Jetzt wird saniert

Die Reformen der Großen Koalition setzen die Umverteilung von unten nach oben fort. von stefan wirner

Eine gewisse Ehrlichkeit ist der ehemaligen rot-grünen Bundesregierung durchaus zu bescheinigen. Im Armuts- und Reichtumsbericht, den sie im Jahr 2005 vorlegte, heißt es: »Soziale Ungleichheit ist eine Tatsache.« Der Bericht belegt, dass Deutschland, was den Wohlstand betrifft, im europäischen Vergleich zurückfällt. Er zeigt, dass die Einkommen und Vermögen ungleicher verteilt sind als noch vor ein paar Jahren, dass die Reichen reicher wurden, die Armen ärmer und dass die Zahl der Armen wächst. Als arm gilt in Deutschland ein Haushalt, dem monatlich weniger als 938 Euro zur Verfügung stehen. Von Armut betroffen sind in der Bundesrepublik vor allem Arbeitslose und Kinder.

Es lohnt sich auch, den Bericht mit Daten der Bundesbank zu vergleichen, die diese Mitte Juni vorlegte. Sie belegen, dass die privaten Haushalte in Deutschland im Durchschnitt immer reicher werden. Der Bundesbank zufolge verfügt jeder Haushalt nach Abzug der Schulden über ein Vermögen von fast 70 000 Euro. Das Geldvermögen sei um 180 Milliarden Euro auf 4,26 Billionen Euro gewachsen. Während Arbeitslose und Kinder immer mehr verarmen, scheinen bestimmte Teile der Bevölkerung so viel Geld zu haben, dass ihnen nichts anderes mehr einfällt, als es auf der Bank zu hinterlegen. Die Medien nennen diese Schicht gerne »Angstsparer«, man soll wohl Mitleid mit ihnen haben.

Eine weitere Angabe der Bundesbank vervollständigt das Bild. Während Privatleute immer mehr Geld zur Seite legen, sind die öffentlichen Haushalte, also die Kommunen und der Staat, hoch verschuldet. Die von der Großen Koalition vorgelegten und zum Teil bereits beschlossenen Reformen dürften diese Entwicklung der vergangenen Jahre noch einmal verstärken.

Optimiert

Allein mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende, auch Optimierungsgesetz genannt, will die Bundesregierung ab dem Jahr 2007 jährlich mindestens 1,2 Milliarden Euro einsparen, gerade bei jener Schicht von Menschen, die am stärksten von dem Risiko betroffen ist, in die Armut abzurutschen. Die mannigfachen Verschärfungen bei der Vergabe des Arbeitslosengeldes II sollen viele Menschen abschrecken, das zu beantragen, was ihnen zusteht. Andere sollen einfach aus dem Bezug gedrängt werden. Wer etwa den angebotenen Ein-Euro-Job oder die teils sinnfreie »Maßnahme« nicht wahrnimmt, kann dann noch schneller eine Sperre erhalten.

Zudem sollen in den Job-Centern so genannte Außen- und Prüfdienste eingerichtet werden, die angebliche »Missbrauchsfälle« aufdecken sollen, von denen Tag für Tag in den Medien die Rede ist. Die Spitzel der Bundesagenturen sollen rund 440 Millionen Euro an Einsparungen erwirtschaften. Diese Verschärfungen sind bereits beschlossen, andere werden noch diskutiert. Hierzu zählen die Streichung der Rentenbeiträge der Empfänger von Hartz IV und der Wegfall des befristeten Zuschlags in Höhe von 160 Euro, den Arbeitslose unter bestimmten Bedingungen bekommen, wenn sie vom Arbeitslosengeld I in das Arbeitslosengeld II wechseln. Auch die Kürzung der Grundleistung in Höhe von 345 Euro wird erwogen.

Die Mehrwertsteuer

Gerade Arbeitslose, aber nicht nur sie, sind von der Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent Anfang des kommenden Jahres betroffen. Diese Steuererhöhung ist die größte in der Geschichte der Bundesrepublik. Die »Merkel-Steuer«, gegen die die SPD im Wahlkampf im vergangenen Jahr noch heftig polemisierte, soll den Verbraucher zusätzlich jährlich rund 24 Milliarden Euro kosten. Die SPD hatte im Wahlkampf versprochen, eine Anhebung der Mehrwertsteuer zu verhindern, die CDU / CSU hatte eine Erhöhung um zwei Prozentpunkte angekündigt. In den Koalitionsverhandlungen wurden es schließlich drei Punkte. Soll man es »Wahlbetrug« nennen?

