And the winner is … Putin

Im russischen Sotschi werden 2012 die teuersten Winterspiele aller Zeiten stattfinden. Bis dahin könnte der Präsident auch wieder Putin heißen. von ute weinmann

Ein russischer Traum ist in Erfüllung gegangen. Dank des Zuschlags des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in der vergangenen Woche hat Russland endlich wieder einen ehrenhaften Spitzenplatz im Weltgeschehen. Mit den Winterspielen 2014 in Sotschi setzt sich der russische Präsident Wladimir Putin schon zu Lebzeiten ein Denkmal. Denn allein sein eifriger Werbeeinsatz im Finale, da sind sich alle Beobachter einig, führte am Ende zum Sieg über den eindeutigen, südkoreanischen Favoriten Pyeongchang.

Wäre es nur nach den Bewerbungsunterlagen gegangen, hätte der Erholungsort an der russischen Schwarzmeerküste sogar lediglich den dritten Platz hinter Salzburg eingenommen. Doch der Kreml bot bereits im Vorfeld alle zur Verfügung stehenden Kräfte auf und führte einen Kampf, als gelte es, den Großen Vaterländischen Krieg noch einmal zu gewinnen. Auf allein 30 Millionen Dollar beliefen sich die Kosten für die aufwändige, internationale Werbekampagne, mit der die PR-Agentur Weber Shandwick beauftragt wurde. Sie hat bereits vor zwei Jahren London dazu verholfen, die Sommerspiele im Jahr 2012 ausrichten zu dürfen.

Um das Stimmverhalten zumindest eines Teils der Mitglieder im Olympischen Komitee berechenbar zu gestalten, brauchte es nicht nur Verhandlungsgeschick, sondern Finanzmittel. Im vergangenen Frühjahr verpflichtete sich Russland beispielsweise, eine Eissporthalle in der sonnigen Hauptstadt der Vereinigten Emirate Dubai zu errichten, während die Türkei lukrative Bauaufträge erhielt.

Putin mag vor der in den russischen Medien als ein Jahrhundertereignis gefeierten Abstimmung in Guatemala-Stadt einen vorbildlichen Einsatz zur Imageförderung hingelegt haben. Aber seine Fähigkeit, eine Rede auf Englisch zu verlesen und zwei französische Sätze anzuhängen, würde verblassen, wäre da nicht die weitaus überzeugendere, geballte Finanzkraft der russischen Superreichen. Seit der effektiven Abschreckungskampagne gegen den zu einer Haftstrafe verurteilten, vormals reichsten Mann Russlands und ehemaligen Yukos-Chef Michail Chodorkowskij kann sich der Kreml ihrer Loyalität 100prozentig sicher sein.

Das spezifische Zusammenspiel zwischen Staat und Kapital unter Putin hat sich dermaßen bewährt, dass es nicht schwer sein dürfte, alle Beteiligten von einer Fortsetzung der erfolgreichen Beziehungen spätestens ab 2012 zu überzeugen. Die Frage der politischen Nachfolge nach Ablauf von Putins zweiter Amtszeit im März 2008 beschäftigt das russische Establishment weitaus mehr als ein olympischer Sieg. Ein Übergangspräsident wäre dazu geeignet, die kommende Legislaturperiode zu überbrücken, bis Putin gemäß der Verfassung erneut zu den Präsidentschaftswahlen antreten, die Wahl gewinnen und als offizieller Gastgeber bei den ersten Winterspielen in Russland auftreten könnte. Wer wollte ihm diesen Gefallen auch bestreiten?

Doch noch ist es nicht so weit. Zuerst müssen die für die kommenden sieben Jahre anstehenden gigantischen Bauvorhaben realisiert werden. Dass in Sotschi die teuersten Winterspiele überhaupt stattfinden werden, steht bereits fest. 314 Milliarden Rubel, also knapp neun Milliarden Euro, sind für den Bau der gesamten Infrastruktur vorgesehen, die bislang lediglich auf dem Papier existiert. Nur etwa zehn Prozent der veranschlagten Kosten fließen dabei in die Sportanlagen. Über zwei Drittel will der Staat zuschießen, und damit steht für Sotschi mehr Geld zur Verfügung als für die von der russischen Regierung als oberste Priorität deklarierten nationalen Projekte u.a. im chronisch unterfinanzierten Bildungs- und im Gesundheits­bereich. Die restlichen Milliarden steuern Gazprom, der Nickelkönig Wladimir Potanin mit seiner Holding Interros und der Aluminium­gigant Oleg Deripaska bei.

