Die Tiger haben den Kanal voll

In Sri Lanka führte ein Konflikt um die Wasserverteilung zu Kämpfen zwischen Regierungstruppen und der LTTE. Die muslimische Zivilbevölkerung wird von beiden Seiten attackiert. von peer bruch

Beide Seiten wollen nicht von einem Krieg sprechen. Doch allein in der ersten Augustwoche starben trotz des seit 2002 geltenden Waffenstillstands rund 300 Menschen bei Kämpfen und Attentaten in Sri Lanka. »Die Situation ähnelt wieder den Kriegszeiten«, stellt Heinz Seidler, Koordinator für die Deutsche Welthungerhilfe in Colombo, fest. Anders als bei früheren Zwischenfällen drangen die Truppen der Regierung und der tamilischen Guerillaorganisation Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) in die vom Gegner gehaltenen Gebiete vor.

Angefangen hatte die neuste Eskalation verhältnismäßig harmlos. Die LTTE schloss im Juli die Sieltore eines Wasserkanals und setzte die Bauern im Gebiet südlich von Trincomalee aufs Trockene. Seit Monaten herrscht dort ein Disput über die Verteilung des mit internationalen Hilfsgeldern errichteten Versorgungskanals, der sowohl von der Regierung als auch von der LTTE kontrollierte Gebiete durchzieht. Die srilankische Armee setzte daraufhin Soldaten in Marsch, um die Wasserschleusen wieder zu öffnen. So stellte es jedenfalls die Regierung dar. Die Tigers wiederum sprechen von einer unangemessenen Truppenmassierung, die unter einem Vorwand eine Offensive starte.

Der Vorstoß geriet ins Stocken, da das Gebiet weiträumig vermint war und Kommandoeinheiten der LTTE immer wieder die rund 3 000 Soldaten angriffen. Daraufhin bombardierte die srilankische Luftwaffe das Gebiet, bis am Freitag die Sielanlagen erobert wurden. Gleichzeitig intensivierten sich die Kämpfe in der Umgebung. Die Tigers eroberten mindestens vier Armeecamps und konnten zeitweise die Stadt Muttur einnehmen. Diese hat eine besondere strategische Bedeutung, weil von ihr aus der Hafen in Trincomalee beschossen werden kann, über den ein Großteil des Nachschubs für die Armee in der Region läuft.

Die 30 000 mehrheitlich muslimischen Bewohner Mutturs sind dabei im doppelten Sinne zwischen den Fronten gefangen. Einerseits gerieten sie unter Artilleriebeschuss beider Seiten und mussten tagelang in Moscheen, Schulen und Krankenhäusern Zuflucht suchen. Bei Granateinschlägen in zwei Schulen starben mindestens 27 Stadtbewohner. Andererseits stehen sie zwischen der Regierung und der LTTE, die ihnen jeweils Kooperation mit der anderen Seite vorwerfen. Der Zeitschrift Outlook India zufolge soll es bei Muttur zu einem Massaker an Flüchtlingen mit über 100 Toten gekommen sein.

Nachdem Einheiten der Sea Tigers einen Marinekonvoi angegriffen hatten, wurden die Beschränkungen für Fischer verschärft, wodurch sich die Lebensbedingungen für Tausende Fischerfamilien verschlimmern. Auch auf der nördlichen Halbinsel Jaffna kam es zu Gefechten.

In der Hauptstadt Colombo könnte eine weitere Zuspitzung zu einem Zusammenschluss der Regierungs- und Oppositionsparteien in einer »Kriegsregierung« und einer Aufkündigung des ohnehin brüchigen Waffenstillstands führen. Unter dem seit einem Jahr monatlich verlängerten Notstandsrecht wurden Hunderte Tamilen verhaftet, darunter Journalisten und Menschenrechtsaktivisten. Singhalesisch-nationalistische Kräfte verschärfen derweil den innenpolitischen Druck durch Hetzkampagnen in ihnen nahe stehenden Medien.

Am Freitag reiste der norwegische Unterhändler Jon Hanssen-Bauer nach Sri Lanka. Im Anschluss an Gespräche mit der Regierung flog er am Wochenende zu LTTE-Führer Velupillai Prabhakaran nach Kilinochi weiter. Nach seinem Eintreffen ebbten die Kämpfe im Nordosten etwas ab. Gleichwohl ist er in einer schwierigen Mission unterwegs, denn nach dem angekündigten Rückzug der skandinavischen EU-Mitgliedstaaten werden ab September nur noch 30 Norweger und Isländer für die Beobachtermission vor Ort sein. Eine gute Voraussetzung für eine weitere Eskalation.