Neu! Diskutierende CDU!

Ronald Pofalla, der Generalsekretär der CDU, befindet sich auf »Dialogtour«, den Entwurf für das neue Grundsatzprogramm der Partei in der Tasche. Beim Auftakt im Konrad-Adenauer-Haus mit der Bundeskanzlerin war die Jungle World dabei. von daniel steinmaier

Sommerreisen sind etwas Schönes. Man kann mit den verschiedensten Menschen aus fremden Gegenden Deutschlands ins Gespräch kommen. Um die geht es, die Menschen. Insbesondere in der CDU. Um die Menschen, die so sind, wie die CDU sie sieht und haben möchte. Es geht um die von Gott geschaffenen, freien, verantwortlichen, leistungsbereiten und solidarischen Menschen. So steht es in ihrem neuen Grundsatzprogramm. Und darum, um das neue Grundsatzprogramm der CDU, geht es auf der Sommerreise ihres Generalsekretärs Ronald Pofalla.

Im neuen Grundsatzprogramm der CDU stehen viele schlaue Sätze. Weil es sich um Grundsätze handelt, braucht man nicht viele Kommas. Da steht etwa: »Freiheit umfasst Rechte und Pflichten.« Und: »Die erste und wichtigste Gemeinschaft ist die Familie.« Oder: »Viele Menschen wollen und können länger arbeiten.« Auch: »Wettbewerb ist nicht nur in der Wirtschaft ein wichtiges Prinzip.« Schließlich, etwas komplexer: »Die gesellschaftliche Integration von Zuwanderern auf der Basis der Leitkultur in Deutschland ist ein wichtiger Beitrag zur kulturellen Sicherheit.« Alles sehr plausibel. Eine Glanzleistung zeitgenössischen deutschen Denkens.

Aber das neue Grundsatzprogramm ist noch keine beschlossene Sache. Ronald Pofalla geht mit dem Leitantrag des Grundsatzprogramms, den eine Kommission des Bundesvorstands in mühevoller Arbeit formuliert hat, drei Wochen lang auf Sommerreise durch Deutschland, um mit den verschiedensten Menschen darüber zu diskutieren. Mit Vorstandsvorsitzenden, ausländischen Arbeitern, Bundeswehrsoldaten, Senioren, Betriebsräten, Biobauern, Sozialarbeitern. Denn im Entwurf des Grundsatzprogramms steht: »Die CDU ist die Volkspartei der Mitte.«

Die erste Veranstaltung der »Dialogtour« Pofallas findet im Berliner Konrad-Adenauer-Haus statt. Im Foyer gibt es Saftschorle und Plakatwände, auf denen die CDU um neue Mitglieder wirbt. Auf körnig vergrößerten Fotos in Schwarzweiß sind führende Politiker der Partei zur Zeit ihres Parteieintritts abgebildet. Da ist der 16jährige Roland Koch im Jahr 1974, der, wie man sieht, seitdem nichts von seiner eigentümlichen Attraktivität eingebüßt hat.

Auch ein Foto Ronald Pofallas ist zu sehen, der ebenfalls als 16jähriger in die Partei eintrat. Im Gegensatz zu Koch erkennt man ihn wegen geradezu femininer Wuschelhaare und einer kecken Baskenmütze kaum wieder. Das hätte man dem akkurat gescheitelten Generalsekretär vom Typ loyaler Schwiegersohn kaum zugetraut.

Der Mitarbeiter, der die Pressemappen an die wartenden Journalisten verteilt, fragt nach meinem Auftraggeber. »Aha. Jungle World. Kenne ich nicht. Seriös oder Satire?« »Seriös natürlich«, entgegne ich. Eine Fernsehjournalistin will vom Pressebetreuer wissen, ob man später Fragen stellen dürfe. »Nein, leider nein.« Im Rahmen dieses Auftakts der »Dialogtour« seien Fragen nicht vorgesehen. Es gebe nur »Statements« von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Generalse­kretär Ronald Pofalla.

Noch ist unklar, von welcher Seite die Prominenz das Foyer betreten wird. Deshalb wirken die Fernsehteams etwas angestrengt. »Du musst jetzt doch raus«, erfährt ein Kameramann neben mir in letzter Sekunde von einem Kollegen, der mit seiner Ausrüstung zum Eingang eilt. Doch da betreten die Bundeskanzlerin und ihr Generalsekretär schon das Foyer des Adenauer-Hauses. Hinter mir merkt jemand leise an, dass niemand klatsche. Sogleich geben sich alle ein wenig Mühe und applaudieren. Außer Mitarbeitern der CDU und Pressevertretern ist kaum jemand gekommen, aber das war wohl auch nicht anders vorgesehen.

