Die Zone kommt

Von wegen freie Fahrt für freie Bürger – um die Feinstaubbelastung zu reduzieren, richten viele deutsche Städte im kommenden Jahr Umweltzonen ein. Autos, die zu viele Schadstoffe in die Luft pusten, dürfen dann nicht mehr in die Zentren fahren. Das bedeutet das Aus für unzählige WG-Busse und Lauti-Einsätze mit Schrottmühlen vom Bauwagenplatz – denn die Alternativen heißen: für viel Geld nachrüsten oder stilllegen. von Jana Brenner

Hilfe! Feinstaub! Vor zwei Jahren grassierte die Angst vor kleinsten Partikeln, die krank machen und insbesondere an viel befahrenen Hauptstraßen durch die Luft wirbeln. In den Städten wurden riesige graue Messcontainer aufgestellt, die Grenzwerte wurden ständig überschritten und die Autofahrer beschimpft. Dann wurde es ziemlich ruhig um den Staub. Mittlerweile gilt CO2 als Auspuff-Bösewicht Nummer eins. Doch vergessen ist Feinstaub noch lange nicht.

Die Zentren vieler Städte werden demnächst zu Umweltzonen erklärt, um dort die Feinstaubbelastung zu senken. Den Anfang machen im Januar unter anderem Berlin, Köln und Hannover. In der Hauptstadt wird das gesamte Areal innerhalb des S-Bahn-Rings zur Öko-Zone. Autos, die zu viele Partikel ausstoßen, müssen draußen bleiben. München zieht am 1. Oktober nach und macht das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings dicht. Der Streber in Sachen Fahrverbot ist Baden-Württemberg: Dort sollen dem Umweltbundesamt zufolge 15 Zonen entstehen. Und das Ruhrgebiet, in dem es ohnehin nur gefühlte Stadtgren­zen gibt, soll gleich ganz zur Umweltzone werden, dann immerhin 1 400 Quadratkilometer groß. Umweltschützer und Kommunen sind mit dieser Lösung zufrieden, Kritik kommt vor allem von der Auto- und Wohnmobillobby, aber auch von den lokalen Wirtschaftsvertretern der Industrie- und Handelskammern. Die ersten sehen die Maxime »Freie Fahrt für freie Bürger« gefährdet, die zweiten fürchten Pleiten von kleinen Unternehmen und Einbrüche beim Tourismus, da Reisenden keine Ausnahmegenehmigung erteilt wird.

Seit 2002 gelten auch in Deutschland die EU-Richtlinien zur Luftqualität und damit strenge Schadstoffgrenzen für den feinen Staub. Werden sie an mehr als 35 Tagen im Jahr überschritten, drohen Verfahren der EU oder Schadensersatzklagen von Bürgern. An der Frankfurter Allee in Friedrichshain wurde im Jahr 2006 an 70 Tagen die Grenze überschritten, in Neukölln an der Silbersteinstraße waren es 66 Tage. Feinstaub­könig wurde im vergangenen Jahr Stuttgart: Am Neckar­tor wurden an ganzen 175 Tagen Überschreitungen gemessen. Wo die Luft zu dreckig ist, müssen die Behörden in Luftreinhalte- und Aktionsplänen klarstellen, wie sie die Grenzen künftig einhalten wollen. Alle betroffenen Städte planen so genannte emissionsorientierte Fahrverbote. Weitere Schritte zu sauberer Luft sollen die Förderung von Bus und Bahn, Tempolimits und LKW-Fahrverbote sein.

Wer Zoni wird, entscheidet eine Plakette an der Windschutzscheibe. Um die bunten Plastikaufkleber bundesweit einheitlich zuordnen zu können, trat im März die Kennzeichnungsverordnung in Kraft. Entscheidend ist die Emissionsschlüssel­nummer im Fahrzeugschein. Die Autos werden in vier Schadstoffklassen eingeteilt, die saubersten Wagen bekommen eine grüne Plakette, die anderen rote oder gelbe. Pech hat, wer in die erste Klasse kommt und gar keine Plakette kriegt – die Umweltzonen sind dann tabu. Das betrifft vor allem alte Wagen: Dieselautos mit der Schadstoffnorm Euro 1 und schlechter sowie Benziner ohne geregelten Katalysator gehen leer aus. Um zukünftig in die Stadt gelassen zu werden, müssen Fahrer von zu dreckigen Diesel­autos Rußpartikelfilter einbauen. Das kostet gut 650 Euro. Der Staat belohnt das vermeintlich umweltfreundliche Gewissen, zumindest bei Fahrern von neuen Wagen. 330 Euro weniger Kfz-Steuer werden dann fällig. Wer ohne Filter weiterfährt – was dann ohnehin nur außerhalb von Umweltzonen möglich ist –, wird bestraft und muss einen Aufschlag zahlen. Auch Besitzer von Benzinern müssen zah­len, wenn ihr Auto zu dreckig ist. So genannte kombinierte Nachrüstlösungen, also zum Beispiel ein geregelter Katalysator und ein Kaltlaufregler, müssen her.

