Groll, Gitarren und Gewehre

Nicht immer bleiben illegale israelische Siedler unbehelligt. Vor allem die Jüngeren radikalisieren sich und betrachten die Armee als Feind. von michael borgstede, shavei shomron

Wenn israelische Siedler mal wieder einen Hügel in den Palästinensergebieten besetzen, werden zunächst Eigentumsansprüche gestellt. Dann findet ein Wohnwagen nach dem anderen seinen Weg auf den Hügel, ein Zaun wird gebaut, Generatoren werden aufgestellt, während die Regierung in aller Ruhe die Sachlage überprüft.

Die Armee stellt erstmal ein halbes Bataillon Soldaten zum Schutz der gefährdeten Bewohner ab, die bereits so tun, als sei ihr immerhin widerrechtlicher Aufenthalt auf dem betreffenden Hügel die normalste Sache der Welt. Meistens passiert dann gar nichts mehr, und die Besiedlung wird stillschweigend akzeptiert. Zum Pessach-Fest 1968 zog zum Beispiel Rabbi Levinger mit einigen Anhängern in das Park Hotel von Hebron – seitdem finden sich in und um Hebron israelische Siedler.

Es war also nicht damit zu rechnen, dass die spektakuläre Wiederbesiedelungsaktion in Homesh schnell zu Ende gehen würde. Homesh war eine der Siedlungen im Westjordanland, die gleichzeitig mit dem Gaza-Streifen im August 2005 geräumt wurden. Eine ehemalige Bewohnerin hatte nun die Beschneidung ihres Sohnes auf den Ruinen ihres ehemaligen Wohnorts feiern wollen. Warum Politik und Armee diesem bizarren Wunsch nachgeben haben, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Jedenfalls sollte zunächst nur ein Bus die geladenen Gästen in die ehemalige Siedlung bringen dürfen. Die Siedler aber forderten drei Busse – und bekamen, wie fast immer, ihren Willen. Dann kündigten sie, nicht wirklich überraschend, an, die Siedlung nicht wieder verlassen zu wollen.

Bald stellten sich die ersten Journalisten ein und prophezeiten Ärger. Die New York Times warnte ebenso wie der Spiegel vor einer neuen gewaltsamen Konfrontation: »Ich will auf diesem Hügel alt werden«, wurde die 16 Jahre Batya Danziger zitiert. Nach 48 Stunden jedenfalls war alles vorbei, und Batya befand sich auf dem Rückzug in die neun Kilometer entfernte Siedlung Shavei Shomron.

Auf dem Hügel, wo sich früher einmal Homesh befand, warten am Mittwochmorgen nur noch einige gelangweilte israelische Soldaten. »Du bist zu spät«, lachen sie. »Sie sind schon alle weg.« Ein Drama sei die Räumung nicht gerade gewesen, sagt Shai, der im vergangenen Jahr bereits in Gush Katif im Gaza-Streifen dabei war. »Sie hatten schon alles selbst weggeräumt.« Die Beleuchtungsanlage sei fein säuberlich verpackt gewesen, und sogar einige Zelte hätten die 480 Siedler selbst abgebaut. »Vom Hügel mussten wir sie trotzdem tragen«, erzählt Shai gutgelaunt. Dutzende Jugendliche hätten sich schützend um ein Dutzend Familien gestellt, doch der Widerstand sei passiv geblieben. »Ein Glück«, stellt ein anderer Soldat nachdenklich fest. »Heute kann man sich nicht mehr sicher sein, wie diese Dinge ablaufen.« Aus dem Wasserturm ragt eine israelische Fahne, die Soldaten haben sie noch nicht entfernt.

In Shavei Shomron trudeln derweil die letzten Siedler aus Homesh ein. Familien mit kleinen Kindern, schwangere Frauen und vor allem viele Jugendliche lassen sich auf den gepflegten Rasenflächen der Siedlung nieder. Vielen steht die Erschöpfung ebenso wie die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Sie sind fast zehn Kilometer marschiert, die wenigsten haben von dem Transportangebot der Armee Gebrauch gemacht.

