Die Oligarchen sind hungrig

Die bolivianische Opposition verschärft den Kampf gegen Präsident Morales. Besonders umstritten ist die Landreform. von benjamin beutler

Ich kann nicht verstehen, dass sich einige Familien im Hungerstreik befinden, um ihre Privilegien zu verteidigen«, sagte der bolivianische Präsident Evo Morales auf einer Pressekonferenz in Nigeria, wo in der vergangenen Woche der erste Afrikanisch-Südamerikanische Gipfel stattfand.

Morales ist viel unterwegs gewesen in letzter Zeit, unter anderem in den Niederlanden, um dort über technologische Unterstützung bei der Gasförderung und einen Rückkauf der Aktien vom Energiekonzern Total-Shell durch den bolivianischen Staat zu verhandeln. Doch während seine reformerischen Absichten im Ausland keine sonderlich gravierenden Gegenreaktionen hervorzurufen scheinen, setzt sich der heftige Protest der inländischen Oligarchie fort.

Morales gewann die Präsidentschaftswahl vor knapp einem Jahr, die von ihm geführte »Bewegung zum Sozialismus« (Mas) stellt die Mehrheit der Abgeordneten, aber nur zwölf von 27 Senatoren in der zweiten Kammer des Parlaments. Auch die meisten Gouverneure sind Oppositionelle. Die inländische Oligarchie nutzt die ihr verbliebene Macht und versucht, die von Morales geplanten Reformen zu verhindern. Sieben der neun Gouverneure haben jegliche Zusammenarbeit mit der Zentralregierung abgebrochen, als ein Dekret verabschiedet wurde, das ihre Absetzung bei Amtsdelikten ermöglicht. Zudem boykottierte die Opposition die Senatssitzungen, um eine Abstimmung über die Landreform zu verhindern.

Sie wirft Morales undemokratisches Verhalten vor. Tatsächlich nutzen der Präsident und der Mas konsequent ihre institutionelle Macht und versuchen, mit Aufrufen an die Bevölkerung Druck auszuüben. Das gleiche tun jedoch auch Morales’ Gegner, auch sie beschränken ihre Aktivitäten nicht auf die Institutionen. Vor allem im wirtschaftlich besser gestellten Osten des Landes organisieren sie Demonstrationen, Streiks und Blockaden. Aufgebrachte Farmer und Großgrundbesitzer, nicht selten in teuren All­rad­jeeps und Traktoren sitzend, machen Stimmung gegen den »antidemokratischen Tyrannen Morales«. Medienwirksam trat der Großindustrielle, Inhaber der Burger-King-Lizenz für Bolivien und Vorsitzende der Oppositionspartei Nationale Einheit (UN), Doria Medina, in den Hungerstreik, dem sich etwa 150 Mitstreiter anschlossen.

Dem Putsch gegen die Reformpolitik Salvador Allendes in Chile war eine ähnliche Kampagne vorausgegangen. Arbeitet auch die bolivianische Oligarchie auf ein Eingreifen des Militärs hin? »Das Auslösen künstlicher Konflikte, die Verteufelung des Mas und des Präsidenten, wirtschaftliche Sabotage, gesellschaftliche Spaltung sowie die Förderung ethnischer Unterschiede und der geographischen Teilung des Landes« seien die einen Staatsstreich vorbereitenden Mittel sich formierender Putschisten, die nur noch einen geeigneten Moment abwarten würden, sagt Eduardo Andrade Bone, ein einstiger Widersacher Pinochets.

Gänzlich abwegig sind solche Überlegungen nicht, im Februar 2002 fand in Venezuela der Versuch eines Putsches gegen Hugo Chávez statt, und bei den Auseinandersetzungen in Bolivien im vergangenen Jahr drohte die Militärführung mit einer Intervention. Allerdings herrscht im Offizierskorps offenbar keine Einigkeit, und es scheint im Militär auch Unterstützer der Politik des Präsidenten zu geben, zumindest was die Maßnahmen gegen ausländische Konzerne betrifft.

