Gemeines Geflügel und unsichtbare Trikots

Im Erfinden von Ausreden müssen die meisten Sportler und ihre Trainer noch viel lernen. Dabei gibt es einige schöne Beispiele für unterhaltsames Wegerklären. von elke wittich

Versagen gehört ebenso zum Sport wie Sieger­ehrungen, schmerzende Muskeln und dumme Reporterfragen. Das Versagen zu erklären, ist dabei fast schon eine eigene Disziplin, in der nur wenige Athleten oder Trainer richtig gut sind. Sich einfach hinzustellen und rundheraus zu­zugeben, dass man einfach nicht gut genug trainiert oder die falsche Taktik gewählt hat, das tut man in den allerwenigsten Fällen. Selten sind auch ehrliche Statements: »Tja, so isses numal, ich ärge­re mich wirklich ganz furchtbar, aber ich kann eben nicht mit Druck umgehen.« Oder alberne Erklärungen, die großen Unterhaltungswert haben. Statt­dessen werden derart tumbe Ausflüchte geboten, dass man sich als Zuschauer schon fast schämt für denjenigen, der da im vollen Ernst versucht, die Sachlage schönzureden.

Und so kann man auch bei der Fußball-WM wieder gespannt sein, was sich die Stars so alles einfallen lassen werden, um Niederlagen, Blackouts, ent­scheidende Fehlpässe und Fitnesskrisen zu erklären, die ebenso zwangsläufig eintreten werden wie ein Phänomen, das nicht nur bei fußballerischen Großereignissen auftritt, sondern bei jedem sportlichen Höhepunkt.

Die norwegische Tageszeitung Dagbladet stellte kürzlich die unterhaltsamsten Erklärungsversuche für Misserfolge, positive Dopingproben und verpatzte Chancen zusammen. Ausflüchte gehörten schließlich »eindeutig zu den unterhaltsamsten Aspekten des Sports«, schrieb das Blatt, wobei es bei der Zusammenstellung vor allem auf Originalität und nicht auf Glaubwürdigkeit ankam.

Zu den Spitzenreitern im Erfinden von Ausreden gehört eindeutig Coach Alex Ferguson für seine Analyse der unerwarteten Niederlage seines Vereins Manchester United gegen Southhampton. Die ganz in grau gekleideten Spieler von Manches­ter United hatten einen denkbar schlechten Tag erwischt, bereits nach 45 Minuten lagen sie mit 0:3 hinten. Und Trainer Ferguson tat in der Halbzeitpause das, was wohl jeder Verantwortliche in dieser Situation getan hätte: Er handelte. Wobei er seine Jungs nicht etwa anschrie oder ihnen die Taktik neu erklärte oder mit Auswechslung drohte. Nein, er wies sie an, ihre Trikots auszu­ziehen und die blauweißen Ersatzgarnituren anzulegen.

Fergusons Spielanalyse in der nachfolgenden Pressekonferenz fiel gleichermaßen eigenwillig wie deutlich aus: »Die Spieler konnten einander in den grauen Jerseys nur ganz schwer erkennen. Des­wegen mussten wir in der Pause nach einer Lösung suchen, zum Glück hatten wir Ersatztrikots dabei. Mit ihrer Hilfe konnten wir das Spiel dann auch noch einmal umdrehen und die zweite Halbzeit 1:0 gewinnen.« Drei Gegentreffer in der ersten und ein eigenes Tor in der zweiten Hälfte ergaben zwar immer noch eine Niederlage (3:1), aber das war eigent­lich nicht so wichtig, denn Ferguson gelang es mit seinem Statement, das Geschehene ebenso formvollendet wie unterhaltsam weg­zuerklären.

Aber es müssen nicht nur Niederlagen und schlechte Leistungen umgedeutet werden, sondern auch positive Dopingproben. Denn natürlich erwischen die Kontrolleure grundsätzlich nur Unschuldige, was die Situa­tion für Athleten, die hin und wieder tatsächlich zu Unrecht öffentlich beschuldigt werden, sicher nicht schöner macht. Aber selbst die dürften über die Ausreden und Aktionen erwischter wirklicher Doping­sünder lachen können.

