What a Peeling!

Die Biografie des Radiogenies John Peel. von uli krug
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Er war sicherlich der »einflussreichste DJ der Welt«, wie der deutsche Titel seiner Memoiren lautet: John Peel, der im Oktober 2004 65jährig einem Herzinfarkt erlag. Und er war zugleich eine Anomalie innerhalb seiner Zunft. Die Kombination aus trocken-selbstironischer Präsentation und gnadenloser Kuriosität der Musikauswahl unterschied ihn 35 Jahre lang radikal von allen anderen Radio-DJs, die als Schießbudenfiguren des Rock’n’Roll angesehen werden können, die statt der Gitarre nur den Plattenspieler bedienen können und deshalb krampfhaft versuchen, dieses Manko durch Geschwätzigkeit auszugleichen.

Nicht zuletzt deshalb charakterisierte Peel 1969 in einer Zeitungskolumne seinen Berufsstand, zu einer Zeit, als die »John Peel Roadshow« bereits als eine Art Vorband und After-Show zugleich Acts wie Jimi Hendrix Experience oder Led Zeppelin begleitete, folgendermaßen: »Es ist offensichtlich, dass Discjockeys im Grunde genommen eine Kaste von Parasiten darstellen. Wir sind – mit beklagenswert wenigen Ausnahmen – weder kreativ noch produktiv.«

Was auf John Peel nicht zutraf, da er äußerst unterhaltsam und amüsant schreiben konnte; eine Tatsache, die seinen jetzt vorliegenden Memoiren sehr zum Vorteil gereicht und dadurch Peels Autobiografie von denen anderer Pop-Personalities genauso unterscheidet, wie sich auch sein Moderationsstil und sein Geschmack schon immer unterschieden hatten.

Denn er interpretierte seine Rolle nicht als Trittbrettfahrer der Teenage-Industrie, sondern als eine Art Entwicklungshelfer in den von dieser Industrie vernachlässigten Gefilden. Das machte ihn zu einem unprätentiösen Kenner in den Labyrinthen des Abseitigen. Seine ruhige Brummstimme kontrastierte wunderbar mit den brachialen Stilwechseln, die seine Sendungen kennzeichneten – binnen zehn Minuten konnte es da von der jamaikanischen Reggae-Untergrund-Pressung über rasenden ­Thrash-Metal zu einem in Mono knisternden Südstaaten-Blues der vierziger Jahre gehen. Wahrlich strange fruit, die der BBC-World-Service seinen Hörern überall auf dem Globus vorsetzte.

Strange Fruit war auch der Name der Plattenfirma, die Peel Anfang der Achtziger gründete und die hauptsächlich die so genannten Peel Sessions veröffentlicht, auf die sich der weltweite Ruhm Peels als Mentor und Förderer des New Wave gründete. Für diese Sessions wurden Bands ins Studio eingeladen, um ihre Stücke in kürzester Zeit und ohne aufwändige Produktion einzuspielen. Peels Lieblingsband The Fall tat dies gar 32 Mal, und die Karriere von The Damned beispielsweise hätte es ohne diese Sessions wahrscheinlich so nicht gegeben.

Ein Großteil der von Peel in seinen Sendungen vorgestellten Musik war vorher überhaupt noch nie im Radio gelaufen. Deshalb setzten Amateurbands aus aller Welt ihre Hoffnungen auf den Mann, der den Spitznamen »right time, right place, wrong speed« trug – »wrong speed« war eine Anspielung darauf, dass Peel häufig die falsche Abspielgeschwindigkeit wählte –, und bombardierten ihn wöchentlich mit Demobändern in der Gesamtlänge von etwa 250 Stunden. Ein nicht abzuarbeitender Berg, weshalb Peel in seinen Memoiren dafür Abbitte leistet, dass er viele Demos ungehört wegschmeißen musste: »Also entschuldigt bitte, Mip, Autolump, What’s That, 84 Days, Bitten By A Monkey, Wake-Up Call, Pocket Gods und all ihr Tausende von Bands.«