»Niemand kann diese demokratisch-kulturelle Revolution aufhalten«, sagte Morales im Oktober in La Paz vor 50 000 Anhängern. Die einflussreichen sozialen Bewegungen unterstützen ihn weiterhin, und mit ihrer Hilfe will der Mas die Blockade der Oppositionsparteien Podemos und UN im Kongress beenden. »Die Bewegungen haben einen entscheidenden Einfluss auf die Verabschiedung des jüngst beschlossenen Gesetzes zur Agrarreform genommen«, sagt der Sekretär der Bolivianischen Arbeitergewerkschaft (COB), Zoísmo Paniagua. Zur Abstimmung über das Gesetz zur Umverteilung des Landbesitzes kamen Tausende indigene Bauern in die Hauptstadt La Paz.

Die Verabschiedung der Landreform im Senat gelang doch noch, weil drei Abtrünnige ihren Boykott beendeten. So kam das erforderliche Quorum von 15 Senatoren zustande, die Anwesenden stimmten für die Novelle, die nun als Grundlage für die zuvor proklamierte »Agrarrevolution« dient.

Vier Maßnahmen sind vorgesehen: die Neuaufteilung von Grund und Boden, die Mechanisierung der Landwirtschaft, ein »Handelsvertrag der Völker« anstelle des Freihandelsvertrags TLC sowie eine Ausrichtung des Agrarsektors auf ökologische Produkte. Vor allem die Neuaufteilung stößt auf den Widerstand der ostbolivianischen Großgrundbesitzer. Eine Enteignung sieht das neue Gesetz nur vor, wenn Land unrechtmäßig erworben wurde oder nicht bewirtschaftet wird. Da viele sich ihr Land durch Korruption und Nepotismus beschafft haben, fürchten sie um ihren Besitz.

Bislang sind nach Angaben der Regierung 90 Prozent des nutzbaren Bodens in den Händen weniger Großfamilien. Von der Neuverteilung sollen Tausende landlose Bauern profitieren. Allzu tiefgreifend ist die »Agrarrevolution« nicht, so wurde keine Höchstgrenze für das Landeigentum festgelegt. Die Großgrundbesitzer behalten vorerst ihre ökonomische Macht, sehen aber ihre privilegierte gesellschaftliche Stellung gefährdet und fürchten vielleicht nicht zu Unrecht, dass schärfere Maßnahmen folgen könnten. Sie spielen eine zentrale Rolle bei den Protesten gegen Morales.

An Popularität gewonnen, auch bei manchen seiner Gegner, hat Morales dagegen durch die Ratifizierung von 44 neu ausgehandelten Verträgen mit den privaten Energieunternehmen im Rahmen der »Nationalisierung der fossilen Brennstoffe«. Sie erhöhen den staatlichen Gewinnanteil auf 82 Prozent, die Unternehmen werden zudem zu Investi­tionen in Bolivien verpflichtet. Mit den Mehreinnahmen sollen soziale Programme finanziert werden.

Einen weiteren Erfolg konnte der Mas in der Verfassunggebenden Versammlung verbuchen, die Bolivien legislativ »neu gründen« soll. Hier gelang es, den umstrittenen Abstimmungsmodus zu regeln. Für die Verabschiedung der einzelnen Artikel genügt, außer bei besonders umstrittenen Themen, die absolute Mehrheit, über die der Mas verfügt. »Das Volk hat nicht nur das Recht, alle fünf Jahre den Präsidenten, seinen Stellvertreter und die Abgeordneten zu wählen. Ab jetzt bestimmt das Votum des Volkes das Schicksal und die Zukunft seines Landes«, sagte Morales. Für die Verabschiedung des Abschlusstextes, der eine politische Neuordnung garantieren soll, benötigt er allerdings eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die nur mit der Zustimmung oppositioneller Abgeordneter zustande kommen kann.