Halbherzige Freunde

In den Regierungsparteien gehen die Meinungen zum Nahostkonflikt auseinander. Kritik an Israel kommt vor allem von Sozialdemokraten. von richard gebhardt

Im Anschluss an die Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses zur Lage im Nahen Osten beklagte der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Wolfgang Gehrcke, die Bundesregierung sei »weitgehend abgetaucht« und verstecke sich hinter der in St. Petersburg beschlossenen Resolution der G 8. Diese hatte als »Voraussetzungen für eine dauerhafte Einstellung der Gewaltanwendung« die »Freilassung der entführten israelischen Soldaten« und die »Einstellung des Beschusses Israels« sowie einen »Stopp der israelischen Militäroperationen« und den »Rückzug der israelischen Truppen aus dem Gaza-Streifen« gefordert.

Auch wenn das Kabinett Merkel mit den Forderungen nach einer »Waffenruhe unter den Bedingungen der G 8-Erklärung« vordergründig zurückhaltender ist als die französische, spanische oder italienische Regierung, täuscht der Eindruck der Untätigkeit. Tatsächlich steht die Große Koalition nach der beinahe ohne interne Kontroversen zustandegekommenen Zustimmung zu den deutschen Militär­einsätzen im Kongo vor der ersten außenpolitischen Herausforderung.

Zwar lehnt die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) offiziell eine »besondere Vermittlerrolle« der Bundesregierung im Nahen Osten ab. Allerdings betreiben Repräsentanten deutscher Institutionen dort längst Politik. Noch bevor Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Wochenende zu einer zweitägigen Reise in den Nahen Osten aufbrach, begann das Auswärtige Amt im Libanon die »größte Rückholaktion in der deutschen Geschichte« (Spiegel online) und ermöglichte deutschen Staatsbürgern die Ausreise.

Seit Tagen mehren sich zudem Informationen über die Tätigkeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Nahen Osten. Die Süddeutsche Zeitung spekulierte über den »BND, die Hizbollah und viele verworrene Drähte« in der Region und berichtete, dass der Führer der Hizbollah, Scheich Hassan Nasrallah, »die Deutschen gern als ›ehrliche Makler‹ preist«. Vor zweieinhalb Jahren hat Deutschland zuletzt erfolgreich zwischen Israel und Vertretern der Hizbollah vermittelt. Damals ging es um den Austausch von Gefangenen gegen eine israelische Geisel und die Leichen dreier getöteter Soldaten. Maßgeblich an den Gesprächen beteiligt waren der damalige Leiter des Kanzleramts und heutige Außenminister Steinmeier und Ernst Uhrlau, der im Jahr 2004 noch Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt war und heute Präsident des Bundesnachrichtendienstes ist.

In der Großen Koalition existieren unterschiedliche Meinungen zum Einsatz im Nahen Osten. Gern und ausgiebig wird über eine mögliche deutsche Beteiligung an einer Mission der Uno im Libanon diskutiert, auch wenn sie für Israel derzeit überhaupt nicht zur Debatte steht. Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) lehnte in mehreren Stellungnahmen eine deutsche Beteiligung an einem »Friedenseinsatz« im Nahen Osten ab. Dagegen zitierte Bild am Sonntag den Vorsitzenden der SPD, Kurt Beck, mit den Worten, eine Beteiligung deutscher Soldaten sei »im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft nicht mehr undenkbar«. Bereits im Jahr 2002 zeigte der damalige Kanzler Gerhard Schröder seine Bereitschaft, Bundeswehrsoldaten in den Nahen Osten zu schicken, »um die Konfliktparteien zu trennen«.

In Schriften der Friedrich-Ebert-Stiftung wurde diese von Kurt Beck nun aktualisierte Überzeugung bereits mehrfach geäußert. Fragen wie die, ob dann auch Bundeswehrangehörige aus den nach Wehrmachtsgenerälen benannten Kasernen ausrücken müssten oder ob die im Ernstfall notwendigen Schüsse auf israelische Militäreinheiten ebenfalls zur Traditionspflege deutscher Soldaten zählen, ließ Beck unbeantwortet.

