»Wir konnten Beckstein und Schily ein wenig zwicken«

Najim Azahaf

Die Rasterfahndung nach »Schläfern« ist längst abgeschlossen, islamistische Terroristen wurden nicht entdeckt. In der vergangenen Woche urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass die massenhafte Datenermittlung der Behörden rechtswidrig war, weil zwar eine allgemeine Bedrohungslage, nicht aber eine konkrete Gefahr vorgelegen habe. Es gab damit der Klage Najim Azahafs Recht. Der 27jährige Marokkaner studiert an der Universität Duisburg-Essen Politik­wissenschaften. Er ist Muslim und lebt seit seinem zweiten Lebensjahr in Deutschland. Mit ihm sprach ­Regina Stötzel.

Wie fühlt man sich als potenzieller Terrorist?

Das ist ein Gefühl, an das man sich die letzten fünf Jahre gewöhnen durfte. Und mit dem Urteil ist es nicht vorbei. Ich persönlich bin noch einigermaßen glimpflich davongekommen. Ein paar dumme Sprüche, im Streit vielleicht mal eine Andeutung in diese Richtung, das kann ich alles verkraften. Anderen Leuten ist viel Schlimmeres widerfahren. Vom Alltagsstress arabisch aussehender Studierender, die einen Job oder eine Wohnung suchen, will ich gar nicht erst reden.

Hat Sie die Rasterfahndung damals überrascht, vor dem Hintergrund früherer Erfahrungen?

Ich kann mich noch an den Tag erinnern, als die Meldung in den Asta-Keller kam, dass die Leute vom Verfassungsschutz kommen und unsere Daten holen. Das war ein Schock. Der Staat wollte mit starker Hand durchgreifen. Ich bin mir sicher, dass schon damals klar war, dass es verfassungsrecht­liche Bedenken geben würde. Aber man wusste, ein rechtskräftiges Urteil wäre erst in ein paar Jahren zu erwarten.

Was hat der Staat damit bezweckt?

Für mich war das zuerst einmal eine Art von blindem Aktionismus, um zu signalisieren: Leute, wir machen was. Aber vielleicht haben sie wirklich die Hoffnung gehabt, damit irgendjemanden ausfindig machen zu können. Obwohl man schon seit den siebziger Jahren hätte wissen müssen, dass das mit so groben Kriterien unmöglich ist. Daran zu glauben, ist schon sehr naiv.

Wie ging es dann weiter? Wer hat Sie offiziell darüber informiert, dass Ihre Daten weitergegeben werden? Wie hat sich die Universität verhalten?

Ich bin niemals offiziell unterrichtet worden. Angeblich hatte sich die Universität Duisburg – das war noch vor der Fusion mit der Uni Essen – zunächst geweigert, die Daten herauszugeben. Das war aber wohl nur wegen eines kleinen formalen Fehlers im Schreiben des Verfassungsschutzes, nicht mehr als eine kleine Schikane.

Wissen Sie, welche Informationen letztlich weitergegeben wurden?

Soweit ich weiß, hat man von den Unis, den Einwohnermeldeämtern und den Ausländerbehörden die Daten von männlichen, jungen, nicht-deutschen Studierenden geholt. Man hat Massen von Daten eingesammelt und erst im Nachhinein nach weiteren Kriterien gerastert wie muslimisch, unverheiratet – und unauffällig. Je unauffälliger und je unbescholtener ich bin, desto verdächtiger mache ich mich. Das ist einer der bedenklichsten Punkte dabei.

Wenn die Rasterfahndung die Antwort des Staates auf den 11. September war, was war die Ihres Umfeldes? Was hat sich in einem linken Umfeld wie etwa dem Kulturreferat des Asta, in dem Sie tätig sind, geändert?

Da hat sich schon länger etwas verändert. Aber das ist ein eigenes Kapitel. Wenn Sie mit mir über die Situation der Linken heutzutage diskutieren wollen, könnte das zwei Stunden dauern. Was die Rasterfahndung betrifft, herrschte Einigkeit. Es gab lediglich aus dem RCDS Kritik an einer Klage mit Unterstützung des Asta, weil das kein hochschulpolitisches Thema sei. Das ist natürlich reiner Quatsch. Wenn ein Kriterium der Rasterfahndung »Student« ist und der Verfassungsschutz auf den Campus kommt, um unsere Daten abzuholen, ist das für mich ein hochschulpolitisch relevantes Thema, mit dem sich die Interessenvertretung der Studierenden auseinanderzusetzen hat. Es ist auch kein Zufall, dass ein Student dagegen geklagt hat, also ich.

