2017

Homestory
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Nachdem die schwarz-grüne Bundesregierung im vergangenen Jahr die Einrichtung kaffeefreier Zonen am Arbeitsplatz verordnet hat, steht erneut ein Umzug innerhalb der Redaktionsräume bevor. Anfangs drängelten sich alle im Kaffeetrinkerzimmer, doch mit der Zeit haben sich immer mehr Kolleginnen und Kollegen das Kaffeetrinken abgewöhnt, zuerst wegen der hohen Steuern, später aus reiner Vernunft. Ist ja doch gesünder. Nun müssen die verbliebenen Kaffeetrinker in das kleine Separee ziehen, das sich direkt neben der Raucher-Einzelzelle des Kollegen aus dem ­Globalressort befindet.

Auf seinem Hologrammschirm erscheint in einem Fenster das Gesicht seiner Kollegin, die sich gerade mit ihrem Notebook am Nordseestrand in Spandau tummelt. »Was hältst du von einem Beitrag über die Eröffnung des Gotthard-Tunnels?« fragt sie. Im Hintergrund scheint die Sonne, ein Pelikan gleitet vorbei. Man ist sich schnell einig. Die notwendigen Kriterien werden eingegeben, zehn Minuten später hat das Textprogramm den Artikel fertig. Doch der CvD ist ganz und gar nicht zufrieden. Erst steckt man ihn in die Kaffeetrinkervoliere, und nun auch noch so was! Wen denn das bitteschön interessiere?! Wo denn da die Radikalität und die Kritik blieben?! Wie konnte das passieren, obwohl doch »Kapitalismuskritik«, »Staatskritik«, »Religionskritik«, »Islamismuskritik« selbstverständlich standardmäßig bei uns in der Kriterien-Maske angekreuzt sind? Man entscheidet sich, den Artikel zu kippen, das Ausfallhonorar bucht Google automatisch von unserem Google-Bankkonto ab.

Ein Hamburger Autorenduo wird angerufen. Sie haben sich im März Handys zugelegt und sind nun tatsächlich hin und wieder zu erreichen. »Wisst ihr etwas über die Ölpipelines durch den Gotthard?« Nein? Irgendwie sind wir auf dem Holzweg. Also manchen wir doch noch mal etwas zum G15-Gipfel, der dieses Jahr in Peking stattfindet. Dass man die USA ausgeladen hat, könnte doch einen Kommentar wert sein. Der CvD spricht ihn höchstpersönlich in den Computer ein. Das Inlandsressort macht mit der Einführung von Hartz XVI auf. Ein Essay beschäftigt sich mit der Übernahme von Verdi durch Siemens.

In der Redaktion geht ein Alarm los. Der Fahrstuhl steckt fest. Es ist doch immer wieder dasselbe. Neue Anzeigenkunden, die hier zum ersten Mal vorbeikommen, weil sie um ein wenig Anzeigenplatz bitten wollen, geraten immer wieder in die Laserschranke des Aufzugs, der daraufhin immer genau dort stehen bleibt, wo er gerade ist. Dann stellt sich aber heraus, es ist eine Delegation der Anti­jihadistischen Aktion/ Bundesweite Organisation, die eine Petition persönlich vorbei bringt, die wir doch bitteschön auf unserer Antiji-­Seite veröffentlichen sollen. Im Vorzimmer werden sie vertröstet, oder vielleicht haben sie sich auch nicht an dem böse knurrenden Cäsar Jr. vorbeigetraut, der den Eingangsbereich bewacht, seit er im Betriebskinderladen Hausverbot hat.

Die Jubiläumsausgabe zum 20jährigen Bestehen ist bereits in Planung. Da der Moderator des Literarischen Quartetts bei zdf.de unser ehemaliger Korrektor ist, werden wir ja wohl zumindest ein Interview bekommen. Im Kulturteil wird die 1 000. Folge des allerallerletzten linken Studenten erscheinen.

Doch zunächst muss noch die aktuelle Nummer fertig gestellt werden. Der Produktionschef drückt beiläufig die »Enter«-Taste, und die neue Ausgabe erscheint auf den Displays der 30 000 Abonnentinnen und Abonnenten. Besonders gut kommt wie immer das animierte Bigbeatland-Podcast an, klar. Jetzt ist aber Feierabend, heute Abend legen Tocotronic in der Festsaal-Arena am Potsdamer Platz auf.

mowgli m.