Die Gesundheitsreform

Über die geplante Gesundheitsreform wird derzeit noch gestritten. Sicher aber ist, dass die Unternehmer an der Finanzierung des Gesundheitssystems weniger beteiligt sein werden – offen scheint nur noch, wie dies am besten kaschiert werden kann. Die Basis aller Überlegungen ist die Einrichtung eines so genannten Gesundheitsfonds, in den alle Beiträge von Lohnabhängigen, Unternehmern und die möglichen Zusatzsteuern fließen und aus dem die Kassen finanziert werden.

In der vergangenen Woche wurde heftig über den Vorschlag aus der Großen Koalition diskutiert, die Beiträge zu senken und dafür die Steuern zu erhöhen. Der Anteil am System, der möglicherweise über eine neue Steuer, der der niedliche Name »Gesundheitssoli« verpasst wurde, finanziert werden soll, könnte 24 Milliarden Euro betragen.

Der Gesundheitsexperte der SPD Karl Lauterbach schlägt eine paritätische Absenkung des Arbeitgeber- und des Arbeitnehmerbeitrags zur Krankenversicherung vor. Derzeit bezahlen die Unternehmer 6,5 Prozent, die Lohnabhängigen 7,5 vom Bruttolohn. »Paritätische Absenkung«, das hört sich gerecht an; der Clou dabei aber ist, dass Lauterbach die Mindereinnahmen durch die Erhöhung der Einkommenssteuer ausgleichen will. Während also die Lohnabhängigen durch die Absenkung zunächst entlastet würden, würden sie wegen der Steuererhöhung am Ende wieder draufzahlen. Fein raus wären einmal mehr die Unternehmer, die von der Absenkung ohne Einschränkung profitieren könnten.

Zudem ist eine »kleine Pauschale« im Gespräch, ehemals bekannt unter dem Namen »Kopfpauschale«. Kassen, denen das Geld aus dem Gesundheitsfonds nicht reicht, könnten monatliche Gebühren zwischen fünf und 40 Euro pro Patient erheben. Teurer wird es, wenn man die Steuern, die Pauschale und die Beiträge zusammenzählt, für den normalen Bürger in jedem Fall.

Die Unternehmenssteuer

Eine Gruppe der Bevölkerung wird aller Voraussicht nach von der Großen Koalition entlastet oder besser gesagt freigiebig bezuschusst: die Unternehmer. In der vorigen Woche verriet Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD), wie er sich eine Reform der Unternehmenssteuer vorstellt. Demnach soll die Steuer für Konzerne und Aktiengesellschaften von derzeit rund 39 Prozent auf etwa 30 Prozent gesenkt werden. Dies soll vor allem durch die Halbierung des Körperschaftssteuersatzes von 25 auf 12,5 Prozent erreicht werden. Das Steuergeschenk an die Unternehmer soll rund acht Milliarden Euro betragen, Geld, das der sowieso schon verschuldeten öffentlichen Hand fehlen wird.

Auch die Besitzer großer Vermögen und Aktienbestände will Steinbrück von ihrer schweren Bürde entlasten, und zwar mit einer Abgeltungssteuer auf Kapitalerträge. Abgeltung bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Steuer mit einem pauschalen einmaligen Abzug von 30 Prozent bezahlt wäre. Derzeit stellt die Zinsabschlagssteuer nur eine Vorauszahlung dar, wenn mit dem Steuerausgleich ein höherer Betrag fällig wird, muss er nachgezahlt werden. Ledige mit einem zu versteuernden Einkommen von mehr als 27 000 Euro im Jahr und Verheiratete mit 54 000 Euro würden zukünftig weniger Steuern zahlen als heute, hat der stern errechnet. Offenbar damit sie ihr Geld in aller Ruhe auf der Bank anlegen können, um das Privatvermögen in Deutschland noch einmal zu erhöhen. Angstsparer möchte man sein.

Zumindest eine Einsparung sollte sich die Große Koalition am Ende noch gönnen. Ein neuer Armuts- und Reichtumsbericht ist überflüssig geworden. Denn was er belegen würde, liegt auf der Hand.