des Landes ohne großes Murren zum Beginn des Wintersemesters insgesamt rund 125 Millionen Euro an die Universitäten des Landes überwiesen. Doch die Entscheidung des Hessischen Staatsgerichtshofs über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Einführung von Studiengebühren steht noch aus. Sie soll voraussichtlich im Frühjahr 2008 fallen, also erst nach den Land­tagswahlen. Dass das Gesetz dieser Prüfung stand­halten wird, ist keineswegs sicher.

Seit 30. Oktober haben die Gegner der in den Medien häufig mit dem Euphemismus »Campus­maut« bezeichneten Gebühren einen weiteren und guten Grund zu hoffen, dass das Gesetz im Frühjahr für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt wird. An diesem Tag fällte das Gießener Verwaltungsgericht ein Urteil, das ­einen schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Vorbehalt gegen die Studiengebühren enthält. Ein Gießener Medizinstudent hatte vor dem Win­tersemester Widerspruch gegen den Gebührenbescheid eingelegt und zugleich aufschiebende Wir­kung beantragt. Die Universität lehnte dies ab, wo­raufhin der Student eine Klage einreichte. Ihm gaben die Richter vorige Woche Recht und urteilten, er dürfe bis zur endgültigen Entscheidung über die Einführung der Gebühren nicht vom Lehrbetrieb ausgeschlossen werden.

Hintergrund der Klage ist ein Artikel in der hes­sischen Verfassung, der festlegt, dass der Unterricht in allen öffentlichen Grund-, Mittel-, höheren und Hochschulen unentgeltlich zu sein hat. »Das Gesetz (…) kann anordnen, dass ein angemessenes Schulgeld zu zahlen ist, wenn die wirtschaftliche Lage des Schülers, seiner Eltern oder der sonst Unterhaltspflichtigen es gestattet.«

Die Gießener Richter argumentierten ähnlich wie die meisten Gebührengegner. Sie wiesen darauf hin, dass das Studienbeitragsgesetz, anders als die Verfassung, keinen Unterschied zwischen reicheren und ärmeren Studierenden mache. »Die Gebühren muss jeder Student zahlen, und der Beitrag wird sofort fällig«, sagte die Gerichtssprecherin Sabine Dörr. An dieser Lage änderten auch die Darlehen nichts, die das Land Hessen den weniger flüssigen Studierenden anbietet. Ein solches Darlehen könne »keine wirtschaft­liche Leistungsfähigkeit« herstellen, urteilte das Gericht. Dass manche Studierende ohne Bedenken ihr Studium beginnen können, die anderen sich stark verschulden müssen, hatten die Be­fürworter der Gebühren hartnäckig und, wie sich zeigt, womöglich sogar leichtfertig ignoriert.

Dem Urteil waren in den vergangenen Monaten mehrere Initiativen vorausgegangen, mit denen die Verfassungsmäßigkeit der Studiengebühren angezweifelt wird. So sind bereits Klagen gegen das Gesetz beim Hessischen Staatsgerichtshof anhängig, sowohl von den Fraktionen der SPD und der Grünen als auch von den Gewerkschaften und Asten. Die zweite, die »Verfassungsklage von unten«, unterstützen 80 000 hessische Bürger. Weiterhin erklärte Ende August die Landesanwältin am Hessischen Staatsgerichtshof, Ute Sacksofsky, dass sie das Gesetz für verfassungswidrig halte. Über die Klage von SPD und Grünen hinaus, die sie für »zulässig und begründet« erklärte, stellte sie einen eigenen Antrag, »dieses Gesetz für nichtig zu erklären«.

Möglicherweise sah sich der hessische Wirtschafts­minister Udo Corts (CDU) wegen all der Klagen dazu genötigt, in der vergangenen Woche eine Imagekampagne zur Verwendung der Studiengebühren zu starten. Er veröffentlichte ein bisher einmaliges »Weißbuch«, in dem, wie er sagt, »minutiös« nachgewiesen werde, »dass die Beiträge zweckgebunden verwendet werden«. Dabei ignorierte er die grundlegenden Bedenken gegen Studiengebühren, an der auch eine noch so geistreiche Verteilung des Geldes überhaupt nichts ändert.