Reformfrühling lässt sein blaues Band …

Die schwarz-rote Regierung erfüllt ihren Auftrag bestens. Sie verteilt kräftig von unten nach oben. von georg fülberth

Volker Zastrow behauptete in dieser Woche in einem Leitartikel der FAZ, die CDU/CSU verliere in der Großen Koalition ihre Identität. Darüber freut sich die Sozialdemokratie. Vielleicht ist das aber auch abgesprochen. Dann merken diejenigen, die tatsächlich die Dummen sein werden, nichts. Dass die Umfragewerte der Regierung gerade zurückgehen, muss nicht auf den Unmut der Bevölkerung zurückgehen. Dies kann auch PR-Produkt sein, in dem sich die Unzufriedenheit der Unternehmer ausdrückt. Sie sind nämlich schon wieder undankbar, obwohl in Wirklichkeit zurzeit alles bestens für sie läuft.

Nehmen wir zum Beispiel das angebliche Großprojekt der Familienförderung: Kinder und Beruf (meist heißt es: »Karriere«) sollen besser vereinbar werden. Außerdem sei das Niveau der Bildungsanstalten anzuheben. Das wäre Grund genug, gut sozialdemokratisch nach Skandinavien und nach Finnland zu blicken. Was sehen wir da?

In den Pisa-Untersuchungen schneiden die nördlichen Länder immer besser ab als die Bundesrepublik. Ihre Bildungssysteme sind egalitär und gut finanziert. Warum werden sie hierzulande nicht übernommen? Die Antwort ist: Es ist zu teuer, und jetzt ist es zu spät, es wohlfeiler zu haben.

Die Bildungssysteme dieser nordischen Staaten sind über 100 Jahre alt. Für sie wird zwar von jeher viel Geld ausgegeben, aber es sind keine dramatischen Steigerungen erforderlich, die den Staatsetat überfordern würden. Egalität ist dort nämlich so etwas wie eine kostensparende Ressource. Da die Heranwachsenden vom Kindergarten an gefördert werden, gibt es kaum sozial verursachte Leistungsunterschiede zwischen ihnen. Also sind keine Kompensationsmaßnahmen nötig, um eine annähernde Gleichheit herzustellen. Gewiss gibt es Begabungsunterschiede. Da sie aber nicht durch die Differenzen in der finanziellen Ausstattung wegen ihrer Herkunft noch verschärft werden, haben die Eltern besonders leistungsstarker Kinder keinen Anlass, diese aus der Gemeinschaftsschule herauszunehmen und auf Eliteschulen zu schicken.

Wollte Deutschland hierbei aufholen, würde es nicht mehr genügen, das dreigliedrige Schulsystem aufzugeben. Zugleich wären kompensatorische Maßnahmen vonnöten, um die bereits bestehenden Unterschiede auszugleichen. In den Schulen, die von Migrantenkindern besucht werden, müssten die Anstrengungen besonders groß sein. Da die Zuwanderung in den nordischen Staaten lange Zeit geringer war, sind solche Zusatzausgaben dort nicht nötig. Rassisten sollten sich über dieses Argument nicht zu früh freuen: Die Arbeitsmigration hat das Sozialprodukt in der Bundesrepublik seit dem Jahr 1955 enorm in die Höhe getrieben. Diesen Zuwachs aber hat man anderweitig verfrühstückt, anstatt mit ihm ein egalitäres Bildungssystem aufzubauen. Weil man das damals versäumt hat, sind die Mängel heute so groß, dass es tatsächlich enorm teuer wäre, sie zu beheben. Deshalb werden insbesondere die Finanzminister den Fortbestand der gegenwärtigen Ungleichheit vorziehen.

Daraus ergibt sich das spezifisch deutsche Modell der Familien- und Bildungsförderung: Steuersenkungen und Subventionen für die Reichen, wie sie in der Koalitionsklausur von Genshagen Anfang Januar ausgehandelt wurden. Private Kosten für Kinderbetreuung sollen demnach abgesetzt werden können. Wer viel verdient, also in einer höheren Einkommensteuerklasse ist, wird besonders stark entlastet. Dazu gibt es das Elterngeld, und zwar einkommensabhängig. Wieder heißt es, wer schon viel hat, bekommt noch mehr.