Angela Merkel spricht einige Worte zur »Dialogtour« und zum Entwurf des Grundsatzprogramms. Gerade in einer »sich so schnell verändernden Welt« gelte es besonders, die »Leitlinien politischen Handelns« zu reflektieren. Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität. Die christlich-sozialen, die liberalen und die konservativen Wurzeln. Wobei natürlich die Frage sei, was »konservativ« im 21. Jahrhundert bedeute. »Wie schon kluge Köpfe gesagt haben, die wahren Revolutionäre können überhaupt nur die Konservativen sein«, spricht Merkel in ihrer mütterlichen Redeweise.

Als Generalsekretär Pofalla das Wort ergreift, setzt die konservative Revolutionärin einen griesgrämigen Blick auf. Dabei macht Schwiegersohn Pofalla doch gar nichts falsch. Der Generalsekretär lobt die außerordentliche Beteiligung an der Grundsatzdiskussion. Schon Tausende Mitglieder hätten Anregungen gemacht. Auch auf der Internetseite der CDU finden sich zahlreiche Diskussionsbeiträge. Da möchte etwa eine Frau, dass »auch ›normale‹ oder hochbegabte SchülerInnen« gefördert werden, »nicht immer nur Kinder aus sozial schwachen Familien«. Ein Mann schreibt: »Wenn die Rente mal wieder den Preisen angepasst würde, wäre auch mal schön.«

Diesen kontroversen Prozess »zielführend zu gestalten«, ist die Aufgabe Pofallas bis zum Parteitag Anfang Dezember in Hannover, wo das Grundsatzprogramm beschlossen werden soll. Es gebe jetzt schon »Änderungsanträge in umfänglicher Art und Weise«, über die auf dem Bundesparteitag diskutiert werden müsse. Man erlebe hier eine »diskutierende CDU«.

Bei aller Diskussionsfreude müssen auch Kontinuitäten gewahrt werden. Hoch erfreut berichtet Pofalla, es sei gelungen, Altkanzler Helmut Kohl in die Debatte um das Grundsatzprogramm einzubeziehen. Dass bei aller »Modernisierung« die wertkonservative Dimension nicht verloren geht, wer würde darauf nicht Stein und Bein schwören?

Um auch etwas Grundsätzliches aus dem Grundsatzprogramm mitzuteilen, philosophiert der Generalsekretär knapp über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit. »Wir sind der Meinung, dass sich Sicherheit und Freiheit gegenseitig bedingen.« Und: »Wo Sicherheit und Freiheit verwirklicht sind, da ist die Chancengesellschaft.« In der »Chancengesellschaft« habe jeder eine Chance. Das knüpfe an Ludwig Erhards Motto »Wohlstand für alle« an, sei nur etwas »zeitgemäßer formuliert«.

Gleich darauf bricht Pofalla zur ersten Station der »Dialogtour« auf – zum Sanitätskommando III in der Sachsen-Anhalt-Kaserne in Weißenfels. Denn: »Der Wandel von einer reinen Verteidigungsarmee hin zu einer Armee im Einsatz ist gelungen.« Dass die Bundeswehr in Zukunft auch im Inneren eingesetzt werden darf, ist eine der wenigen konkreten Forderungen im Grundsatzprogramm, und die will Pofalla mit seinem Besuch der Bundeswehr betonen.

Zuvor stärkt man sich noch, passend zum Thema, mit einem »deftigen Eintopf« aus der Gulaschkanone. Während in der schwülen Hitze vor dem Eingang des Adenauer-Hauses die ersten bereits ihre Suppe löffeln, bemüht sich die Presse um angemessenes Bildmaterial. Angela Merkel und Ronald Pofalla posieren kurz vor dem eigens für die »Dialogtour« gestalteten Reisebus. Irgendwie gibt es Probleme mit der Choreographie. Jedes Mal wenn sich ein Pulk Journalisten um Merkel und Pofalla geschart hat, weichen die beiden zur Seite, um einige Meter weiter wieder stehen zu bleiben, worauf sich der Pulk aufs neue formiert.

Irgendwann hat Merkel genug. »Ich würde ja gerne los, aber wenn Sie dauernd um mich herumstehen … « Also taktischer Rückzug. Noch einmal posiert Merkel mit Pofalla vor dem Eingang. Dann geht es, steten Schrittes, zur Limousine. »Ganz fernsehmäßig«, raunt jemand.