Freie Sicht auf den Dom

Ein kleines, berühmt gewordenes Kölner Viertel wird abgerissen. Auf dem Gelände in Deutz könnte der teuerste Parkplatz des Landes entstehen. von martin hiebl

Was stört auf dem Grundstück zwischen dem Bahnhof Köln-Deutz und dem Messegelände? Die Mietshäuser! Das sah zumindest der Kölner Stadt­rat so.

Ende der neunziger Jahre schmiedete die Stadt Pläne für die 381 Wohnungen des Barmer Viertels in Deutz, in denen rund 800 Menschen lebten. Auf und an dem Gelände des zentral gelegenen Viertels sollten Bürohochhäuser, Hotels, ein erweitertes ICE-Terminal sowie ein Kongresszentrum entstehen. Die Stadt kaufte der Genossenschaft »Erbbauverein« die Wohnungen für 65 Millionen Euro ab und beschloss im Jahr 2000 den Abriss der Gebäude. Die Genossenschaft verpflichtete sich, die Mieter umzusiedeln und den Komplex abzureißen. Während die Planungen voranschritten, mussten die Bewohner nach und nach ausziehen.

Doch dann schaltete sich die Unesco ein. Sie sah wegen der geplanten Hochhäuser den freien Blick auf den Dom und damit dessen Status als Weltkulturerbe gefährdet. Es drohte der Entzug des prestigeträchtigen Titels sowie der daran geknüpften finanziellen Zuwendungen. Auch die Deutsche Bahn trat aus finanziellen Gründen vom Ausbau des ICE-Terminals zurück. Weitere Investoren verabschiedeten sich. Die Pläne der Stadt fielen wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Aber die Lösung des Problems wurde schnell gefunden: Nach dem Abriss sollte ein schöner Parkplatz für die Besucher der Messe auf dem Gelände entstehen.

Im Februar 2006 standen alle Häuser bis auf eines leer. Doch Anfang März besetzten Kölner die Wohnungen. RTL nutzte die Gunst der Stunde und drehte in dem mitt­lerweile in die Schlagzeilen geratenen Viertel für »Guten Abend RTL« die Reality-Soap »Die Hausbesetzer«. In fünf Folgen ging es um die Forderungen, Wünsche und Alltagswidrigkeiten der Bewohner. Fernsehberichte über die »teuerste Brachfläche Deutschlands« (ZDF-Länderspiegel) und die »Renaissance der Mietfreiheitskämpfer« (Spiegel TV) folgten. Rund 150 Besetzer hatten es sich inzwischen in 260 Wohnungen gemütlich gemacht.

Für die Stadt ein unhaltbarer Zustand. Am 5. April beschloss der Rat der Stadt folglich den »schnellstmöglichen« Abriss der Gebäude. Kölns Oberbürgermeister Fritz Schramma, der im Wahlkampf gerne mal eine Senkung der Benzinpreise verspricht, sagte dazu: »Ja, sicher! Der (Beschluss) kippt nicht. Das Einzige, was kippt, sind die Häuser! Ich hoffe, dass die Besetzer vorher raus sind.« Die aber hatten, nachdem ihre Gesprächsangebote und ein von Wirtschaftsprüfern begutachtetes Kauf­angebot abgelehnt oder verzögert worden waren, passiven Widerstand angekündigt.

Anfang Juni räumten vier Hundertschaften der Polizei in den frühen Morgenstunden das Viertel. 44 Besetzer wurden abgeführt. Einen richterlichen Beschluss dafür gab es nicht. Begründet wurde die Räumung mit der Weigerung der Besetzer, dem Bau-, dem Gesundheitsamt und der Feuerwehr Zutritt zu den Wohnungen zu gewähren. Jürgen Müllenberg, der Sprecher der Stadt, lieferte die Beweise nach: »Ganze Etagen waren von den Besetzern als Toilette benutzt worden. In einer Kloschüssel haben wir sogar ein totes Huhn gefunden.«

Mittlerweile sichern ein Bauzaun und patrouillierende Security-Männer die Abrissarbeiten, mit denen sogleich begonnen wurde. 25 der ehemaligen Besetzer haben vorübergehend ein neues Domizil gefunden. Die Stadt bot ihnen im Vorort Vingst Etagen eines Hochhauses an, das im September abgerissen werden soll. Zufrieden können die Besetzer nicht sein. Für die in Köln stattfindenden WM-Begegnungen kündigten sie daher Protestkundgebungen an. Motto: »Die Welt zu Gast bei Obdachlosen.«