Boykott boykottiert

Der Versuch, die Studiengebühren an den Universitäten und Hochschulen zu boykot­tieren, ist offensichtlich gescheitert. von steffen falk

Eines war auffällig: Jeder Aufruf, sich am Boykott der Studiengebühren zu beteiligen, enthielt einen längeren Absatz, in dem erklärt wurde, wie unkompliziert das Verfahren sei. Zunächst legten die studentischen Vollversammlungen eine bestimmte Prozentzahl an Boykottierern fest, die erreicht werden sollte, um dem Boykott zum Erfolg zu verhelfen. Statt den Betrag von meist 500 Euro an die Hochschule zu bezahlen, wurde das Geld auf ein anwaltlich betreutes Treuhandkonto überwiesen. Für den Fall, dass das fest­gelegte Quorum nicht erreicht würde, sollten die zuständigen Studierendenvertretungen die Einzahlungen direkt und fristgerecht auf das Konto der Hochschule überweisen. So konnten nicht nur die Kommilitonen sicher sein, beim Scheitern des Boykotts von der Zwangsexmatrikula­tion verschont zu bleiben, auch die Hochschulverwaltungen konnten jederzeit davon ausgehen, die studentischen Gelder zu erhalten.

Die Verwalter der Treuhandkonten haben sich an ihr Zahlungsversprechen halten müssen, denn an keiner größeren Universität beteiligten sich die Angesprochenen auch nur annähernd in dem erhofften Umfang.

So diskutieren die Gegner der Studiengebühren derzeit über die Ursachen des einstweiligen Schei­terns. Grundsätzlich geht man davon aus, dass die Idee gut war und aus dem Boykottversuch ein Boykott hätte werden können. Häufig stehen die jeweiligen Allgemeinen Studierendenausschüsse in der Kritik: Beim nächsten Mal sollten vor allem die Studierenden besser informiert werden. Auch wird oft bemängelt, dass die Organisierung zu spät begonnen habe und die Frist zur Einzahlung somit zu kurz gewesen sei. Den Asten wird von einigen Kritikern zudem vorgeworfen, den Stichtag für die Überweisung des Geldes von den Treuhandkonten an die Hochschulen zu früh angesetzt zu haben. Die Asten wiederum verweisen bei der Klärung der Schuldfrage zumeist auf die unkooperativen Hochschul­leitungen. So wollte etwa der Asta der FH Frankfurt vor Gericht erwirken, dass die Hochschul­leitung die Adressen der Studierenden herausgibt. Das Ergebnis war der richterliche Beschluss, dass Aufruf und Teilnahme am Boykott illegal seien. Der Versuch war damit schon beendet, noch bevor er begonnen hatte, denn die Angst vor der Exmatrikulation war zu groß.

Was keinem so recht auffallen mag, ist die absurde Exklusivität des Treuhandkontenmodells. Es unterstellt, dass die Boykottierer allesamt in der Lage sind, die 500 Euro zu bezahlen, und steht damit im Widerspruch zu einem der gängigsten Argumente der Gebührengegner. An der Univer­sität Münster begegnete der Allgemeine Studierendenausschuss diesem Problem mit einer kreativen Lösung, zumindest für die eigenen Zwecke. Den boykottwilligen Studierenden, denen das nötige Geld fehlte, wurde angeboten, eine Erklärung zu unterschreiben, mit der sie sich verpflich­teten, die Studiengebühren nicht zu bezahlen, so­lange der Boykott lief. Beim Quorum wurden sie dann automatisch mitgezählt. Trotzdem stellte sich der erwünschte Erfolg nicht ein.

Entscheidend für die mangelhafte Beteiligung am Boykott waren aber weniger die Zahlungsunfähigkeit der Studierenden oder ihre mit der Exmatrikulation verbundenen Existenzängste. Das größere Problem lag darin, dass die schweigende Mehrheit der Studierenden in Deutschland kein Problem mit den Gebühren hat. Sie kann ihnen etwas Positives abgewinnen und zahlt bereitwillig. Ein Diskutant drückte sein Interesse im Internetforum der Frankfurter Allgemeinen Zeitung so aus: »Jetzt gilt es dafür zu sorgen, dass das Geld in die richtigen Kanäle fließt und nicht versickert.«

Angesichts dessen und der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse gingen die Verweigerer der Gebühren fälschlicherweise davon aus, über ausreichend Druckmittel zu verfügen, um die Gegenseite zum Einlenken zu bewegen. Man unterstellte, ohne die Boykottierer werde nichts laufen an den Universitäten, und das könne kein Rektor und kein Minister verantworten. Die realen Abhängigkeitsverhältnisse wurden so umgedichtet, als könnte die künftige Elite den Machern von heute vorschreiben, zu welchem Preis sie sich ausbilden lasse.

In den Aufrufen ist immer wieder von dem angeblichen Schaden zu lesen, den sich der Staat mit den Studiengebühren selbst zufüge, indem er den akademischen Nachwuchs ökonomisch unter Druck setze. Die Verfasser drohten nicht nur unter­tänig damit, dass aus den gegängelten Hochschülern aufmüpfige Staatsbürger werden könnten. Sie blendeten auch aus, dass sie es sind, die auf einen besser bezahlten Beruf aus und deswegen auf ein effektives Studium angewiesen sind. Aus der Masse der konkurrierenden Auszubildenden kann sich die Politik die Leistungswilligen aussuchen.

Blieben die studentischen Beiträge zum Hochschulhaushalt aus, stellte dies kein größeres Desaster dar. Die zusätzlichen Einnahmen sind den Instituten zwar sehr willkommen und zumeist schon vor der Überweisung der Studierenden verplant. Im Gesamtetat einer Hochschule nimmt sich die Summe aber unbedeutend aus und dürfte sie kaum vor existentielle Probleme stellen.

Selbst bei erfüllten Quoren, die in der Regel bei 20 Prozent lagen, und tatsächlichen Boykotten hätten die Landesregierungen wohl kaum eingelenkt und angesichts sinkender Immatrikula­tions­zahlen die Studiengebühren wieder abgeschafft. »Grundgedanke ist, dass bei einer ausreichenden Anzahl eine Exmatrikulation aller Boykottierenden ›realpolitisch‹ kaum machbar ist.« So formulierte eine Sonderzeitung des Asta der Universität in Frankfurt am Main trotzig diesen Irrtum. Tatsächlich sind die zuständigen Politiker dazu bereit, für den Umbau des Hochschulsektors einzelne Hochschulen quasi aufzugeben, wie das Beispiel der Hamburger Hochschule für bildende Künste zeigt. Beinahe die Hälfte der Studierenden dort nahm am Boykott teil und muss mit der Exmatrikulation rechnen.

Ein Sommersemester lang versuchten Studierende in mehreren Bundesländern, eine Zahlungs­verweigerung an ihren Hochschulen zu organisieren und so das erhöhte Eintrittsgeld zu höherer Bildung zu verhindern. Was der Höhepunkt einer neuen Studentenbewegung sein sollte, erwies sich aber als ihr vorläufiges Ende.