Wochenschau forever

Wie George Clooney und Cate Blanchett in Casablanca mit dem Dritten Mann unterwegs sind. von jürgen kiontke

Es gehört nicht zu den schlechtesten Macken des Kinos, dass seine Akteure dann und wann meinen, es neu erfinden zu müssen. Ob ein Film aber zu einer neuen Ikonografie findet, ist davon abhängig, wie sich sein Regisseur an eine Interpretation der Filmgeschichte macht. Der Rest ist Zufall, Aufwand, Laune des Publikums – und dann ist es oft nur eine einzige Einstellung, in der der ganze Versuch zum Ausdruck kommt.

Unter dem Eindruck eines kompletten Festivalprogramms, wie es gerade die Berlinale mit rund 1 100 Aufführungen bot, konnte das Bild eines in die Krise geratenen Mediums entstehen. Das Kino als Kollektiverzählung hat nur noch wenig Strahlkraft; das würden die Produzenten gern den Filmkritikern in die Schuhe schieben, wie dies Günter Rohrbach in seinem nationalen Erweckungsruf im Januar im Spiegel versucht hat. Das verdeckt jedoch nur, dass das Publikum verstärkt zu Internet und DVD tendiert – eine DVD kostet so viel wie eine Kinokarte. Das vermeintlich rezeptionstheoretische Problem ist oft genug ein spröde ökonomisches: Es geht um die Konkurrenz der Medien.

Nicht nur in Deutschland steht die Filmproduktion unter Druck – und die intelligenteren Filmemacher versuchen, darauf zu reagieren. Radikale Entwürfe, Inhalt, Optik und Technik zu harmonisieren, sind bisher eher noch selten. Einige Action­filme borgen sich die Second-Life-Welt – relativ perfekt etwa in »Matrix Revolutions«. Komplett computerisierte Scheinwelten, denen man die Künstlichkeit ansieht, nehmen die Zuschauer noch nicht an. Umgekehrt hat man sich an das Auftreten von »Jurassic-Park«-Dinosauriern zu sehr gewöhnt, als dass sie einen aus dem Kinosessel rissen. Inhalte bieten keine Orientierung mehr – da müsste man schon auf dem Weg in die neue Gesellschaft sein. Also muss die Ästhetik rausholen, was die Welt nicht hergibt. Der Regisseur macht sich als Formsucher auf den Weg.

Ein weiterer dieser Versuche ist »The Good German« von Steven Soderbergh, der von der Kritik gelinde gesagt den Arsch voll gekriegt hat.

Soderbergh, den der Vorwurf der Inhaltsleere seit seinem Anfangserfolg »Sex, Lügen und Video« verfolgt, hat sich darangemacht, die Kinogeschichte auf ihre Formensprache abzuklopfen. Hängen geblieben ist er beim Schwarz-Weiß-Film der vierziger Jahre und gleich auch noch beim Studio-System dieser Zeit – Kennzeichen: Starbesetzung, keine Außendrehs.

Um die Zeit 60 Jahre zurückzudrehen, verfuhr Soderbergh nach allen Regeln der Strasberg-Schule. Die schlägt normalerweise ihren (Schauspiel‑) Schülern vor, sechs Monate bei McDonald’s zu arbeiten, wenn sie eine Szene in der Imbissbude haben. Alles soll so echt wie möglich sein.

Soderbergh hat sich in diesem Sinne mit alten Kameras und Schneideapparaten versorgt. »The Good German« reagiert auf das eingangs beschriebene Szenario des Kinos mit einem entschiedenen back to the roots.

Die hochkarätige Besetzung – George Clooney, Cate Blanchett – gerät so zur Requisite. Sie sind Teil einer zu schaffenden Atmosphäre typischer Spionage- und Nachkriegsfilme. Die Schauspieler treiben ein doppeltes Spiel. Clooney/Blanchett sind in »Casablanca« und dem »Dritten Mann« unterwegs, aber dennoch sollen sie eine eigene Geschichte erzählen wollen.

Atmosphäre unterliegt aber dieser Tage dem Klimawandel. So hat Soderberghs Hofstaat das Kunststück zu vollbringen, zweimal jemand anderes zu sein, und in verschiedenen Szenen noch einmal in ganz verschiedenen Rollen.

