Doppelt gemoppelt

Der polnische Staatspräsident Lech Kaczynski hat seinen Zwillingsbruder zum Ministerpräsidenten gemacht. von oliver hinz

Nur noch an zwei Muttermalen im Gesicht lassen sich der Staats- und der Ministerpräsident Polens auseinanderhalten. Denn seit vergangenem Freitag stehen eineiige Zwillinge an der Spitze des Landes. Staatspräsident Lech Kaczynski – mit den Pigmentflecken an und neben der Nase – vereidigte in seinem Warschauer Palast seinen 45 Minuten älteren Bruder Jaroslaw.

Schon im Herbst hat es danach ausgesehen, dass Polen eine Zwillingsrepublik wird. Zunächst gewann Jaroslaw im September als Spitzenkandidat der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) mit 27 Pro­zent knapp die Parlamentswahlen, vier Wochen später entschied Lech die Stichwahl um das Staatspräsidentenamt für sich. Doch der gewiefte Taktiker Jaroslaw hatte, wie er damals in einem Interview sagte, erkannt: »Für die meisten Polen wäre es inakzeptabel, wenn zwei Brüder die wichtigsten Posten im Staat übernähmen.« Deshalb verzichtete er nach seinem Wahlsieg auf das ihm zustehende Amt des Ministerpräsidenten und ebnete so Lech den Weg in den Präsidentenpalast.

Der liberale Oppositionsführer Donald Tusk, der gegen Lech verlor, sieht sich und Polen nun von den Zwillingen betrogen. Die Kaczynskis scherten sich tatsächlich nicht darum, dass Jaroslaw zu Gunsten des heutigen Staatspräsidenten Lech versprochen hatte, nicht Regierungschef zu werden. Jaroslaw übernahm die Regierung, nachdem er seinen Ersatzministerpräsidenten Kazimierz Marcinkiewicz, der ihm zu selbständig geworden war, zum Rücktritt gedrängt hatte.

Damit schaden die Kaczynskis sich auf den ersten Blick selbst. Denn Marcinkiewicz, der einst in Bonn Stipendiat der Robert-Bosch-Stiftung war, ist der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes. 80 Prozent der Polen halten ihn Umfragen zufolge für einen guten Ministerpräsidenten. Den Zwillingen hingegen misstraut längst die Mehrheit der Befragten. Die meisten glauben, dass der jetzige Staats­präsident das Land im Ausland schlechter als seine Vorgänger Lech Walesa und Aleksander Kwasniewski vertritt. Nur eine Minderheit hält Jaroslaw für einen guten Ministerpräsidenten.

Die PiS, deren Vorsitzender Jaroslaw ist, hatte jedoch einen Hintergedanken, als sie den Wechsel an der Regierungsspitze beschloss. Im November finden in Polen Kommunalwahlen statt. In Warschau sah es ganz danach aus, dass die PiS den Posten des Oberbürgermeisters an die Bürgerplattform verlieren könnte. Doch nun schicken die Kaczynskis Marcinkiewicz ins Rennen und machen ihn sogar zum kommissarischen Oberbürgermeister. Seit der Wahl des einstigen Rathauschefs Lech Kaczynski zum Staatspräsidenten hat die Stadt keinen gewählten Oberbürgermeister mehr.

Ganz abgeschlossen ist der Wechsel in der Regierung aber erst, wenn der neue Ministerpräsident in dieser Woche die Vertrauensabstimmung im Parlament gewinnt. Das scheint als sicher, obwohl die Koalitionspartei Samoobrona (Selbstver­teidigung) des rechtspopulistischen stellvertretenden Ministerpräsidenten Andrzej Lepper kurz gedroht hatte, sich zumindest der Stimme zu enthalten. Zuerst forderte sie einen neuen Koalitionsvertrag, dann mehr Posten. Schließlich gab sie einfach nach. Die dritte Koalitionspartei, die rechtsex­treme Liga Polnischer Familien (LPR), ist längst ein domestizierter Bündnispartner, der in Umfragen bei nur noch zwei Prozent liegt.

Bis auf den Finanzminister hat Jaroslaw Kaczynski alle wichtigen Minister von seinem Vorgänger übernommen. Die Regierungsarbeit wird nun möglicherweise trans­parenter, weil statt des Strohmanns Marcinkiewicz der bisherige starke Mann aus dem Hintergrund die Verantwortung für Erfolge, aber auch Misserfolge allein übernehmen muss. Kaczynski hat die Beseitigung der Kor­ruption im Staatsapparat zu seinem wich­tigsten Interesse erklärt.