Führend in dieser Beziehung waren sicher die griechischen Sprinter Konstantinos Ken­teris und Ekaterini Thanou. Schon vor den Spielen waren sie immer mal wieder verdächtigt worden, während der Olympiade von Athen 2004 waren sie zu verabredeten Dopingtests einfach nicht erschienen. Ihre Entschuldigung wirkte zunächst plausibel: Sie seien bei einem Motorradunfall in der Innenstadt verletzt und zur Beobachtung ins Krankenhaus eingeliefert worden. Garniert wurde die Geschichte mit einem Amateur-Video, das Kenteris mit einer Nackenkrause versehen auf einer Krankentrage zeig­te. Der Eindruck einer wirklich ernsten Ver­letzung litt jedoch darunter, dass der Sprinter nicht nur noch seine Turnschuhe trug, sondern zudem auch offenkundig problemlos den Hals reckte und munter durch die Gegend schaute. Gleichzeitig wurde bekannt, dass der Athener Polizei zum angegebenen Zeitpunkt kein Zweiradunfall und schon gar keiner mit prominenter Beteiligung gemeldet worden war. Dieser ausgeklügelte Vertuschungsversuch endete mit einem glatten Misserfolg, beide Sportler wurden von den Funktionären gesperrt.

Ähnlich erging es dem österreichischen Biathleten Wolfgang Perner bei den olympischen Winterspielen in Turin Anfang dieses Jahres. Er war nach einer Razzia der italienischen Polizei im Mannschaftsquartier nach Österreich geflohen; zuvor hatte er praktisch unter den Augen der mit der Durchsuchung beauftragten Beamten gemeinsam mit seinem Teamkollegen Wolfgang Rottmann in einem verzweifelten Versuch, Beweise zu vernichten, illegale Medikamente aus dem Fenster der Unterkunft geworfen. Seine Flucht erklärte er später mit panischer Angst, wobei er offenbar annahm, dass Dopingsünder in Italien lebenslang in eine Art Gulag kommen: »Ein Polizist hatte mir erklärt, dass bei mir verbotene Substanzen gefunden worden seien.« Er habe gedacht, es sei besser abzuhauen als inhaftiert zu werden »und meine Familie nie wieder zu sehen«.

Immerhin bot er keine der Erklärungen, mit denen beim Dopen erwischte Sportler normalerweise die Öffentlichkeit langweilen. Üblicherweise besteht eine beliebte Erklärung darin, dass irgendwelche Nahrungsergänzungspräparate aus dem asiatischen Raum anscheinend Steroide, Ana­bolika oder sonstige verbotene Substanzen enthal­ten haben müssen, denn anders könne man sich nicht erklären, wie Spuren davon in den eigenen Urin gelangt seien.

Die Zahnpasta-Story des deutschen Leichtathle­ten Dieter Baumann machte eine gewisse Ausnahme, aber nachdem Experten – weitgehend ungehört – erklärt hatten, dass die weiße Creme durch Steroid-Zusätze grau und bröckelig werde und kaum jemand auf die Idee käme, sie weiterhin zu benutzen, fand seine Geschichte keine Nachahmer.

Wie auch die des norwegischen Kugelstoßers Georg Andersen. Nachdem in seinem Urin anabole Steroide gefunden worden waren, präsentierte er eine Erklärung, die angesichts der zahlreichen Lebensmittelskandale der letzten Jahre nicht gänzlich ungeschickt war. Er habe, sagte er aus, Hähnchen gegessen und wahrscheinlich auf diesem Wege unabsichtlich exakt den Stoff geschluckt, der zur Leistungssteigerung in seiner Sportart zufällig als besonders angezeigt gilt. So richtig wollte ihm niemand glauben. In einem nor­wegischen Forum kommentierte etwa ein User: »Jaja, mit Ethik und Moral geht es in Geflügelkreisen wirklich schon seit längerem ra­pide bergab, klar, aber sich hinterhältig und vorsätzlich zu dopen, nur um dem armen Georg zu schaden, ist ja wohl die Krönung der Hähnchen-Infamie.«

Bleibt zu hoffen, dass auch bei der WM gemeines Federvieh, unsichtbare graue Trikots, Fluchten und vorgetäuschte Unfälle eine Rolle spielen. Bloß beim Kicken zuzugucken, ist schließlich auf Dauer ziemlich langweilig.