Das Nest bleibt sauber

Der jüdische Friedhof in Ihringen am Kaiserstuhl ist zum wiederholten Mal verwüstet worden. Lokalpolitiker stellten die politischen Gründe für die Tat in Frage – bis die Polizei die mutmaßlichen rechtsextremen Täter fasste. von jonny weckerle

»Scheinbar wäre das Nest ohne fremde Einflüsse so intakt wie die Heilige Familie und die Heile Welt«, schrieb der Liedermacher Walter Mossmann im Jahr 1991, nachdem der jüdische Friedhof in Ihringen zweimal binnen kurzer Zeit verwüstet worden war. Neben der beinahe vollständigen Zerstörung der Gräber fand man damals gesprühte Nazisymbole und Parolen wie »Juden raus!« und »Irak siegt!« Einmal ragte aus dem Grab des letzten jüdischen Gemeindevorstehers ein roter Pfahl, der zwei Meter tief in den Boden getrieben war. Dass die Täter »Auswärtige« waren, darin war man sich in Ihringen damals, und von einem Zusammenhang mit den Verhältnissen in der Region wollte man nichts wissen.

Die Geschichte schien sich zu wiederholen, als in der Nacht vom 11. auf den 12. August 79 der 200 Grabsteine herausgerissen und teils zerstört wurden. Bürgermeister Martin Obert ließ zunächst verlauten, dass es Rechtsextremismus an Ort und Stelle nur im »absolut tiefsten Hintergrund« geben könne. Überdies zweifelte er mangels SS-Runen und einschlägigen Parolen die politische und antisemitische Dimension der Tat an, die man ja nicht aus dem »bloßen Umstoßen der Grabsteine automatisch konstruieren« dürfe. Man müsse deshalb »völlig breit« ermitteln.

Die Täter von damals wurden nie gefunden, obwohl die Akten angeblich »noch offen« sind. Dass es diesmal allem Anschein nach anders gekommen ist, lag vor allem daran, dass die Täter ihr Auto auf der Flucht vom Tatort in einem Spargelacker zu Schrott fuhren. Die Polizei ermittelte den 28jährigen Fahrzeughalter und führte wegen seiner widersprüchlichen Aussagen und seines »rechtsextremen Erscheinungsbildes« eine Hausdurchsuchung durch. Dabei wurde neben rechtsextremer Musik und Propagandamaterial auch eine Pistole samt Munition sichergestellt. Bei den bisher bekannten mutmaßlichen Mittätern im Alter von 15, 17 und 19 Jahren fand die Polizei ebenfalls einschlägiges Material. Drei der vier Festgenommenen haben inzwischen gestanden. Sie sagten der Polizei, sie hätten in den Stunden vor der Tat auf einer Feier in den Reben am Kaiserstuhl über »Arbeitslosigkeit und wer daran Schuld ist« »diskutiert«. Offenbar gingen sie davon aus, dass genügend Leute in der Umgebung die Verwüstung des Friedhofs in ihrem Sinne deuten würden, auch ohne gesprühte Parolen und Hakenkreuze.

Freiburger Antifas sind darüber wenig erstaunt: »Im Freiburger Umland gibt es in vielen Dörfern Nazifreundeskreise, teils auch organisierte Nazistrukturen.« Den Soundtrack zur Friedhofsverwüstung hatten die Täter möglicherweise beim Mailorder mit dem programmatischen Namen »Terror Records« bestellt, der Titel wie »Rock fürs Reich«, »Frontal88« und »Hassgesang« im Angebot hat und auf seiner Homepage angibt, in Gebieten »mit den Postleitzahlen 79/78/77/76 selbst zustellen« zu können.

Christiane Walesch-Schneller vom »Blauen Haus«, dem ehemaligen jüdischen Gemeindezentrum in Breisach, einer Nachbargemeinde von Ihringen, forderte im Gespräch mit der Jungle World, dass den öffentlichen Verurteilungen und Bekenntnissen mehr Taten folgen müssten. Sie erinnerte etwa an den kürzlich verstorbenen Ullrich Maschke, der seit 1991 immer wieder nachts am Friedhof Wache gehalten hatte. Die Menschen in Ihringen und Umgebung könnten mit je einer Nachtwache im Jahr gemeinsam Verantwortung zum Schutz des Friedhofs übernehmen. Außerdem forderte Walesch-Schneller die Gemeinde Ihringen auf, mit allen Überlebenden der alten jüdischen Gemeinde und den Nachfahren der Toten Kontakt aufzunehmen, um sie nach Ihringen einzuladen, so wie es in Breisach auf Initiative des Blauen Hauses bereits geschehen ist.

»Ihringen atmet auf«, schrieb die Badische Zeitung, als bekannt wurde, dass die Täter nicht aus Ihringen selbst, sondern aus umliegenden Gemeinden kamen. Somit bleibt das Nest sauber.