Gegenüber dem Ausland schlug der Neue etwas schärfere Töne an. »Unsere Partner müssen sich damit abfinden, dass Polen beginnt, eine harte Außenpolitik zu betreiben. Nichts bringt uns dazu, auf die Gleise zurückzukehren, die uns zwar zur Nato und der EU geführt haben, uns aber in diesen Strukturen keine Position gegeben haben, die die Realisierung der wichtigsten Interessen erlauben würde«, meinte Jaroslaw in einem Interview mit dem Magazin Ozon ver­gangenen Donnerstag. Auch der Staatspräsident sagte bei der Vereidigung seines Bruders: »Der Plan eines unabhängigen Polens in der Europäischen Union muss verwirklicht werden.« Doch hat er sich nach langer Kritik unlängst selbst mit einer europäischen Verfassung angefreundet.

Auf eine Konfrontation mit der EU oder Russland lassen es die Kaczynskis zwar offen­bar nicht ankommen, aber zweifellos sind die Zwillinge Deutschland- und Europa­skep­tiker. Besonders mit Blick auf das Nach­barland klagte Jaroslaw Kaczynski in dem Interview mit Ozon: »In Europa gibt es ein Problem des antipolnischen Rassismus. Polen kann das nicht weiter außer Acht lassen.« Der Ministerpräsident lobte indes Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er sei »sehr zufrieden« mit ihrem Anruf am Mittwoch vergangener Woche. »Dafür bin ich ihr sehr dankbar.« Spätestens im Oktober wollen sie sich in Deutschland treffen.

Am schärfsten attackierte er aber die auslän­dischen Medien. Die meisten von ihnen führten »einen neuen Kulturkampf gegen Polen als katholisches Land, das sich fortschrittlichen Strömungen kaum unterwirft«. Dabei berief er sich auf den Bremer Soziologieprofessor Zdzislaw Krasnodebski, einen Berater seines Bruders. ­Gegenüber der Jungle World kritisierte Kras­no­debs­ki besonders die deutsche Linke: »Der Antisemitismus ist hier allgemein geächtet, aber antipol­nische Ressentiments sind in bestimmten Kreisen salonfähig.«

Allerdings protestierten alle acht polnischen Außenminister, die seit dem Jahr 1989 im Amt waren, in einer beispiellosen gemeinsamen Erklärung gegen Kaczynskis kurzfristige Absage des Weimarer Gipfeltreffens mit Deutschland und Frankreich, das für Anfang des Monats geplant war. Der erste demokratische Außenminister nach der Wende, Krzysztof Skubiszewski, und alle seine sieben Nachfolger wie Wladyslaw Bartoszewski und Bronislaw Geremek hatten sich zuvor noch nie gemeinsam an die Öffentlichkeit gewandt. »Das Treffen ohne einen triftigen Grund abzusagen, ist eine Missachtung der Partner«, heißt es in dem offenen Brief. »Gerade Polen braucht die Zusammenarbeit im Rahmen des Weimarer Dreiecks.« Deutschland und Frankreich seien Schlüsselpartner Polens in der EU. Besonders pikant ist, dass der parteilose Stefan Meller, der das Papier ebenfalls unterzeichnete, bis Anfang Mai der PiS-Regierung angehörte.

Lech Kaczynski hatte die Teilnahme am Dreiergipfel abgesagt, weil er sich sehr wegen einer Satire der Berliner Tageszeitung über ihn und seinen Bruder geärgert hatte, wie Warschauer Zeitungen berichten. Gegen den Autor der Satire ­ermittelt nach einer Anzeige der PiS bereits die Warschauer Staatsanwaltschaft wegen »Beleidigung des Staatspräsidenten«, was mit zwei Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

Das zum Medienkonzern um Radio Maryja gehörende rechtsextreme Blatt Nasz Dziennik antwortete auf seine Weise auf die Satire der taz. Unter der Überschrift »Namen, die man sich merken sollte« listete es alle in Warschau akkreditierten deutschen Journalisten auf und warf ihnen vor, sie hätten sich »daran gewöhnt, dass man die Polen ungestraft beleidigen darf«.