Wie das Spiel, so ist auch die Geschichte mehrfaches Versatzstück. Clooney kommt als Reporter Jack Geismar, ehemals Leiter des deutschen AP-Büros, in das zerstörte Berlin zurück, um über die Potsdamer Verhandlungen zu berichten. Nun trifft er unter einigen Verwicklungen seine ehemalige Kollegin und Liebe Lena Brandt (Blanchett) wieder – alles vor dem Hintergrund einer Ruinenlandschaft und weltpolitischer Entscheidungen von der Aufteilung Europas bis zur Entwicklung der Wasserstoffbombe. Das Personal hat sich inmitten unklarer Kräfteverhältnisse einzurichten – in aller Konsequenz mit Sex, Lügen und Wochenschaukamera: Werden sie sich kriegen? Wer hat gemordet? Wer zieht die Fäden?

Nichts ist, wie es scheint. Geismars Fahrer Tully (Tobey Maguire) ist ein korrupter Schwarzhändler. Lena hat mehr als eine Leiche im Keller. Soeben beginnt der Kalte Krieg – als brain drain deutscher Raketenwissenschaftler, deren Mitverantwortung am Holocaust vertuscht werden muss, um sie für die amerikanische Weltraumforschung nutzen zu können.

Geheimdienste belauern sich, es setzt Veilchen, einer ist tot, wir befinden uns auf gefährlichem Terrain, eine Liebe ist unmöglich, es startet das Flugzeug unter Tränen und Maschinengewehrfeuer. Und der gute Deutsche ist, wenn nicht gleich Geismar selbst, wie sollte es anders sein – ein SS-Mann im Keller, der den großen Skandal aufdecken kann, aber das ist bitteschön nicht zu verallgemeinern. Dafür rennen schon viel zu viele gute Deutsche, die der Zufall zu Nazis gemacht hat, im Kino herum.

Soderbergh ist von Haus aus Cutter, und so versucht er, seine Aufgaben technisch zu lösen. Er schafft Atmosphäre, wo Klarheit gefragt ist. Nicht eine dichte, eine eklektizistische Geschichte ist sein Ding.

Seine Darsteller spielen gegen ihre doppelten Rollen an, sie sperren sich, sind Geismar und Brand, und wollen doch Clooney und Blanchett bleiben. Dass ein Regisseur es schafft, seine Schauspieler bei all ihrer Professionalität noch als Amateure erscheinen zu lassen, ist schon eine Besonderheit an sich. Der eindimensionale Zuschnitt der Figuren hätte Marionetten verlangt. Soderbergh hat die Geschichte folgerichtig zunächst als Zeichentrickfilm geplant.

Es ist, als ob Toby Maguire sich selbst auf Papier zeichnen müsste, um Spiderman zu spielen, der dann als Zeichentrickfigur auf die anderen Zeichentrickfiguren träfe, um dann als Spiderman in »The Good German« den Fahrer George Clooneys alias Jack Geismar zu spielen. Kein Wunder, dass sich der ganze Film in Tullys Intrigen verheddert – er selbst ist ihr erstes Opfer.

Atmosphäre statt Schauspiel – Soderbergh als Ambient-Popper des Kinos: Ob sein Verfahren, Vergangenheit als etwas Authentisches in die Gegenwart zu transferieren, in dem er das filmische Gedächtnis der Zuschauer sehr ernst nimmt, funktioniert, sei dahingestellt.

Dennoch ist der Versuch bemerkenswert. Nicht zuletzt, weil Soderbergh tatsächlich diese eine Szene gelingt, die sein gesamtes Anliegen zusammenfasst, gleich zu Beginn. Nach einer der damaligen Zeit perfekt nachempfundenen Wochenschau gibt uns »The Good German« einen Moment Ruhe. Die Kamera ruht auf den täuschend echt inszenierten Ruinen Berlins. Dann schwenkt sie um wenige Grad, der Spielfilm beginnt. Und alles, was die nächsten Stunden dort folgt, murder, mystery, Clooney, Blanchett, sieht exakt aus wie Wochenschau.

Diese Szene ist der Dreh- und Angelpunkt von »The Good German«: die zentrale Lüge des Illusionstheaters, die das Gespielte zur historischen Wahrheit werden lassen will.

Kein geringer Anspruch, an dem man scheitern kann.

The Good German. USA 2006. R: Steven Soderbergh, D: George Clooney, Cate Blanchett. Start: 1. März