Schuld ist nur der Feminismus

Volker Zastrow warnt vor einer Politik der Geschlechtsumwandlung. Über die Rhetorik der Diffamierung in der feuilletonistischen Familien-Debatte. von andrea geier

Debatten um die Geschlechterverhältnisse beschäftigen die Publizistik schon einige Monate intensiv. Es geht um die demografische Entwicklung Deutschlands und den Kindermangel, die angeblich so überdurchschnittlich oft kinderlosen Akademikerinnen und den Zeugungsstreik der Männer, das Elterngeld sowie die Antidiskriminierungsrichtlinie. Da ist es kein Wunder, dass manche / mancher grundsätzlicher wird und öffentlich zur Diskussion stellt, was die Emanzipationsbewegung denn Frauen und Männern nun eigentlich an Chancen und Risiken bisher gebracht hat und welche Veränderungen zukünftig noch erwartbar sind.

Im Juni ging es vor allem um die Männer. Die Wochenzeitung Die Zeit hat sich der Frage »Was ist männlich?« gestellt und ließ, ganz in der liberalen Tradition des Blattes, zwei darüber streiten, ob Männer oder Frauen letztlich mehr vom Umbruch der Geschlechterrollen profitieren werden. Der auf seine Weise ins »Grundsätzliche« der Geschlechterverhältnisse zielende Artikel von Volker Zastrow »Politische Geschlechterumwandlung« auf FAZ.Net nimmt dagegen einen Ansatz auf, wie ihn Christian Schwägerl am Anfang des Monats schon in seinem Artikel »Frau überholt rechts. Sind Männer das schwächere Geschlecht der Zukunft?« in der Frank­furter Allgemeinen Zeitung vorgelegt hat.

In Zastrows Artikel sind es die Abgeordneten der konservativen Schwesterparteien CDU und CSU, denen sein ganzes Mitleid gilt: »Abgeordnete mit einem herkömmlichen Familienbild (Vater, Mutter und Kinder bilden die Familie) fragen sich fast verzweifelt, woher das alles kommt und warum es, ob­wohl kaum jemand dafür zu sein scheint, gleichsam unwiderstehlich über die Politik hereinbricht.« Die Beschreibung von dem, was da »hereinbricht«, hat nur bedingt mit der Frage zu tun, was Gleichberechtigung bedeuten könnte. Denn es geht Zastrow nicht darum, wie Elternschaft und Berufstätigkeit im konkreten Alltag verbunden werden können. Vielmehr spricht er ganz offen nur über das »Familienbild«, das gerettet werden müsse. In »Politische Geschlechtsumwandlung« steigert sich dies zur Formulierung, Mutter­schaft sei ein »urgewaltiger Topos in Kunst, Literatur und Religion, der im Innersten der meisten Menschen beim Gedanken an die eigene Mutter widerhallt.« Ob das immer so angenehm ist, was bei diesem Gedanken widerhallt, ist die Frage. Unübersehbar dagegen ist, dass es hier nicht um die soziale Realität von Familien geht, oder darum, wie der Staat die Rahmenbedingungen dafür verbessern könnte. Es geht um die Rettung eines »Topos« und Familien-»Bildes«. Und zu dieser Rettung gehört für Zastrow auch, dass der Gegner klar markiert wird: die Homosexuellen.

Zastrows wichtigsten Thesen beziehen sich auf den Zusammenhang von Familie und Erwerbsarbeit und auf die Entwicklung der Geschlechterpolitik. Erstens: Mütter werden von der Politik zur Erwerbs­arbeit genötigt, wollen das aber gar nicht. Mutterschaft und Erwerbsarbeit sind unvereinbar. Zweitens: Geschlechtertheorie und Geschlechterpolitik sind eine Erfindung von Homosexuellen, vor allem von Lesbierinnen. Wer als Frau Gleichstellungspolitik vertritt, ist entweder Lesbierin oder fällt auf lesbische Propaganda herein. Drittens: Die gesamte heutige Familienpolitik lässt sich von Homosexuellen instrumentalisieren und verhilft damit allein deren Zielen zur Durchsetzung, also der Zerstörung der wichtigsten gesellschaftlichen Werte (Familie als Vater, Mutter, Kind).

Diese Thesen werden immer wieder miteinander verbunden: »Aber maßgebliches gesellschaftliches Ziel bleibt nach wie vor die von Alice Schwarzer angestrebte Abschaffung der Hausfrau, genauer: der Hausfrau und Mutter, deren Doppelaufgabe mit einer zusätzlichen Vollzeitberufstätigkeit kaum zu vereinbaren ist.« An dieser Passage ist nicht die Darstellung Alice Schwarzers interessant, sondern die eher unauffällige Definition einer »Doppelaufgabe« von Frau­en. Sie ist Dreh- und Angelpunkt der These, dass (heterosexuelle) Frauen gar nicht arbeiten wollen, auch wenn dies an keiner Stelle explizit begründet wird. Die Doppelbelastung besteht darin, Hausfrau und Mut­ter zu sein, das heißt, sich um einen Mann im gemeinsamen Haushalt und um die Kinder zu kümmern. Die einfache Aufgabe wäre nach Zastrow also, dass sich eine Frau um ihren Mann kümmert. Dazu kann als zweites die Mutterschaft kommen. Die bekannte Klage über die Doppelbelastung, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf meint, wäre daher in Zastrows Augen eine Dreifachbelastung – eine absolute Überforderung, der sich keine vernünftige Frau aussetzen würde. Das zu sagen, wäre offenkundig absurd, weshalb es Zastrow auch unterlässt. Trotzdem macht diese Stelle wie andere in diesem Artikel klar, dass die Erwerbsarbeit von Müttern unmöglich deren eigenes Wunschziel sein kann.

