Küsschen für den Mörder

Der Prozess zum Mord an Hatun Sürücü ist zu Ende. Nur einer der angeklagten Brüder wurde verurteilt. von kerstin eschrich

Als der Richter Michael Degreif vom Kriminalgericht Berlin-Moabit am Tag der Urteils­verkündung den Tathergang noch einmal detailliert schilderte, zeigten die Angeklagten keine Regung. Ayhan Sürücü, der jüngste der drei Brüder, hatte seiner Schwester Hatun am 7. Februar 2005 in Berlin-Tempelhof aus nächster Nähe dreimal in den Kopf geschossen. Zuvor hatte er sie gefragt, ob sie ihre Sünden bereue.

Mehr Anteil nahmen die Angeklagten am Donnerstag voriger Woche dagegen an der Urteilsverkündung: Neun Jahre und drei Monate verhängte das Gericht nach dem Jugendstrafrecht für den Todesschützen, die beiden älteren Brüder wurden freigesprochen. Der verurteilte Mörder lachte, die Freigesprochenen zeigten sich sichtlich erleichtert. Einige Zuschauer jubelten und winkten den jungen Männern zu.

In der Urteilsbegründung sagte der Richter, es bleibe »das Bild einer Möglichkeit«, dass die beiden angeklagten Brüder an dem Mord beteiligt waren, aber »es wird nicht nach Möglichkeit verurteilt«. Obwohl Degreif immer wieder betonte, es habe keine andere Möglichkeit als einen Freispruch für die beiden Brüder gegeben, weil fast alle Anschuldigungen der Hauptzeugin Melek A. auf Aussagen »vom Hörensagen« beruhten, bleibt ein schales Gefühl zurück. Verwirrte Einzeltäter fanden sich auch bei Prozessen gegen Neonazis in den neunziger Jahren jede Menge.

Türkische Frauen und Migrantinnen spra­chen nach dem Urteil von einem »fatalen Sig­nal«. Die Berliner Imbissbesitzerin Hilal kann sich nicht vorstellen, dass die Familie nichts von der Tat gewusst habe. »Das war doch von denen geplant«, sagt sie, »und nun kommen sie ungeschoren davon.« Evrim Baba, die frauenpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, hätte sich ein anderes Urteil gewünscht, auch wenn das Gericht nicht verantwortlich gemacht werden könne. »Ich komme auch aus Anatolien, und wir Frauen wissen, dass Ehrenmorde nicht alleine von einem Mann begangen werden.« Gaye Erbatur, Mitglied eines Untersuchungsausschusses des türkischen Parlaments zu den so genannten Ehrenmorden, nannte das Urteil »eine Einladung zu weiteren Verbrechen«. Die Türkei habe ihre Gesetze ver­schärft, um solche Delikte besser bekämpfen zu können, das sollten andere Länder ebenfalls tun.

Kaum im Interesse der Frauen ist das Gerede des Berliner Innensenators Ehrhart Körting von der »scheinintegrierten Familie« Sürücü, die Deutschland verlassen solle. Das würde bedeuten, anderen Ländern die Probleme aufzubürden, für die das eigene Land mit seiner verfehlten oder nicht vorhandenen Integrations- und Einwanderungspolitik verantwortlich ist. Die Familie Sürücü lebt seit den siebziger Jahren in Deutschland, ihre Kinder sind hier aufgewachsen und besitzen deutsche Pässe. »Wenn die Stimmung in Deutschland gegen mich ist, werde ich gehen, egal wohin«, sagte der frei gesprochene 26jährige Mutlu Sürücü bereits der Berliner Mor­genpost.

Erstaunlich in dem Prozess war die laxe Vorgehensweise von Richter Degreif und Staatsanwalt Matthias Weidling. Die Angeklagten konnten ungehindert Zeuginnen beschimpfen, der islamistische Hintergrund der Tat wurde nur unzureichend beleuchtet. So orientiert sich die Familie an dem radikalen Prediger Metin Kaplan. Ungereimtheiten wie das nicht verwertbare Alibi eines der älteren Brüder oder eine verräterische SMS des Mörders kurz nach der Tat wurden kaum berücksichtigt.

Nach dem Prozess gab es für den verurteilten Mör­der Küsschen auf die Wange vom ältesten Bruder Emra, der als Nebenkläger auftrat und eine hohe Strafe für ihn und Freisprüche für die anderen Brüder gefordert hatte. Die Staatsanwaltschaft hat gegen das Urteil Revision eingelegt.