Tel Avivo

Tel Avivs Meerwert
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Es fehlt noch etwas. Ja, es führt kein Weg daran vorbei, dass wir doch einmal auf das Meer zu sprechen kommen. Dass Tel Aviv am Meer liegt, scheint zwar eine banale Feststellung zu sein, doch man kann diesen Um­stand gar nicht genug würdigen. Denn er macht Tel Aviv zu einer, nein, zu der perfekten Stadt. Wie erkläre ich das am besten? Fangen wir anders an.

Was gehört zu einer Stadt, in der es sich leben lässt? Um eine Metropole sollte es sich handeln. Charmant, cool und sexy sollte sie sein. Quirlig. Und modern. Und multikulturell. Und ein Nachtleben sollte sie haben, Kultur und Subkultur.

Also etwa so wie Berlin. Oder London, oder Paris, oder Mexiko-Stadt. Aber diese Städte liegen alle nicht am Meer, nicht im entferntesten. Rom und San Francisco liegen zwar am Meer, aber irgendwie eben auch nicht. Man kann sich dort problemlos eine Woche aufhalten, ohne das Meer auch nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Istanbul liegt zwar an einem Meer, oder sogar an zwei Meeren, aber nicht an der offenen See, und einen Strand gibt es dort auch nicht. Aber Barcelona, Sydney, Rio und New York, die liegen so richtig am Meer. Ja, aber auf der falschen Seite ihres Kontinents. Wenn dort abends die Sonne untergeht, dann irgendwo im Rücken der Stadt, nicht am Meereshorizont.

Anders Tel Aviv. Tel Aviv liegt nicht nur am Meer, sondern auch noch am schönsten Meer der Welt, dem Mittelmeer. Und dort an der einzig sinnvollen Stelle, so, dass man am Strand sitzend die Sonne vor sich im Wasser untergehen sieht. Tag für Tag. Und nicht nur am Strand. Die ganze Stadt, die Wolkenkratzer, die City, die dahinter, etwas höher auf Hügeln gelegenen östlichen Randbezirke, das alles wurde entlang des Meeres aufgestellt, als seien die Häuser eine Tribüne, von der aus die ganze Stadt jeden Abend dieses große Schauspiel am Horizont verfolgen können soll.

Der Strand ist Tel Avivs schönste und größte Flaniermeile. Hier badet man nicht nur und bräunt sich, zum Strand kommen die Tel Avivniks auch, um Morgengymnastik, Tai-Chi oder Yoga zu machen, zu joggen oder um die Sonne anzubeten. Seit am vorvergangenen Freitag hier mehr oder weniger offiziell der Sommer ausgerufen wurde, herrscht vor allem am Wochenende am Strand das große Treiben. Massenhaft und exzessiv wird Beachball gespielt, Surfer tummeln sich im Wasser, Tanzkurse finden hier statt, Hunde toben sich aus, hier wird geflirtet, Wasserpfeife geraucht, und Touristinnen werden abgeschleppt. In einer der zahlreichen Strandbars kann man einen Kaffee trinken oder ein Bier. Tel Avivs Kinder haben den denkbar größten Sandkasten. Freitags versammeln sich Scharen von Trommlern – und das sind nicht nur Hippies – und begleiten den Sonnenuntergang mit ihren Rhythmen.

Immer am Strand zu leben, ist das nicht einer unserer größten Träume? Für die Menschen in Tel Aviv ist das so alltäglich, dass viele gar nicht verstehen, warum Besucher so beeindruckt davon sind. Doch um sie zu beeindrucken, wird wirklich alles getan: Schon die Ankunft in Tel Aviv beginnt immer mit einem Anflug direkt über den Strand. Die Abflugroute ist leider eine andere. Also: Lehit vetijul na’im! Bis dann und einen angenehmen Abflug!

ivo bozic