Heterosexuelle Frauen werden nach Zastrows Ansicht daher von mehreren Seiten getäuscht. Dazu gehört zunächst einmal der Feminismus, aber auch die Arbeitsmarktpolitik: Es wird nahegelegt, dass Frauen irgendwie von der Politik benutzt werden. Dass Frauen (und nicht Männer) Verlierer der Gleichstellungspolitik sein sollen, ergibt jedoch nur Sinn, wenn man die Prämisse hinzu nimmt, dass Frauen die Erwerbsarbeit aufgezwungen wird.

Dass die Frauen diese Zusammenhänge selbst nicht sehen, sondern glauben, mit den politischen Anstrengungen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie würden sie eigene Ziele vertreten, ist nach Zastrow die Schuld des Feminismus. Frauen – gemeint sind in dieser Argumentationslogik selbstverständlich heterosexuelle Frauen – werden von Lesbierinnen getäuscht. Diese legen nicht offen, dass sie seit jeher auf die Vernichtung heterosexueller Lebensstile hinarbeiteten – und damit gegen die angeblich eigentlichen Ziele von (heterosexuellen) Frauen. Man könnte nun auf die lange Geschichte des Feminismus verweisen, die weit vor der Schwulen- und Lesbenbewegung beginnt. Aber diese dürfte auch Volker Zastrow bekannt sein. Er braucht aber die Fixierung auf den Zusammenhang von Homosexualität und Geschlechterpolitik, weil er letzere direkt aus der sexuellen Orientierung ihrer Aktivistinnen ableiten will. Der wiederum nicht ausgesprochene Kurzschluss lautet: Die Geschlechterpolitik ist vollkommen pervertiert, und dies liegt daran, dass sie von Homosexuellen betrieben wird. Diese krude und niederträchtige These wird in unterschiedlicher Weise »belegt«. Zunächst behauptet der Autor schlicht: »Der Zusammenhang zwischen Frauen- und Lesbenbewegung, der in der Politik der großen Koalition als Gleichstellungs- und Gleichbehandlungspolitik aufscheint, ist also durchweg biografischer Natur.«

»Bewiesen« wird das dadurch, dass es im Verlauf des Artikels immer dann um die sexuelle Identität von feministischen Akteurinnen geht, wenn deren Standpunkte angegriffen werden. Eine der »schönsten« Stellen betrifft die bekannte Philosophin Judith Butler. Wer hätte gedacht, dass, wenn Feministinnen Foucault lesen, Homosexuelle unter sich sind?

»Die bedeutendsten intellektuellen Leitfiguren dieser Forschung sind der 1984 an Aids-Folgen verstorbene französische Philosoph Michel Foucault (geboren 1926) sowie die in Berkeley lehrende Amerikanerin Judith Butler (1959). Foucaults Aneignung durch den Feminismus ist verschiedentlich bemerkt worden, in erster Linie handelt es sich dabei aber um die Übernahme der Körper- und Identitätstheorien eines homosexuellen Mannes durch homosexuelle Frauen.«

Wo anfangen? Dass es sehr unterschiedliche Feminismen und damit einhergehende Adaptationen von Foucaults Theorien gibt? Dass man Identitätstheorien, um die es hier geht, mitnichten mit der von Zastrow eigentlich angeprangerten Gleichstellungspolitik identifizieren kann? Damit wären wir wieder bei den eindeutigen Frontlinien, die Zastrow braucht, die es aber nicht gibt. Auffällig ist an diesem Abschnitt auch wieder ein Punkt, der scheinbar nichts zur Argumentation beiträgt. Ja, der französische Philosoph Michel Foucault hatte Aids. Das ist nun nicht neu, aber Volker Zastrow erwähnt es auch nicht deshalb, sondern weil damit ganz nebenbei die in Zastrows Augen so gefährliche Homosexualität noch mal ins Blickfeld gerückt wird – und welche Information machte dies anschaulicher als die tödlich verlaufende Krankheit Aids.

Absatz für Absatz könnte man auf diese Weise diffamierende Insinuationen und angebliche Wider­legungen von feministischer Politik und Geschlech­tertheorie aus Zastrows Artikel herausarbeiten. Einen Höhepunkt stellen die Auslassungen zur kulturellen Konstruktion von Geschlecht dar. Diese Theorie sei vollkommen verfehlt, weil sie »der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen, den Religionen und naturwissenschaftlicher Forschung« widerspreche. Abgesehen davon, dass sich im Gegenteil die natur­wissenschaftliche Forschung sehr gut zur Begründung der kulturellen Konstruktion von Geschlecht heranziehen lässt – aber diese Forschungen nimmt Zastrow nicht wahr –, lässt sich mit der gottgegebenen Ordnung der Geschlechter heutzutage nicht besonders gut argumentieren. Darüber hinaus ist verblüffend, wie die Begründungen von Naturwissenschaft und Religion Hand in Hand gehen sollen. Dass individuelle Erfahrung und kulturelle Konstruktion keinen Widerspruch darstellen, passt auch nicht in Zastrows Weltbild: Dass wir die Welt zweigeschlechtlich wahrnehmen und die Geschlechtszugehörigkeit einen der wichtigsten Bausteine unserer Identität darstellt, ist aber der entscheidende Punkt der inkriminierten Theorie, die sich damit beschäftigt, wie Wahrnehmung und Körperlichkeit kulturell geformt sind. In die Frontlinien, die Zastrow für seine diffamierende Geschlechterpo­litik benötigt, passen solche Überlegungen natürlich nicht.