Wer sich jetzt denkt, schnell weg mit dem alten Ding, hat Pech. Da die Zonen in vielen Städten eingerichtet werden, wird es schwierig, nicht nachgerüstete Autos zu verkaufen – denn wer will die noch haben, wenn er nirgends damit fah­ren darf? Nur noch Landeier sind nicht auf Plaketten angewiesen. Im schlimmsten Fall kriegt man nur noch einen Bruchteil dessen, was der Wagen vor der Umweltzonenzeit eingebracht hätte. Der WG-Bulli für die Wocheneinkäufe ist also stillgelegt, auch die Wochenendtrips zu Freun­den in anderen großen Städten kann man vergessen. Und für Demonstrationen müssen wohl künftig schnieke Miettransporter organisiert und bezahlt werden. Denn Ausnahmen sind kaum vorgesehen, die Behörden geben sich unerbittlich. Wer zum Beispiel in Berlin nicht glaubhaft machen kann, dass die Ausgaben für eine Nachrüstung seine Existenz bedrohen und er unbedingt auf das Auto angewiesen ist, bekommt keine Plakette. Selbst wenn er in der Umwelt­zone wohnt. Auch Pendler dürfen nicht mehr mit dem Auto fahren – es sei denn, die Arbeit beginnt vor sechs oder endet nach Mitternacht und die Verbindungen mit Bus und Bahn sind zu schlecht. Fahrten zur privaten Pflege von Fami­lien­ange­hö­ri­gen, zum Unterricht an der Abend­schule düsen, den Nachwuchs zum Kinderladen bringen – alles kein Grund, die Umwelt unnötig zu ver­schmut­zen, findet der Senat.

Fahren ohne Plastikaufkleber kann teuer werden. Wird man erwischt, sind 40 Euro Bußgeld und ein Punkt in Flensburg fällig. In Berlin soll das Ordnungsamt auf die Jagd nach den voraussichtlich 80 000 Wagen gehen, die keine Plakette erhalten werden. Denen fehlt allerdings jetzt schon Personal und dann tritt 2008 auch noch das Nicht­raucherschutzgesetz in Kraft, was bedeutet, dass offizielle Kneipenbesuche erforderlich werden, um illegale Raucher aufzuspüren. Bundesweit sind nach Angaben des ADAC 1,7 Millionen Autos betroffen. Allein in der Mega-Umwelt­zone Ruhr bekämen der Niederrheinischen Indus­trie- und Handelskammer zufolge bis zu 300 000 Wagen keine Erlaubnis.

Zwar entsteht auch beim Grillen, Rauchen und Feuerwerk Feinstaub, doch in den Städten ist nach einer Studie des Umweltbundesamtes ganz klar der Straßenverkehr der Hauptverur­sacher der Feinstaublunge. Je kleiner die Partikel, desto tiefer dringen sie in die Atemwege ein. Kleinste Körnchen können über die Lungenbläschen sogar in die Blutlaufbahn gelangen. Mög­liche Folgen: Asthma, Bronchitis, Herzkreislauf­erkrankungen und sogar Lungenkrebs. Die WHO errechnete verkürzte Lebenserwartungen durch zu hohe Feinstaubbelastung – mehr als zehn Monate sollen es in Deutschland sein. Eine EU-Studie schätzt, dass jährlich etwa 60 000 Menschen in Deutschland den Folgen des Feinstaubs erliegen. Doch wirklich aufmerksam wurde man hierzulande erst, als die EU die Grenzwerte und Strafen ankündigte.

Umsonst sind die Plaketten übrigens nicht. Fünf Euro kostet der Aufkleber bei den Kfz-Zulassungsstellen in Berlin. Die 800 Werkstätten, die die Plaketten verkaufen dürfen, können den Preis frei kalkulieren. Auch bei Abgasuntersuchungsstellen wie TÜV und Dekra erhält man die Plastikschnipsel. Wer keine Moneten zum Umrüsten hat, hat also eigentlich keine Wahl. Außer man steigt auf Mofa oder Roller um, fährt Streifenwagen oder Müllauto oder macht einen Baggerführerschein – für alle diese Gefährte braucht man nämlich keine Plakette. Vielleicht verabschiedet man sich auch besser sofort vom Auto, denn wer jetzt keine grüne Plakette bekommt, sieht in drei Jahren sowieso alt aus. Ein neuer Gesundheitskiller, der aus Auspuffen entweicht, ist nämlich schon ausgemacht und wird ab 2010 bekämpft. Dann gibt es für Stickstoffdioxide neue Grenzwerte. Und in Berlin tritt die Umweltzone in die zweite Phase ein – das bedeutet, dass nur noch Wagen mit grünen Plaketten reingelassen werden.