Welche Konsequenzen hat das Urteil für Sie?

Kurzfristig stand ich überraschend im Mittelpunkt des Interesses. Mittelfristig wird sich zeigen, wie zum Beispiel mein Umfeld damit umgeht. Ich habe gehört, dass Professoren mich darum bitten wollen, in ihren Vorlesungen etwas zu dem Verfahren zu erzählen. Langfristig könnte das Urteil dazu beitragen, dass nicht länger das Recht auf Freiheit gegen das Recht auf Sicherheit ausgespielt wird. Es ist so, als hätte jemand »Stopp!« gesagt. Der Rechts­staat darf nur innerhalb der selbst gesetzten Grenzen handeln, sonst ist er kein Rechtsstaat mehr. Wenn er seine eigenen Prinzipien über Bord wirft, dann spielt er den Terroristen in die Hände.

Würden Sie also sagen, dass die »Balance zwischen Freiheit und Sicherheit«, von der unter anderem der nord­rhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf (FDP) gesprochen hat, wieder hergestellt ist?

Das zu behaupten, wäre wohl roman­tisierend. Aber wir haben Beckstein und Schily ein wenig zwicken können. Das erfüllt mich mit einer gewissen Genugtuung. Gewundert hat es mich dennoch, dass Beckstein von einem »schwarzen Tag für Deutschland« gesprochen hat, obwohl die Rasterfahndung erfolglos war. Da gibt es für mich nur zwei Interpretationsmöglichkeiten. Entweder das war reiner Populismus, oder es geht ein Nutzen von diesem Instrument aus, von dem ich aber nichts weiß. In jedem Fall freut mich die Zurechtweisung durch das oberste deutsche Gericht.

Die Verfassungsrichterin Evelyn Haas, die gegen ihre Kollegen votierte, hat gesagt, von der Rasterfahndung würden auch die Betroffenen profitieren, die das Instrument als »Eingriff minderer Intensität« in ihre Grundrechte hinnähmen. Das müsste Ihnen ein schlechtes Gewissen einjagen.

Ja, genau. Interessanterweise entschied das Oberlandesgericht in einer früheren Instanz, dass die Daten von echten Deutschen gelöscht werden müssten. Bei den anderen sei das Vorgehen gerechtfertigt gewesen. Also auch bei denen, die einen deutschen Pass haben, aber ausländischer Herkunft sind. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.

Damit wären wir bei dem Thema Integration. Wie passt die Rasterfahndung mit den Debatten der vergangenen Wochen und Monate zusammen?

Die Debatten um Zuwanderung, Einbürgerungstests und Migrantenkinder zeigen vor allem eines: Das Dasein mit Migrationshintergrund wird nur noch problematisiert. Entweder ist es gefährlich oder es ist schädlich. Das ist Ausdruck eines bestimmten Klimas, das mit dem internationalen Terrorismus und den Anschlägen vom 11. September im Zusammenhang steht. Aber es hat sich etwas in den Köpfen der Menschen verändert, das mir Sorgen macht.

Gleichzeitig wird zumindest auf offizieller Ebene der Kontakt etwa zu den muslimischen Verbänden gepflegt. Politiker besuchen Moscheen usw.

Das nehme ich denen einfach nicht ab. Ich glaube auch nicht, dass man das allgemeine Klima an einzelnen Personen festmachen kann. Wenn nur die Daten von Deutschen heilig sind, dann ist das mit meinem Verständnis von der Verfassung nicht vereinbar.

Können Sie sicher sein, dass Ihre Daten wieder gelöscht werden?

Sicher bin ich mir gar nicht. Außerdem ist ja schon alles gelaufen. Ich gehe davon aus, weil ich die Kriterien geradezu bilderbuchartig erfülle, dass daraus weitergehende polizeiliche Maßnahmen erfolgt sind, also Ermittlungen darüber, welche Kontakte ich habe usw. Alles andere würde keinen Sinn ergeben.