Destruktive Technik

Das physikalische Weltbild von cord riechelmann

Das Thema Atomkraft drängt mit Macht zurück in die Öffentlichkeit. Verschwunden war die Atomkraft allerdings nie. Es ist der rot-grünen Regierung nur blendend gelungen, mit dem Gerede vom so genannten Ausstieg die tatsächliche Nutzung der Atomenergie und des Atomwissens zu verdecken.

Bereits der Begriff »Ausstieg«, der auf die auch von den Grünen in den achtziger Jahren genährte Hoffnung auf eine Alternativökonomie der kleinen Kreisläufe verweist, sollte verdecken, dass es spätestens seit den neunziger Jahren keine Südsee als Fluchtpunkt mehr gibt. Der Weltmarkt ist überall. Und auf ihm bieten eine Menge Atomexperten ihre Kenntnisse an.

Nach dem Ende der Sowjetunion wurden hochspezialisierte Ingenieure und Physiker aus dem Staatsdienst entlassen, in dem die Arbeit der Techniker unter dem Kalkül des »Gleichgewichts des Schreckens« einer gewissen Kontrolle unterlag. Dieses Gleichgewicht verhinderte den oft befürchteten Atomkrieg. Heute aber sind atomare Potenziale nicht mehr unbedingt an Staaten gebunden. Atomwaffen können demnächst vielleicht an Orten hergestellt werden, die von keiner staatlichen Kontrolle mehr erreicht werden. Auch deshalb dürfte der Begriff vom »Schurkenstaat« obsolet werden. Die derzeitige Rhetorik gegen das Atomprogramm des Iran ist nur ein Nachhall einer gescheiterten Containmentpolitik.

Man merkt, dass es völlig sinnlos ist, dem Atomwahnsinn mit verantwortungsethischen Argumenten beizukommen. Die Kritik muss wesentlich umfassender sein. Bertolt Brecht hat dies erkannt und nach dem Abwurf der Atombombe auf Hiroshima notiert: »Die Atombombe hat tatsächlich die Beziehungen zwischen Gesellschaft und Wissenschaft zu einem Leben- und Tod-Problem gemacht.«

Die Physik hat keinen Begriff vom Leben und damit auch nicht vom Tod. Die besinnlichen Sätzchen, die man im Einstein-Jahr ans Kanzleramt geheftet hat, waren auch dazu da, diesen fundamentalen Mangel einer Wissenschaft zu verschleiern und die Atomforschungszentren weitermachen zu lassen wie bisher. Nur eine radikale Kritik der zeitlichen Dimensionen der Physik, gegen die die Zeiträume, die in der Evolutionstheorie verhandelt werden, überschaubar zu nennen sind, schützt vor den Verharmlosungen der Techniker.

Wer wie der Physiker und Nobelpreisträger Manfred Eigen Hiroshima aus einem Mangel an politisch-miltärischer Vernunft erklärt und Tschernobyl als Folge fehlender technischer Vernunft begreift, unterliegt einer objektivistischen Naivität, die die historische, politische und gesellschaftliche Dimension der Atomkraft vergessen lassen will. Wenn Eigen, der lange Jahre als Direktor des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie in Göttingen tätig war, schreibt, dass »eine umweltgerechte Sicherung der Nahrungserzeugung für eine viele Milliarden Individuen zählende Weltbevölkerung«, eine ausreichende »Versorgung derartiger ›Menschenmassen‹« nur noch unter Einsatz allen verfügbaren Wissens möglich sei, dann spricht daraus eine mechanisch-teleologische Aufklärungsvorstellung, derzufolge der Fortschritt der Technik schon Gutes bringen werde, wenn ihn nur die Vernunft leite.

Dass Eigen die »gentechnische Züchtung neuer Nahrungsmittel sowie die kerntechnische Erzeugung von Elektrizität« empfiehlt, gehört zu einer technologischen Rationalität, die ihre notwendig beschränkte Struktur nicht bedenkt. Denn die Atomkraft ist kein ideales Objekt, das man mit der »richtigen« Technik schon in den Griff bekommt. Bereits die Dauer vieler Halbwertszeiten übersteigt jedes von Menschen kontrollierbare Zeitmaß.