Wenn man sich nun in Schavei Schomron umhört, dann kann man fast den Eindruck bekommen, diese Menschen sprechen von einer feindlichen Armee.

»Bevor ich zu denen ins Auto steige, lasse ich es liebe drauf ankommen und lege mich mit einem Araber an«, sagt ein eher gemütlich aussehender junger Mann, dem man so viel Kampfeslust gar nicht zugetraut hätte. Er erntet Zustimmung von seiner Frau: »Dass die sich nicht schämen, in der nächsten Woche Pessach zu feiern«, fügt sie geradezu entsetzt hinzu. »Das sind doch keine Juden. Ich habe mit denen nichts mehr zu tun.« Und ein ganz junger Mann, mit Kippa auf dem Kopf und einer mit Aufklebern übersäten Gitarre unter dem Arm, stellt klar: »Zu der Armee gehe ich nicht. Lieber wandere ich in den Knast«.

Die Zeiten, da die Armee den größten Konsens innerhalb der immer schon meinungsfreudigen israelischen Gesellschaft vermittelte, sind vorbei. Viele Siedler fühlen sich von ihrem Staat im Stich gelassen. Ob dieses Gefühl den Tatsachen entspricht oder es sich vielleicht nur andeutet, dass der Staat Israel eines Tages nicht mehr willens sein könn­te, einer ideologisierten Minderheit so viel Einfluss einzuräumen, sei dahingestellt. Die Frustration und die daraus resultierende Wut sind insbesondere unter den jungen Leuten groß.

»Alle reden immer vom jüdisch-demokratischen Charakter des Staates«, sagt Amir. »Aber als Jude ist mir der jüdische Charakter viel wichtiger als der demokratische.« Solche Äußerungen machen älteren Siedlern durchaus Angst. »Wir wurden verra­ten«, sagt Efraim Rappaport, der bereits 1972 ins Westjordanland zog. »Sharon hat uns verraten, Olmert hat uns verraten, und Netanjahu wird uns auch verraten«. Aber Gewaltanwendung käme für ihn nicht in Frage. »Ich bin ein Zionist. Mein ganzes Leben habe ich dem Wohl dieses Landes gewidmet – auch wenn mein Land mir das nicht dankt.« Doch sein Sohn, und da seufzt Efraim leise, wohne im Außenposten Migron und wolle mit dem Staat nichts mehr zu tun haben. Zuerst habe er sich gedacht: »Ah, eine pubertäre Rebellion gegen die Eltern, ganz normal.« Doch nun sehe er die Lage ernster: »Der Staat verstößt seine Kinder. Diese Entwicklung führt früher oder später dazu, dass dieses Land auseinanderbrechen wird.«

Efraims Sohn gehört zur so genannten Hügeljugend. Deren Anhänger findet man auf einsamen Hügeln mitten in den Palästinensergebieten, sie tragen nicht selten ein Gewehr über der Schulter und lassen ihre illegalen Außenposten von riesigen Hunden bewachen. Sich selbst sehen sie gerne als abenteuerlustige Biobauern und als letzte Verfechter der zionistischen Siedlungstradition. Wie viele von ihnen im Ernstfall wirklich die Hand gegen israelische Soldaten erheben würden, weiß niemand. Doch schon ihre Existenz macht den Politikern in Jerusalem Angst und verzögert oder verhindert so manche unbequeme Entscheidung.

In Shavei Shomron sind die Jugendlichen schon wieder bester Dinge und singen ihre Lieder. Efraims Sorge, die muntere Pfadfinderstimmung könnte eines Tages in Aggressivität umschlagen, wird jedoch nicht von allen geteilt. Benny Katzover, einer der Gründer der Siedlerorganisation Gush Emunim, erklärt wenig später begeistert, man habe in diesen Tagen die Überzeugung der jungen Leute erkennen können: »Unsere Jugend wird auch jene Erwachsenen mitschwemmen, die die Notwendigkeit einer Richtungsänderung noch nicht erkannt haben.«