Immerhin lernen aufstrebende Musiker von ihm, welche Formulierungen sie in Bandinfos besser unterlassen. »Nicht das Wort ›Jazz‹ verwenden, bitte die Behauptung unterlassen, dass ihr Zeit eures Lebens Fans von den New York Dolls, den MC 5 oder den Stooges seid (dies bedeutet, dass es sich bei euch mit großer Wahrscheinlichkeit um Deutsche oder Schweden handelt, die in Lederklamotten herumlaufen und Ende Dreißig sind), und verzichtet, wenn möglich, auf Saxofonisten.«

Peel hatte nämlich eine veritable Abneigung gegen alles entwickelt, was mit Prog­rock zu tun hatte, so wie eben »Jazz« oder Saxofone. Dabei war er einst geradezu ein Vorzeige-Hippie des Swinging London, der Kunstpelzmäntel trug, am liebsten Pink Floyds »Pipers At The Gates Of Dawn« hörte und um seine Matratze stets Räucherstäbchen glimmen ließ. Seine Sendung »Perfumed Garden«, die er seit 1967 für den legendären Piratensender Radio London moderierte, der von einem in der Themsemündung ankernden Seelenverkäufer sendete, war das Dorado psychedelischer Musik.

Die spätere Aversion war wohl nicht nur allein der Erschöpfung geschuldet, in die die Rockmusik Mitte der siebziger Jahre verfiel, sondern hatte sicher auch mit den in seinen Memoiren wunderbar augenzwinkernd geschilderten Umständen seines Vorlebens als John Ravenscroft zu tun. Vor allem mit den snobistischen Jazz-Zirkeln auf der Public School, denen John gerne einmal die Platten des Skiffle-Königs Lonnie Donegan, der Blues-Legende Lightnin’ Hopkins und der R’n’R-Heulboje Gene Vincent um die Ohren gehauen hätte, und der damals begründeten Sehnsucht Peels nach den unverbrauchten Anfängen der Rockmusik, die er später im Punk, Reggae oder HipHop unbedingt wiederentdecken wollte.

Doch das ist nur am Rande Thema der äußerst unterhaltsam zu lesenden Memoiren. Zumindest sind die Teile des Buchs amüsant, die aus Peels eigener Feder stammen. Sein plötzlicher Tod lässt die Autobiografie nämlich irgendwann um 1963 abbrechen. Peel befindet sich zu dieser Zeit in Texas, um Farmern Hagelversicherungen zu verkaufen, nachdem er zuvor zwei Jahre bei der Artillerie Ihrer Majestät »zusammen mit vor Testosteron berstenden Kollegen in dem Bärenzwinger von Schlafsaal« und eine ganze Jugend in der Public School zugebracht hatte. Dort immerhin hatte sein Schulleiter Brooke, dem die Autobiografie gewidmet ist, »angedeutet, dass es vielleicht möglich wäre, aus meiner Vorliebe für lärmige Schallplatten und meinem Hang zu überlangen, humorigen Aufsätzen eine Art Albtraumkarriere zu basteln«.

Den größeren Teil der Memoiren hat Peels Ehefrau Sheila mit Hilfe der hinterlassenen Tagebücher aufgeschrieben. Auch sie verfügt über eine gute Portion Humor, aber leider ist ihre Perspektive zwangsläufig eine andere. Das ist ein Manko, aber kein Grund, auf die hervorragend übersetzten Memoiren des fanatischen FC Liverpool-Anhängers John Peel zu verzichten, für den das erste Mal Elvis Presley im Radio zu hören »definitiv in einer Liga ist mit dem Moment, als ich Sheila zum ersten Mal begegnet bin, und dem Treffer von Alan Kennedy gegen Real Madrid im Parc des Princes in Paris«.

John Peel: Memoiren des einflussreichsten DJs der Welt. Aus dem Englischen von Christoph Hahn. Rogner & Bernhard, Berlin 2006, 480 Seiten, 24,90 Euro