Dagge sein Milieu

Der Boxer Eckhard Dagge ist tot

Solange der Boxsport nur ein Mittel zum sozialen Aufstieg darstellt, kann um ihn herum kein attraktives Milieu entstehen. Aber er ist mehr, viele Menschen finden das Berufsboxen selbst sehr faszinierend. Eckhard Dagge zum Beispiel kam sehr spät zu diesem Sport. Erst im Alter von 20 Jahren, und erst fünf Jahre später wurde er Profi. Doch schon 1975, als 27jähriger, war er Europa- und 1976 Welt­meister des Verbandes WBC im Supermittelgewicht. Später arbeitete er als Boxtrainer. Sein größtes Talent, den späteren Halbschwergewichtsweltmeister Dariusz Michalczewski, verlor er an einen anderen Trainer, weil Dagge seinen Suff nicht in den Griff bekam.

Er stammte nicht aus »klein« genannten Verhältnissen, wie sie Profiboxern gemeinhin nachgesagt werden. Geboren in der Gemeinde Probsteierhagen bei Kiel, sollte er Kaufmann werden oder eine andere im Ort anerkannte soziale Stellung erhalten. Allein, er wollte nicht. Er wollte raus aus dem Milieu, das ihm nicht gefiel, und rein in ein Milieu, das man der Einfachheit halber »das Milieu« nennt. Für ihn war der Boxsport nicht ein Mittel zum sozialen Auf-, sondern zum Ausstieg, zum Protest. »Lieber krepieren als verlieren«, lautete ein Satz von ihm. Als er Weltmeister wurde, beleidigte er sogar Deutschlands ganz großes Boxidol: »Schmeling hat seinen Titel im Liegen gewonnen, ich im Stehen.«

Schon während seiner Karriere leistete sich Dagge Alkoholexzesse, die dauerhaft seine Gesundheit schädigten. Das ­Milieu der Profiboxer verzieh ihm alles. Dort wurde ohnehin gesoffen, außerdem war Dagge ein anständiger Mensch, und er war ein großartiger Boxer.

Während Boxer wie Henry Maske oder die Klitschkos alles versuchen, um auf keinen Fall mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung gebracht zu werden, hängen bis heute Dagges WM- und EM-Gürtel in der »Ritze« in der Hamburger Reeperbahn. Hier hat er trainiert und gesoffen, und als er 1994 als Trainer vom Universum-Boxstall gefeuert wurde, fing man ihn hier mit einem kleinen Trainerjob auf.

Dagge war fasziniert von dieser eigentümlichen Mischung aus Profisport und Prostitution. Hier fühlte er sich wohl. Keinen sozialen Aufstieg in bessere Kreise sollte ihm das Boxen bringen, sondern die Anerkennung von den Leuten, die ihm etwas bedeuteten. Am 4. April starb Eckhard Dagge in einem Hospiz auf St. Pauli.

martin krauss