Sehen Sie? Sie sehen nichts!

Spektakel der Macht von fabian sänger

Fragt man Gipfelgegner, die klügeren, wogegen sie genau demonstrieren wollen in Heiligendamm, können das viele gar nicht so richtig sagen. (Die Dümmeren wissen es natürlich ganz genau.) Das liegt auch daran, dass tatsächlich kaum jemand voraussagen kann, worum es bei dem Gipfel am Ende wirklich gehen wird. Für gewöhnlich geht es bei solchen Zusammenkünften um alles und gar nichts, und sollte am Tag vorher irgendwo in der Welt ein verstörender Terroranschlag stattfinden oder ein Tsunami über den Indischen Ozean rollen, so wird eben dies das Hauptthema werden.

Vorgesehen ist jedoch, dass es ums Klima gehen soll und um Afrika. Wer aber wäre nicht für das Klima und für Afrika – und für eine »gerechte, menschliche Globalisierung«? Letztgenanntes wünscht sich Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und sogar Innenminister Wolfgang Schäuble, ein finsterer Scharfmacher, dem der Abbau des Rechtsstaats gar nicht schnell genug gehen kann, erklärt lächelnd: »Wenn Bürger aufmerksam machen wollen, dass es nicht so weiter gehen kann mit Afrika oder mit der Klimapolitik, dann ist das nur zu begrüßen.« Die eifrigsten Anti-G 8-Aktivisten in Mecklenburg-Vorpommern sind sowieso nicht die Autonomen, sondern die frommen Kirchenleute, die vor lauter »Gebetsketten«, Schweigeminuten und Glockengeläute kaum mehr dazu kommen werden, mal das Weihwasser auszuwechseln.

Afrika helfen und dem Klima, gut, das wollen alle, unterschiedlich sind selbstverständlich die Motive und die Lösungsstrategien. Doch die Unterschiede bestehen nicht nur zwischen den Politikern auf der einen und den Demonstranten auf der anderen Seite des Zauns. In Sachen Klimapolitik existieren zwischen Europa und den USA mehr Differenzen als Gemeinsamkeiten; dass in Heiligendamm weitreichende Beschlüsse gefasst werden, darf als höchst unwahrscheinlich gelten. Bestenfalls wird man sich ordentlich raufen. Schon allein die russischen Verstimmungen wegen des geplanten Raketenschilds dürften eingehendere Beratungen über globale militärische Strategien ausschließen. Und über Afrika zu reden, ohne dass ein Vertreter Chinas mit am Tisch sitzt, hat fast schon etwas von Stammtischpalaver. Mehr als ein paar neue Versprechungen hinsichtlich der Schuldenstreichung und der Entwicklungshilfe, die dann alle zusammen begrüßen und als nicht weitreichend genug kritisieren werden, sind auch hier nicht abzusehen.

Die Bundeskanzlerin tut seit Wochen kaum etwas anderes, als die Erwartungen an den Gipfel zu »dämpfen«, wie wir überall lesen, und in der Tat: Ins Verhältnis gesetzt zu der Aufregung, die das Event bei Globalisierungsgegnern ebenso wie bei den staatlichen Repressionsorganen auslöst – und bei den Medien –, ist das, was an den anderthalb Tagen hinter dem Zaun in Heiligendamm beschlossen werden wird, kaum mehr als heiße Luft. Der G 8-Gipfel ist vor allem ein Spektakel der Macht, bei dem sich Macher treffen, um endlich mal nichts zu machen. Bestenfalls verkünden sie ein paar Beschlüsse, die längst vorher vereinbart wurden. Aber gut essen wird man und ein paar »Familienfotos« mitbringen (allein dafür sind drei Termine angesetzt).

Und so wächst am Ende zusammen, was zusammen gehört. Die Staatschefs präsentieren sich auf jener Bühne als große Weltenlenker, die sie gerne wären, und die Demonstranten nehmen sie genau als das wahr. Zusammen führt man ein Schauspiel auf, dessen reale Bedeutung nur durch den jeweiligen Einsatz­eifer bzw. die das alles verursachenden Kosten überhaupt existiert. There’s no business but show business an der Ostsee.