Kick it mit Kippa

Die Frankfurter Ausstellung »Kick it like Kissinger« zeigt jüdische Pioniere und Stars des deutschen Fußballs. von elke wittich

Schon vor dem Beginn der Fußball-WM beschworen deutsche Fans wie Reporter unisono den Geist von Bern, der 1954 immerhin für den ersten Weltmeistertitel gesorgt und deswegen dringend beim aktuellen Nationalteam einzuziehen habe.

Dass die damaligen Kicker ihren Sieg im Endspiel gegen Ungarn in erster Linie einem Juden verdankten, ahnen dabei wohl die wenigsten unter ihnen. Gus Manning hatte sich als erstes amerikanisches Fifa-Exekutiv-Mitglied 1950 beim Fußball-Weltkongress in Rio de Janeiro maßgeblich dafür eingesetzt, Deutschland wieder in den Weltverband aufzunehmen. Der 1873 als Gustav Mannheimer in London geborene Sohn eines Frankfurter Kaufmanns hatte den Fußballsport in England kennen gelernt und später mit anderen Pionieren dafür gesorgt, dass die Kickerei sich auch in Deutschland durchsetzte. Er gründete den Freiburger FC und den Vorläufer von Bayern München und wurde 1900 erster Schriftführer des Deutschen Fußballbundes, bevor er 1905 in die USA emigrierte, wo er den amerikanischen Soccer-Dachverband gründete.

Das Museum Judengasse, eine Dependance des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, zeigt in seiner aktuellen Ausstellung »Kick it like Kissinger« seit dem 1. Juni jüdische Pioniere und Stars des deutschen Fußballs. Die mit grünem Kunstrasen, Tipp-Kick-Spielen und knautschigen Sitzsäcken im Fußball-Design »bewusst spielerisch angelegte« Ausstellung präsentiert von A wie Abseits bis Z wie Zionismus Themen und Kapitel aus der jüdischen Fußballgeschichte. Es gibt Torwände, in deren kreisrunden Öffnungen die dazu passenden Exponate wie historische Fotos, einige Flaschen Maccabee-Beer, eine mit einem Kicker geschmückte Mesusa und eine Kippa mit Fußballmuster zu sehen sind. Eine in einer Ecke stehende Kickerfigur gibt den Spielball erst frei, wenn ein aus drei Fragen bestehendes Quiz richtig beantwortet wurde. Und über Kopfhörer kann man Friedrich Torbergs Gedicht über den im Katalog irrtümlich als jüdisch bezeichneten österreichischen Fußballer Matthias Sindelar hören. Torberg setzte Sindelar mit dem Gedicht »Auf den Tod eines Fußballers« ein Denkmal. »Er war gewohnt zu kombinieren, und kombinierte manchen Tag. Sein Überblick ließ ihn erspüren, dass seine Chance im Gashahn lag«, heißt es da. Sindelar und seine Frau waren 1939 durch eine Kohlenmonoxydvergiftung gestorben, unter Umständen, die nie ganz geklärt wurden. Die Polizeiakten zu dem Fall gingen angeblich während des Krieges verloren. Friedrich Torberg war davon überzeugt, dass sich das Paar aus Angst vor den Nazis umgebracht hatte. Die Haltung des damals besten österreichischen Fußballers zum Nationalsozialismus scheint allerdings nicht so ganz klar gewesen zu sein, denn Sindelar lehnte die Berufung in die großdeutsche Nationalmannschaft durch Sepp Herberger zwar ab, andererseits hatte er im Jahr 1938, nachdem die Nazis den Profisport verboten hatten, als Arisierungsgewinnler das Kaffeehaus eines enteigneten Juden übernommen.

»Als wir vor anderthalb, zwei Jahren mit der Planung zu einer Ausstellung über Juden und Fußball begonnen haben, konnte man noch nicht absehen, dass es im Zuge der Weltmeisterschaft einen derartigen Fußball-Overkill geben würde«, sagt Fritz Backhaus, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Projekt verantwortlich ist. Backhaus, als gebürtiger Dortmunder »natürlich BVB-Fan«, fand es einfach nahe liegend, dass »man sich mit dem Thema aus jüdischer Sicht beschäftigt«. Auch deshalb, »weil es in den letzten Jahren doch sehr viele wissenschaftliche Arbeiten mit spannenden Ergebnissen gab, die zeigten, dass Juden maßgeblich daran beteiligt waren, dass sich die eigentlich als englische Krankheit geschmähte Sportart in Deutschland durchsetzen konnte.« Im Gegensatz zur deutschen Turnerschaft, die Juden in ihren Reihen, wenn überhaupt, nur höchst widerwillig duldete, sei Fußball eine »internationale und zudem faire Sportart gewesen, bei der eben jeder mitmachen konnte«. Und so waren es oft jüdische Pioniere, die nicht nur selber kickten oder ihre Teams anfeuerten, sondern auch Mannschaften gründeten oder finanziell unterstützten, wie die Inhaber der Frankfurter Fabrik J. & C. A. Schneider, die in den zwanziger Jahren Hauptsponsoren der Eintracht waren. Der damals größte Schuhhersteller Europas fertigte hauptsächlich Hausschuhe an, weswegen der Spitzname des Teams bis heute »Schlappekicker« lautet, von dem allerdings heute selbst in Frankfurt kaum noch jemand weiß, woher er eigentlich kommt.

Auch das unabdingbar zum deutschen Fußball dazugehörende Fachblatt Kicker würde es ohne einen jüdischen Pionier nicht geben. Walther Bensemann war Gründer, Inhaber, Herausgeber und Chefredakteur der Zeitschrift und außerdem einer der Mitbegründer des Deutschen Fußballbundes.

1934 im schweizerischen Exil verstorben, erlebte er nicht mehr, dass der Kicker 1939 auf Veranlassung von Josef Goebbels ein – in der Ausstellung im Original gezeigtes – Album mit allen deutschen Nationalspielern, alphabetisch sortiert, seit 1900 herausbrachte. Zwei Auswahlspieler fehlten, wie in der Ausstellung auf den beiden aufgeschlagenen Seiten mit den Buchstaben F und H zu sehen ist: Gottfried Fuchs und Julius Hirsch vom von Bensemann gegründeten Karlsruher FV. Die beiden jüdischen Stürmerstars passten nicht ins – in der Ausstellung unter dem Stichwort X-Beine abgehandelten – Naziklischee vom unsportlichen Juden. Fuchs, der 1912 beim Fußballturnier der Olympischen Spiele gegen Russland zehn Tore erzielt hatte, war 1937 nach Kanada emigriert. Julius Hirsch, hoch dekorierter Frontsoldat im Ersten Weltkrieg, blieb dagegen in Deutschland und wurde am 1. März 1943 nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht.

Kick it like Kissinger. Jüdisches Museum Frankfurt. Bis 3. September