Wenn Trompeten töten könnten

Welche Probleme entstehen, wenn ein Romeo der Roma eine serbische Julia trifft, zeigt der Film »Gucha«. von jürgen kiontke

Die Grundlage für »Gucha« ist ein Wortwitz, eine Reduktion, die eines der berühmtesten Dramen der Weltgeschichte in die Gegenwart versetzt: Um die Handlung von »Romeo und Julia« in Serbien zu erzählen, hat der Regisseur Dušan Milic das Wort »Romeo« zu »Rom« gekürzt. Das Wort hat dann die Bedeutung »Roma«.

Denn zu diesen gehört der junge Liebende Romeo (Marko Markovic). Seine Julia heißt Juliana (Aleksandra Manasijevic). Sie ist die 16jährige Tochter des ungeschlagenen Blechbläser-Landesmeisters Vladisho Trandafilovic (Mladen Nelevic) und mit ihrer Zahnspange in etwa mit dem gleichen erotischen Appeal versehen wie der Beißer aus »James Bond«. Ihr Lächeln lässt jedenfalls die Herzen schmelzen.

Im Unterschied zu Shakespeares Drama geht es in »Gucha« nur in Andeutung um Mord und Totschlag. Die verfeindeten Clans versuchen, sich und den Zuschauer mit rein musikalischen Mitteln umzubringen, das aber fast mit Erfolg.

So ist auch Romeo Trompeter, und zwar bei den Sandokan Tigers, der Blaskapelle seines Stiefvaters, die ihr Geld auf Hochzeiten und Altentreffen verdient. Mit den Tigers will er die Goldene Trompete auf dem alljährlichen Festival in Gucha gewinnen. Hunderttausende kommen jedes Jahr in das westserbische Städtchen, in dem dieser Wettbewerb ausgetragen wird. Nicht zuletzt sind die dort gespielten Musikstile, nennen wir sie ruhig Heavy Metal, durch die Filmkapelle des Regisseurs Emir Kusturica in ganz Europa bekannt geworden. Kusturica hat »Gucha«, den ersten Film seines ehemaligen Regieassistenten Milic, auch produziert.

Der Marsch geblasen wird einem in diesem Film zwar so häufig, dass man durchaus auf die Idee kommen kann, Ohrenstöpsel zu verwenden. Interessant ist an der Komödie »Gucha« vor allem aber die dramatische Konstellation auf ethnischer Grundlage: Nicht von ungefähr firmiert der fiese Trandafilovic wegen seines musikalischen Könnens unter dem Künstlernamen »Satchmo«, den auch Louis Armstrong trug.

Gerade seine Vorliebe für den schwarzen Musiker bringt ihn in die Bredouille, weil er zwar aus mehr oder weniger rassistischen Motiven auf keinen Fall einen »schwarzen Zigeuner« als Schwiegersohn dulden will. Allein die etwas dunklere Hautfarbe des jungen Musikers löst im strahlend weißen Ambiente der heilen Folklorewelt mit ihren sauberen Tischdecken und weißen Bettlaken auf der Wäscheleine Ablehnung aus. Dass Romeo in der verhassten Konkurrenzband spielt, ist nur der willkommene Auslöser, die Abneigung zu zeigen.

Doch Trandafilovic gilt als der herausragende Vertreter der klassischen Folklore, paradoxerweise gerade weil er sich als Enkel von Armstrong verstehen, in der Tradition cooler Jazzer stehen will und über die engen Grenzen der serbischen Provinzmusik hinausschaut. Da kann er sich rassistische Extravaganzen kaum leisten. »Satchmo« versucht es deshalb mit einem Trick: Statt die Liebe zu verbieten, verspricht er sogar, seine Einwilligung zu geben. Romeo soll die Tochter bekommen – aber nur, wenn er beim Festival von Gucha gewinnt.

Milic entwirft hier ein Rollenspiel des konstruktiven Zusammenlebens im von ethnisierten Konflikten zerrissenen Balkan. Auch wenn die eine oder andere Backpfeife ausgeteilt wird, stellt »Gucha« den friedfertigen Wettbewerb in der Kultur an die erste Stelle. Das ist laut. Sehr laut. Aber immerhin ungefährlich.

