Was hätte Marx gemacht?

Neoliberal und wenig radikal: Sabine Nuss kritisiert in ihrem Buch »Copyright & Copyriot« die Debatte um geistiges Eigentum im Internet. von christian schmidt

Das Thema »geistiges Eigentum« ist ein Dauer­brenner. Schon seit Jahren lernen wir, dass DRM für Digital Rights Management steht; dass der Kampf zwischen Microsoft und Linux andauert; dass wir zumindest auf dem Papier ein Recht auf Privatkopien haben usw. usf. Kurz, wer mitreden will, kann es sich nicht leisten, von all dem keine Ahnung oder – schlimmer noch – zur Sache keine Meinung zu haben. Längst sind Softwarepatente nicht mehr die Sache von ein paar Nerds, die sich ihre Programme selbst schreiben, weil das besser zu ihren »Bedürfnissen« passt.

Aber wer außer solchen Nerds kann den Unterschied zwischen Freier Software und Open Source erklären? Und wer weiß, welche Version sich eman­zipatorisch gibt und deshalb unter Kommunismusverdacht steht? Bei solchen Wissenslücken hilft das Buch »Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus« von Sabine Nuss. Dort erfährt man nicht nur, dass und warum die Anhänger von Open Source glauben, freie Software sei ein Virus, mit dem die freie Welt infiziert werde. Man erfährt auch, dass das Wort »frei« bei freier Software im Sinne des Neo­liberalismus zu verstehen ist und immer war. »Mit dem in der Freien-Software-Bewegung stoisch hochgehaltenen Freiheitsbegriff ist weniger die Freiheit des Menschen von kapitalistischem Arbeitszwang oder von dem die gesellschaftliche Produktion dominierenden Zwang, aus Geld mehr Geld machen zu müssen, gemeint, sondern gemeint ist jene Freiheit, die als spezifische Freiheit ganz der bürgerlichen Produktionsweise entspringt: die Frei­heit, mit ›seinem Eigentum‹ verfahren zu dürfen, wie man möchte.«

Im Zentrum der Argumentation stehen nicht die Entwicklungen rund um die Kopier- und Kommuni­kationsmaschine Internet. Sabine Nuss ist es wichtiger, die Auseinandersetzungen im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach effizienter Verwertung von medialen Inhalten oder Software einerseits und den nur schwer kontrollierbaren Möglichkeiten des Kopierens und Verteilens eben dieser Güter andererseits auf ihr gesellschaftliches Fundament, die kapitalistische Ökonomie, zurückzuführen.

Dieses Unterfangen geht von zwei Grundannahmen aus. Erstens: Die technischen Ent­wicklungen sind per se weder rück- noch fortschrittlich. Sie wer­den vielmehr erst im Kontext der gesellschaftlichen Verhältnisse fort- oder rückschrittlich benutzt. Zwei­tens: Die Debatten um den Einsatz der Informa­tions- und Kommunikations­technologien finden auf der Grundlage statt, dass die Verhältnisse des Kapitalismus immer schon anerkannt sind.

Die erste dieser beiden Grundannahmen ist inhaltlich schwieriger, die zweite empört alle, die in freier Software eine Keimform des Kommunismus in der kapitalistischen Gesellschaft sehen wollen. Dass das Internet an sich kein emanzipatorisches Potenzial haben soll, ist deshalb nicht so leicht einzusehen, weil jede Technik auch den Zweck reflektiert, für den sie entwickelt wurde. So wie ein Fließband nicht konzipiert wurde, um den Menschen eine denkbar angenehme, ihren körperlichen und geistigen Möglichkeiten angemessene Tätigkeit zu gestatten, so wurde das Internet nicht als Vertriebs- oder Produktionsplattform begründet. In dem mit besonderen Regeln ausgestatteten Wissenschaftsbereich entstand ein Massenme­dium, das dem kapitalistischen Normalbetrieb erst angepasst werden muss.

Wie das auch dort geschieht, wo das Inter­net einst ein Hort anarchischer, antikapitalistischer Umtriebe zu sein schien, erläutert Sabine Nuss anhand beeindruckender Beispiele. Interessanter als das Ende der Musik­tauschbörse Napster und das Beispiel bekann­ter Firmen wie S.u.S.E, die den Service zur Software anbieten (z.B. die Zusammenstellung von Programmen, Installationshilfen, Anpassungen), ist die Firma VA Software, die Programme als technische Grundlagen für die dezentrale Zusammenarbeit im Inter­net vertreibt. Außerdem unterstützt die Fir­ma Unternehmen bei der Anwerbung von Entwicklern. »Nach einer Phase des Trial and Error ging VA dazu über, das Potenzial der Open-Source-Produktionsweise in Unternehmen hineinzutragen, also das Produk­tionsmodell selbst zu ›verkaufen‹«, schreibt Sabine Nuss.

