Verdächtige Gegentore

Bereits zu Sowjetzeiten waren Spielabsprachen und Bestechungen im Fußball üblich. Nun aber hat die russische Öffentlichkeit genug davon. von elke wittich

Nach dem Match, das wegen zweier nicht ge­gebener Tore und eines äußerst fragwürdigen Elfmeters verloren gegangen war, hatte die Vereinsführung von Zenit St. Petersburg genug. Die 1:0-Niederlage im Spiel gegen ZSKA Moskau sei durch die Bestechung des Schieds­rich­ters zustande gekommen, behauptete sie, das Match müsse deswegen wiederholt werden. St. Petersburger Politiker forderten die Staatsanwaltschaft einen Tag später auf, Ermittlungen gegen die Führung von ZSKA einzuleiten.

Korruption und Spielabsprachen sind für russische Fans nichts Neues, bereits zu Sowjetzeiten war es üblich, Ergebnisse vorher festzulegen. Neu ist dagegen, dass Unregelmäßigkeiten offen angesprochen werden. Igor Schewschenko, der Chef­analyst der Buchmacher-Firma Shan, ging bereits vor Wochen in einem Interview davon aus, dass an jedem Spieltag mindestens ein Match ­abgesprochen werde. Und Oleg Tschurawsky, der Geschäftsführer des Buchmacherverbandes, sagte: »Wir bekommen normalerweise Tipps von den Spielern, die uns Bescheid sagen, wenn so eine Absprache unter Dach und Fach ist.« Hohe Wetten auf den Ausgang eines Spiels werden dann nicht mehr akzeptiert, der Einsatz werde auf umgerechnet knapp 20 Euro begrenzt.

Als Beispiel nannte Schewschenko das Spiel FK Ros­­tow gegen Luch Wladiwostok aus der vorigen Woche, bei dem die Heimmannschaft schon vorher als Sieger ausgemacht gewesen sei. Es sei offenkundig, »dass die beiden Vereine zu Saisonbeginn vereinbart hatten, die sechs Punkte aus dem Hin- und dem Rückspiel sozusagen aufzuteilen – das ist das klassische, noch aus der Zeit der Sowjet­union stammende Schema«.

Und ein verbreitetes noch dazu. »Was für eine Farce!« schrieb erst im vorigen Monat der russische Journalist Boris Bogdanow in der Sportzeitung Sport Express über das 2:1 von Krylia Svietov gegen Tomsk. Wie im Hinspiel, das von den Tomskern mit 2:1 gewonnen worden war, hatten die Spieler nach dem Erreichen des vermut­lich zuvor ausgehandelten Ergebnisses die Arbeit eingestellt und nicht einmal anstandshalber so getan, als bemühten sie sich um weitere Torchancen oder gar den Ausgleich. Der Gegentreffer sei ein Kennzeichen für ein abgesprochenes Spiel gewesen, stellte Bogdanow fest, ge­schobene Matches endeten in Russland traditionell mit einem 2:1, »weil das eben nicht so verdächtig aussieht wie ein 1:0«.

Als einer der Hauptprotagonisten der Korruption im russischen Fußball gilt der Präsident der ersten Liga, Jewgeni Giner, der gleichzeitig Vorsitzender von ­ZSKA Moskau ist. Giner, von Kritikern »GVK« genannt (Abkürzung für »Giner vyso kupil«, zu deutsch.: Giner hat alles gekauft), wurde in der Vergangenheit be­reits mehrfach von Spielern, Präsidenten anderer Clubs und Fans beschuldigt, zumindest die Schiedsrichter stark zu beeinflussen, was er vehement leugnet.

Fest steht dagegen, dass die reichen Moskauer Vereine vor den Spielen gegen ZSKA finanzielle Motiva­tions­hilfe leisten. Verboten ist dies nach den Regeln des russischen Verbandes nicht. »Wo immer wir spie­len, ist ein gepanzerter Geld­transporter schon da«, hatte sich bereits zu Saisonbeginn Igor Titow, Kapitän von Spartak Moskau, beschwert. Umgerechnet 500 000 Euro, so bestätigen Insider, habe beispielsweise der Tabellenletzte Shinnik Yaroslavl vor seinem Spiel am 29. Oktober gegen den Lokalrivalen Spartak bekommen und sich prompt derart angestrengt, dass das Match unentschieden ausging.

Am vorletzten Sonntag ist Giner allerdings möglicherweise zu weit gegangen. Die Proteste von Zenit St. Petersburg zeitigten bereits einen Teilerfolg: Der Schiedsrichter und die beiden Linienrichter des Spiels wurden suspendiert.

Drei Tage später verlor ZSKA völlig überraschend gegen Samara. Und musste erfahren, dass der Ruf des Clubs derart ruiniert ist, dass er nicht einmal mehr Punkte abgeben kann, ohne finsterer Machenschaften verdächtigt zu werden. ZSKA habe das Spiel absichtlich verloren, um den aufgebrachten russischen Fußballfans zu beweisen, dass man auch unvorhergesehen verlieren könne und an den Vorwürfen der Schiebe­rei nichts dran sei, vemutete die Tageszeitung Komsomolzkaja Prawda.

Langjährige Kenner des sowjetischen und des russischen Fußballs werten die offenen Anschuldigungen und Proteste von Journalisten und Fans als hoffnungsvolles Zeichen dafür, dass Ergebnisabsprachen nicht länger akzeptiert werden.

Allerdings werde sich an der herrschenden Praxis erst etwas ändern, wenn Polizei und Staats­anwaltschaft endlich gegen bestimmte Clubs ermittelten, glaubt Boris Bogdanow. Oder wenn ein Insider den Mut hat, detailliert auszupacken, »wie es in Italien und Frankreich ja auch gesche­hen ist«.