Hier meldet sich der Finanzminister zu Wort: Wie soll er das bezahlen? Als Antwort wird die Bezugsdauer für Kindergeld verkürzt. Es wird nur noch für Kinder bis zum Alter von 25 Jahren gezahlt, nicht mehr bis zum 27. Lebensjahr. Das trifft nun allerdings die Ärmeren stärker, denn es ist einkommensunabhängig. Die 154 Euro Kindergeld machen im Budget eines Kleinverdieners einen großen Anteil aus als in der Haushaltskasse von Ursula von der Leyen.

Nach dem gleichen Muster funktioniert die Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent ab dem Jahr 2007. Die Mehrwehrtsteuer ist eine Verbrauchssteuer. Bei gleichem Verbrauch müssen Arme und Reiche zwar gleiche Summen an Steuern, aber ungleiche Anteile ihrer Einkommen bezahlen. Der Gesetzgeber räumt das selbst ein, deshalb sind unter anderem Grundnahrungsmittel und Mieten von der Mehrwertsteuer entweder ausgenommen oder sie ist in diesen Bereichen reduziert. Für Güter des mittleren Bedarfs ist das schon nicht mehr der Fall. Also findet abermals eine Umverteilung von unten nach oben statt.

Genauso sieht es mit der Kürzung der Pendlerpauschale und des Sparerfreibetrags aus. Das eine trifft Lohn- und Gehaltsabhängige, das andere meist mittlere Guthaben.

Dennoch ist der Bundespräsident unzufrieden. Ihm missfällt, dass der Großteil der Einnahmen, welche die erhöhte Mehrwertsteuer einbringt, zum Stopfen von Haushaltslöchern verwandt werden soll anstatt zur Subventionierung der Unternehmer, damit die Lohnnebenkosten herabgesetzt werden können. Auch er ist undankbar. Er sollte bedenken, dass ein größeres Defizit droht, weil seine Klasse bei den Steuersenkungen so gut bedacht wird. Auch für sie gilt: Man kann einen Euro nur einmal ausgeben.

Im Jahr 2008 wird die Unternehmenssteuer gesenkt. Dies diene, so liest man, der Stärkung des Mittelstandes. Dessen Interessen sind jedoch nicht der Hauptgrund. Der wichtigste Nutznießer sind die großen Unternehmen. Diese hatten bisher umfangreiche Möglichkeiten, sich einer Besteuerung in Deutschland zu entziehen. Das wird auch weiterhin so sein. Doch hofft man, ihnen werde die Steuerehrlichkeit leichter fallen und die Steuerflucht werde für sie an Attraktivität verlieren, wenn die Sätze ohnehin niedriger sind. Mit dieser Rechnung hat sich einst schon Hans Eichel anlässlich seiner »Abgeltungssteuer« blamiert.

Amüsant wird all dies wieder einmal durch die sozialdemokratische Linke. Sie fordert, dass die Senkung der Unternehmenssteuer »aufkommensneutral« sein müsse. Soll heißen, der nominelle Satz kann ruhig gesenkt werden, aber der Staat darf dadurch kein Geld verlieren. Das widerspricht der Logik der angestrebten Maßnahme. Die Angebotsbedingungen der Betriebe sollen mit der Entlastung verbessert werden. Weicht man dieser Konsequenz aus, kann man die Steuersenkung gleich ganz unterlassen. Also wird es mit der Kostenneutralität nichts werden.

Was machen wir dann aber mit der sozialdemokratischen Linken? Keine Angst. Sie freut sich. Ab dem kommenden Jahr wird es nämlich eine »Reichensteuer« geben. Bei Gerhard Schröders Amtsantritt betrug der Spitzensatz 53 Prozent. Die rot-grüne Bundesregierung senkte ihn auf 42 Prozent. Jetzt sollen wieder drei Punkte draufgeschlagen werden, während zugleich das Schlupfloch mitgeliefert wird. Denn für die wirklich großen Einkommen soll die angebliche »Reichensteuer« erst gleichzeitig mit der Senkung der Unternehmenssteuer 2008 gelten.

Auch ein Blick in die Länder lohnt. In einem nach dem anderen werden Studiengebühren eingeführt, und wir sehen: Wir haben in Bund und Ländern eine »Politik aus einem Guss«. Herummäkeln an den Regierungen ist also völlig unangebracht. Sie tun ihren Job, und sie machen das konsequent. Wir leben tatsächlich im Frühling der Reformen.