Aus solchen Beispielen zieht sie den Schluss, dass es zum einen oft nur geringer Anpassungen bedarf, um die freie Zusammenarbeit einer Programmierer-Community in die Produktion für den kapitalistischen Warenmarkt zu verwandeln, zum anderen, dass die Rolle der Programmierer von ihrem sozialen Status abhängt. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des MIT (Massa­chusetts Institute of Technology) kann man leicht den produzierten Programmcode der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Für lohnabhängig beschäftigte Entwickler in einer privaten Firma existiert diese Möglichkeit gar nicht erst.

Problematischer als die mangelnde Reflexion der Szene auf ihre gesellschaftlichen Existenz­bedingungen findet Nuss aber die Beschränktheit ihrer Kritik am Kapitalismus. Dessen Ausbeutungs­modell beruht auf der Verteilung der Welt als Eigentum. Eigentum beschreibt nicht in erster Linie das Verhältnis einer Person zu einem Gegenstand, sondern die Möglichkeit einer Person, alle anderen vom Gebrauch einer Sache auszuschließen. Des­halb gibt es in der kapitalistischen Gesellschaft Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um überhaupt etwas zu haben.

Inzwischen ist dieses Regime des Eigentums so durchgesetzt, dass es uns nicht mehr als eine von mehreren Möglichkeiten einer sozialen Ordnung erscheint. Gegen diesen Schein der Natürlichkeit des bürgerlichen Eigentums argumentiert Sabine Nuss, indem sie zum einen sehr anschaulich die Unterschiede zu seinen historischen Vorformen darstellt und zum anderen gegen die Grundannah­men der wirkungsmächtigsten, auf der Verankerung des Eigentums in der menschlichen Natur beruhenden Theorien Einsprüche formuliert. Die Thesen, dass jeder Mensch immer nur seinen Nut­zen auf Kosten der Allgemeinheit maximiere oder das Interesse an einer effizienten Produktion nur durch den Erwerb von Eigentum zu gewährleisten sei, offenbaren so ihre Gebundenheit an die kapitalistische Gesellschafts­ordnung. Im Kapitalismus kommt es tatsächlich darauf an, seinen eige­nen Nutzen zu maximieren und sich bei der Arbeit weitgehend nur um das zu kümmern, wovon man auch etwas hat.

Verheerend an den Debatten um geistiges Eigen­tum ist nun, dass sie die Annahme von der Natür­lichkeit des Eigentums teilen. Die Diskussion erstreckt sich nur darauf, ob Produkte geistiger Tätigkeit Eigentum sein können bzw. werden sollen. Argumente wie jenes, die digitalen Güter seien im Gegensatz zu den künstlichen nicht knapp, sagen eben immer auch, bei materiellen Gütern – und das ist immerhin die übergroße Mehrheit – sei das Eigentumsregime gerechtfertigt, weil die eben knapp seien. Wer so diskutiert, kann Sabine Nuss zufolge nie in den Blick bekommen, dass die kapitalistische Ökonomie nicht nur eine Frage der Verteilung von Gütern, sondern vor allem eine Frage der Produktion von Waren ist. Die Ebene der Kritik an der Organisation der Produktion müsste eine echte Kritik der Eigentumsform deshalb erst noch erreichen.

Vor dem Hintergrund des gesamten Buchs erscheint es dann als bemühter Restoptimismus der Autorin, wenn es im Schlusskapitel heißt: »Einen subversiven Charakter könnte man Freier Software beimessen. Freie Software erlaubt die Illustration einer möglichen nicht-kapitalistischen Produk­tionsweise und macht das herrschende Eigentums­paradigma hinterfragbar.« Angesichts der Begrenzt­heit der Praxis des Programmierens müsste das Fazit pessimistischer ausfallen.

Sabine Nuss: Copyright & Copyriot. Aneignungskonflikte um geistiges Eigentum im informationellen Kapitalismus. Westfälisches Dampfboot 2006, 269 S., 19,90 Euro