Was sich einfach anhört, ist es nicht. Der Wettbewerb in Gucha ist ein Gespinst aus Interessen und Machtverhältnissen, die Konkurrenz schläft auch nicht. Damit es in diesem dramaturgisch eher einfach gehaltenen Film dann doch nicht zu simpel wird, droht auch in Romeos Umfeld eine Krise. Um überhaupt am Wettbewerb teilnehmen zu können, müsste er schon der erste Trompeter der Sandokan Tigers sein, einer Band, die nicht sonderlich motiviert ist. Probleme mit der Disziplin gibt es auch.

Obendrein begeht Romeo den Fehler, mit einer anderen Band aufzutreten, um mit der Gage endlich einen Grabstein für seinen Vater kaufen zu können. Für die Teilnahme am Wettbewerb um die Goldene Trompete ist es aber schlicht verboten, mit einer anderen als der Stammband aufzutreten.

Was tun? Ganz im Stil der romantischen Tragödie stellt der Held sich vor Julianas Haus, um sie mit einem Trompetensolo herauszulocken, damit sie sich mit ihm auf die Flucht begeben kann.

»Distant Trumpet« heißt der Untertitel zu »Gucha« – und er bezieht sich auf diese Szene in Julianas Garten: Nur die besten Trompeter sind auch aus der Ferne zu hören, das hat Romeos Vater dem jungen Musikanten beigebracht. Um nicht in die Fänge des rasenden Bläserkapellmeisters zu geraten, wechselt Romeo nun im Sekundentakt seinen Standort. Wie ein Kanarienvogel sitzt er mal hier, mal da auf dem Baum und trötet seine Soli, während ihn »Satchmo« mit ebenso kolorierten Antworten zu lokalisieren sucht. Die Flucht mit Julia gelingt Romeo zwar, doch seine Familie ist wenig begeistert von dem Mädchen. Nach einer Schlägerei zwischen den Clans schnappt sich Trandafilovic seine Tochter und sperrt sie ins Haus. Beistand leistet nur ihr Bruder. Aber er ist behindert und rund um die Uhr hinter Schloss und Riegel.

Wenigstens in der Band kann Romeo einen Teilsieg verbuchen: Mit einer Flasche Rizinusöl setzt er den Solisten Rocky außer Gefecht, der seinen Platz gesundheitsbedingt gern für den ungeliebten Romeo freigibt – für den finalen Musikantenstreit zwischen ihm und Trandafilovic.

Eine Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Musikertypen, zwischen Dur und Moll, folgt: hier »Satchmo« als Vertreter einer serbischen Folklore, die sozusagen keinen musikalischen Widerspruch duldet. Die Band spielt diszipliniert, die Stücke sind sauber arrangiert, Trandafilovics Trompete macht sie perfekt. Dort die Sandokan Tigers, sie stehen eher auf den Blues, auf die Nacht, auf die Niedergeschlagenheit. Und während Trandafilovics Truppe im Folkore-Outfit daherkommt, tragen die Sandokan Tigers wirklich abgerissene Show-Anzüge.

So spielen sie auf, die Komödianten. Leider fehlt der Handlung ein Schuss tragischer Ernst, denn ein echter Nachteil ist: Die Figuren entwickeln sich nicht; die offensichtlichste Metamorphose, die des Trandafilovic, hätte hier durchaus mehr Beachtung verdient. Aber die Geräuschkulisse lässt alle ausgearbeiteteren Handlungsstränge im Trompetenklangbrei verschwinden. Wie es auch ist – das große Finale findet in Gucha statt, das Publikum möge urteilen.

In der Realität verhält es sich übrigens ähnlich wie im Film, allerdings aus ganz anderen Gründen: Romeo-Darsteller Marko Markovic erhält die Goldene Trompete nämlich auch im wirklich stattfindenden Wettbewerb nicht. Er ist der Sohn von Boban Markovic, dem fünfmaligen Gucha-Preisträger und »King of Balkan«. Der überragende Vertreter der Balkan Fusion darf mit seinem Orchester nur noch außer Konkurrenz auftreten, ebenso wie Marko, der als Solist und Arrangeur dem »Boban Markovic Orkestar« angehört.

»Gucha« (D/RS/BUL/AUS 2006). Regie: Dušan Milic. Start: 23. August