Letztgenannter kaufte den maroden Flug­hafen von Sotschi im November für umgerechnet knapp 160 Millionen Euro auf und trägt nun die Kosten für den fälligen Neubau. Um hingegen bereits Eindruck während des Kontrollbesuches des IOC im vergangenen Frühjahr schinden zu können, wurde eigens ein ausgedientes Flugzeug frisch gestrichen und eine große Schülergruppe mit Koffern über das Flugfeld gejagt. Dies sei aber nur eines der Arrangements gewesen, die dem Treiben in einem Potemkinschen Dorf glichen, berichtete der Jungle World Dmitrij Kokorew, der als eine Art Pressesprecher im Namen eines informellen Zusammenschlusses von Olympiagegnern in Sotschi und Moskau fungiert.

Die Jubelfeier russischer Urlauber auf den Straßen von Sotschi in der Nacht der Entscheidungsverkündung dürfte nämlich kaum die Stimmung der lokalen Bevölkerung wiedergeben. Kokorew geht davon aus, dass die Anzahl der Olympiakritiker in der nächsten Zeit stark ansteigen wird. Die Ausmaße und Konsequenzen der baulichen Umgestaltung seien bislang nicht allen deutlich geworden. Allerdings sei es beispielsweise bereits jetzt verboten, bestimmte Wege zu nutzen. Für die Einhaltung der Verbote sorgt ein bewaffneter Wachschutz.

In Erwartung horrender Preissteigerungen bei den am günstigsten gelegenen Grundstücken und Immobilien laufen bereits erste Prozesse gegen Kleinfirmen, welche enteignet oder mit einer lächerlichen Ausgleichszahlung entschädigt werden sollen. In Planung ist zudem der Abriss von über 1 000 Wohnhäusern in Meeresnähe. Doch sind weder die Anwohner darüber ausreichend informiert, noch sei geregelt, wohin diese umgesiedelt werden sollen, sagt Kokorew. Viele Einwohner von Sotschi leben hauptsächlich von der Vermietung ihrer kleinen Häuser an Touristen. Durch den zu erwartenden Umzug in wenig anziehende Plattenbauten weit ab der touristischen Gebiete verlieren die Bewohner ihre Existenzgrundlage. Einwände schmettert Alexander Tkatschew, der Gouverneur des Krasnodarer Gebietes, zu dem Sotschi zählt, ab: »Was braucht es da noch für Begründungen, wo doch der Präsident persönlich die Olympiade unterstützt?!«

Der Hauptkritikpunkt der Olympiagegner bezieht sich jedoch auf die unwiderruflichen ökologischen Folgen der Bauplanung. Alle Sportkomplexe, darunter auch die erste Rennrodelbahn Russlands, werden im Nationalpark, in dessen unmittelbarer Nähe oder im einmaligen kaukasischen Biosphärenreservat gebaut, welches durch die Unesco geschützt ist. Gebaut werden sollen in den Naturschutzgebieten im gleichen Atemzug mit den olympischen Einrichtungen zudem neun touristische Luxushotels einschließlich Golfanlage und Spa-Zentren für nicht olympiataugliche Sportler mit solider Geldbörse. Bis vor kurzem waren derlei Bauvorhaben durch die geltende Umweltgesetzgebung zum Scheitern verurteilt, aber die olympischen Spiele machen bekanntlich alles möglich. »Wenn die Grünen kommen und anfangen zu kreischen, dass es laut Verfassung verboten sei, Tannen und Kiefern zu fällen, dann ist es für uns leichter, die Verfassung zu ändern«, stellte der Chef des russischen Olympiakomitees Leonid Tjagatschow in aller Deutlichkeit klar.

Es ist abzusehen, dass sich jeder russische Oligarch, der etwas auf sich hält, seinen Platz an der Sonne des russischen Südens sichern wird. Zumal dem russischen Establishment seit geraumer Zeit im Westen eine gewisse Abneigung gegen seine extensive Art der Freizeit­gestaltung entgegenschlägt. Damit ist der kommerzielle Erfolg des Projekts sichergestellt. Im Übrigen gilt Krasnaja Poljana, die »schöne Lichtung«, wo die olympischen Skiwettbewerbe ausgetragen werden, längst als das teuerste Skigebiet im Kaukasus, aber die Grenzen nach oben bleiben immer offen. Wer also heute den russischen Sieg in Sotschi bejubelt, kann morgen gleich zu Hause bleiben. Aber die Olympischen Spiele kommen im Fernsehen sowieso besser zur Geltung als in der Realität.