Es sind vor allem Sozialdemokraten, die von der offiziellen Politik der Bundesregierung abweichen. Auf scharfe Kritik des Zentralrats der Juden in Deutschland stieß in der vorigen Woche eine Äußerung der Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD). Während Verteidigungsminister Jung im Spiegel die traditionelle Formel von der geschichtlichen Verantwortung gegenüber dem Staat der Juden wiederholte, verurteilte die zum so genannten linken Flügel der SPD zählende Ministerin die Militäraktionen Israels. »Dass mitt­lerweile zivile Einrichtungen und Zivilisten in einem anderen Staat bombardiert werden, ist völkerrechtlich völlig inakzeptabel«, sagte sie dem Tages­spiegel.

Der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, kommentierte die Äußerung mit den Worten, Kurt Beck solle sich fragen, »ob eine solche Entwicklungshilfeministerin im Namen der Sozialdemokraten noch tragbar ist«. Unterstützung erhielt Wieczorek-Zeul vom Generalsekretär ihrer Partei, Hubertus Heil. Sie habe schließlich das Existenzrecht Israels anerkannt. Darüber dürften sich die Israelis in den Luftschutzbunkern gefreut haben. Heil stellte auch den Konsens der Regierenden der G 8-Staaten, als ersten Schritt zur Entspannung der Lage die Befreiung der entführten israelischen Soldaten zu fordern, in Frage. »Uns geht es zunächst mal um einen sofortigen Waffenstillstand in der Region«, zitiert ihn die Passauer Neue Presse.

Irritierend an den Äußerungen führender Politiker der SPD ist nicht die Empörung über das Leid der flüchtenden Bevölkerung und die Zerstörung der zivilen Infrastruktur im Libanon. Bezeichnend sind Zeitpunkt und Anlass der Kritik. Diese blieb zum Beispiel aus, als noch vor der Entführung israelischer Grenzsoldaten die Hizbollah israelische Wohngebiete mit Katjuscha-Raketen unter Beschuss nahm und so das Völkerrecht brach. Ohnehin ist der sozialdemokratische Bezug auf das Völkerrecht eine Floskel, nicht erst seit die damalige rot-grüne Bundesregierung die Bombardierung Belgrads und der jugoslawischen Infrastruktur unterstützte.

In der Phase der sich abzeichnenden Differenzen in der Großen Koalition erreichte Bundeskanzlerin Merkel ein Brief des iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad, in dem dieser nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erneut das Existenzrecht Israels verneint, seine revisionistischen Meinungen zum Holocaust bekräftigt und die Kanzlerin zum »gemeinsamen Kampf gegen den Zionismus« auffordert. Der Iran aber ist das Land, mit dem die Bundesregierung traditionell einen »kritischen Dialog« führt. Martin Schulz, der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, hofft auf »diejenigen, die die Kontakte in der Region herstellen, um einen Dialog, einen Friedensdialog, der dauerhaften Frieden bringen könnte, herzustellen«. Er erinnerte im Deutschlandfunk an das längst obsolet geglaubte »Quartett, bestehend aus der Uno, der EU, den Vereinigten Staaten und Russland«. Sein grüner Parlamentskollege Daniel Cohn-Bendit brachte zusätzlich den ehemaligen Außenminister Joschka Fischer ins Gespräch, der eine Vermittlerrolle übernehmen solle.

Wenn aber schon jetzt die Uno-Resolution 1 559, die die Auflösung der Milizen im Libanon und die Entwaffnung der Hizbollah fordert, nicht durchgesetzt werden kann – warum sollten sich Hizbollah, Hamas und Islamischer Djihad nach einem »sofortigen Waffenstillstand in der Region« dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments und anderen diskursethischen Finessen der europäischen »Dialogkultur« zugänglich zeigen?

»Internationale Kritik lässt Israel kalt«, meldete Spiegel online besorgt. Vielleicht deshalb, weil dort sogar bei vielen dialogwilligen Friedensfreunden wie etwa dem Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels und Schriftsteller Amoz Oz derzeit die bittere Erkenntnis vorherrscht, dass sich das auch von Politikern der Großen Koalition beschworene »Existenzrecht Israels« nicht auf Worte, sondern auf Waffen, nicht auf wohlfeile Rhetorik, sondern auf mili­tärische Stärke gründet.