Ab durch die Mitte!

Die SPD nach Schröder von adam flut
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Gerhard Schröder kann man einiges vorwerfen, aber eines sicher nicht: seine Wähler an der Nase herumgeführt zu haben. Im Gegenteil, er tat das, was er angekündigt hatte. Es war die Zeit, in der man zwar noch unterschiedliche Parteien kannte, aber keine unterschiedlichen Parteiprogramme, und in der alle darum wetteiferten, noch wirtschaftsliberaler als die Konkurrenz zu sein.

»Neue Mitte« nannten die deutschen Sozis ihr marktfundamentalistisches Konzept, das sie von Tony Blairs »Drittem Weg« abgekupfert hatten und mit dem sie sich anschickten, die unter Kohl begonnene Demontage des Sozialstaats und die Deregulierung der Wirtschaft fortzusetzen. »In der Vergangenheit wurde die Förderung der sozialen Gerechtigkeit manchmal mit der Forderung nach Gleichheit im Ergebnis verwechselt«, schrieben Schröder und Blair in ihrem Papier vom Frühjahr 1999. Damit sei die Bedeutung »von eigener Anstrengung und Verantwortung ignoriert und nicht belohnt« worden, so dass sich die soziale Demokratie mit »Kon­formität und Mittelmäßigkeit« verbunden habe statt mit »Krea­tivität, Diver­sität und herausragender Leistung«. Das Manifest hielt zwar nur schriftlich fest, was ohnehin sozialdemokratische Regierungspraxis geworden war, es dokumentierte aber in einer seltenen Offenheit, wie sehr sich die Sozialdemokratie die ethischen, politischen und sprach­lichen Kategorien des Neoliberalismus zu eigen gemacht hatte – von der Propaganda für »Leistung« bis zum für die selige New Economy typischen Geschwätz von »Kreativität«.

Doch anders, als viele vom linken Flügel der Partei und der Gewerkschaften glaubten, war die »Neue Mitte« nicht bloß niederträchtige Ideologie. Vielmehr handelte es sich um den Versuch, auf das Schwinden des klassischen sozialdemokratischen Milieus – des Industrie­pro­letariats – zu reagieren; sie war eine Integrationsideologie für eine Gesellschaft, die nicht nur vertikal (im Hin­blick auf Wohlstand und Macht), sondern auch horizontal (im Hinblick auf Kultur und Lebensstil) auseinanderdriftete. »Wir stehen nicht für eine rechte oder linke Wirt­schaftspolitik, sondern für eine moderne Politik der sozialen Marktwirtschaft«, hatte Schröder gleich in seiner ersten Regierungserklärung wissen lassen.

Ihren Job hat die SPD erledigt. Doch Schröder hat seine Partei nicht nur ohne einen geeigneten Nachfolger, sondern vor allem in einem programmatisch desolaten Zustand hinterlassen. Mit der für Schrö­der typischen hemdsärmeligen Verbindung von Volkstümlichkeit und Markt­fundamen­talismus ist für sie kein Blumen­topf mehr zu gewinnen. Wem die Erhöhung der Mehr­wertsteuer egal sein kann, weil er von der Senkung der Kapitalertragssteuer profitiert, findet genügend Alternativen; sogar in der CDU, die längst nicht mehr so altbacken wirkt wie zuletzt unter Kohl. Die anderen aber, die Überflüssigen und Bedrängten, wählen kaum noch, und wenn, dann nicht die SPD.

Dabei scheint die neoliberale Hegemonie ihre besten Tage hinter sich zu haben. Nicht nur der Klimawandel zeigt an, dass der Markt vielleicht doch nicht alles selbst zu regeln vermag und die Kapital­akkumu­lation langfristig nicht ganz ohne Staat auskommt. Doch fehlt es an einem glaubhaften und funk­tionalen Gegenentwurf. Dafür wären die Sozis zuständig gewesen. Aber die haben nicht nur vergessen, was links und rechts ist, sie wissen auch nicht mehr, wo unten und oben ist.