Neue Wahl, neues Glück

Die besten Chancen, die Wahl in Israel zu gewinnen, hat die Kadima von Ariel Sharon. von michael borgstede, tel aviv

Die Israelis haben eine neue Lieblingssendung. Sie läuft auf wechselnden Sendern im Vorabendprogramm, dauert eine halbe Stunde und ist beeindruckend besetzt. Die Stars heißen Benjamin Netanjahu, Ehud Olmert, Amir Peretz und Ariel Sharon. Besonders lustig aber sind die Nebenrollen. Da ist der hysterisch kreischende Vorsitzende der »Partei für die Rechte des Mannes in der Familie«, da gibt es die Marihuanapartei »Alei Jarok« (Grünes Blatt) oder die Geldpartei, deren einziges Ziel es ist, sich gegen die »übermäßige Macht der Banken« zur Wehr zu setzen. Am 28. März wird in Israel gewählt, und seit gut einer Woche gibt es wieder Wahlwerbung im Fernsehen.

So ein Wahlwerbeblock ist lustiger als jede Satiresendung. Da werden die wildesten Versprechungen gemacht, da wird gelogen, dass sich die Balken biegen, und auch schon mal weit unter die Gürtellinie gezielt. Der aufmerksame Zuschauer kann aber auch viel dar­über lernen, was Israel und seine Bewohner bewegt.

So musste die sefardisch-orthodoxe Shas-Partei einen Spot zurückziehen, in dem ihr geistiger Führer, Rabbi Ovadia Jossef, allen Shas-Wählern den Einzug ins Himmelreich verspricht. Der politische Erzfeind von Shas, die radikal säkulare Shinui-Partei, präsentierte ebenfalls einen Spot, der vom Wahlkampfkomitee zensiert wurde: Einem sympathischen säkularen Juden werfen sich immer mehr ultraorthodoxe Juden an die Füße, die er hinter sich herziehen muss. In der Wahlkabine wählt er Shinui und siehe da – die bärtigen Hütchenträger verpuffen und sind verschwunden.

Aber auch die große Politik kommt nicht zu kurz. Der Vorsitzende des Likud, Benjamin Netanjahu, löst in einem Spot mit seinem Vater, einem bekannten, wenn auch umstrittenen Historiker, bei einer gemütlichen Partie Schach den Nahost-Konflikt. Die beiden sind sich einig: Man dürfe den Arabern um Himmels Willen nicht noch mehr Land überlassen. Das aber wolle Ehud Olmert, der Spitzenkandidat der neuen Kadima-Partei. »Diesem Mann darf man kein Land anvertrauen«, beschwört eine sympathische Männerstimme aus dem Off die Zuschauer.

Seinen klassischen Gegenpart, die Arbeiterpartei Awoda, verschont der Likud diesmal. Diesen Angriff übernimmt die Kadima: Amir Peretz wird als stalinistischer Betonkopf dargestellt, rote Sternchen, Hammer und Sichel blitzen im Hintergrund auf und räumen jeden Zweifel an der Ideologie des ehemaligen Gewerkschaftsvorsitzenden aus. Pe­retz selbst hat sich für eine »positive Kampagne« entschieden. Untermalt von seichter Klaviermusik weist der Vorsitzende der Awoda darauf hin, dass Olmert und Netanjahu jeden Monat Zigarren im Wert des gesetzlichen Mindestlohns rauchten, den er erhöhen wolle.

Im Spot der rechten Partei Israel Beiteinu (Unser Haus Israel) des russischstämmigen Einwanderers Avigdor Lieberman kommt Peretz erst gar nicht vor. Deren Slogan lautet: »Olmert: Njet. Netanjahu: Njet. Lieberman: Da.« Seinen Plan eines »Bevölkerungstausches«, der israelische Araber ihrer israelischen Staatsangehörigkeit berauben und sie zu Bürgern eines zukünftigen Palästinas machen soll, präsentiert Lieberman lieber nicht.

Der Wahlkampf kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Parteien gerade in friedenspolitischer Sicht angenähert haben. So zeigt der Likud, einst Heimstatt revisionistischer Träumer, in seinen Wahl­kampf­spots eine Landkarte Israels mit den Konturen eines Palästinenserstaats. Zugegeben: Das Palästina, wie es der Likud sich vorstellt, ist nicht besonders groß, doch wenn man bedenkt, dass die Karten der Partei noch in den siebziger Jahren bisweilen Teile Jordaniens, Syriens oder gar des Irak dem israelischen Staatsgebiet zuteilten, mutet dieser Wandel erstaunlich an.

Auch die Kadima hat seit Freitag eine Vision. In vier veröffentlichten »Exklusiv-Interviews« mit den wichtigsten israelischen Zeitungen hat Olmert seiner Partei sozusagen über Nacht ein Parteiprogramm verpasst. Er will einen weiteren einseitigen Rückzug aus dem Westjordanland, isolierte Siedlungen räumen und die großen Siedlungsblöcke ebenso halten wie das Jordantal.

Das ist mutig, ob es auch klug war, wird sich in zwei Wochen herausstellen. In einem der Interviews zitierte Olmert selbstsicher den Staatsgründer Ben Gurion: »Ich weiß nicht immer, was das Volk will, aber ich weiß, was es braucht.« In Wahrheit kann sich ausgerechnet Olmert, der nicht besonders beliebt ist, diese Arroganz wohl nicht leisten. Während Ariel Sharon wohl versucht hätte, die Ideologie der Kadima bis zum Wahltag möglichst vage zu halten, hat Olmert sich, gegen den Willen von Sharons ehemaligen Beratern, für das Gegenteil entschieden. Der Vorteil ist offensichtlich: Sollte er am 28. März die Wahlen gewinnen, kann hinterher niemand behaupten, die Pläne des neuen Premierministers seien nicht demokratisch legitimiert. Die Rufe nach einer Volksabstimmung, die den Rückzug aus Gaza fast verhinderten, würden wohl ungehört verhallen. Das weiß auch Netanjahu, der am Samstag verkündete, er schließe eine Koalition des Likud mit der Kadima kategorisch aus. »Diese Wahlen sind ein Referendum über die endgültigen Grenzen des Staates Israel«, sagte er. Olmert wolle sich von einem Großteil des Westjordanlands zurückziehen und die Hamas dadurch stärken. Der Likud werde eine solche Politik nicht unterstützen.

Solche Ankündigungen im Wahlkampf sind mit Vorsicht zu genießen, denn erstens kann nach dem 28. März alles ganz anders aussehen, und zweitens ist gar nicht klar, welche Rolle Netanjahu nach der Wahl im Likud spielen wird. Und mit der Nummer zwei der Partei, dem früheren Außenminister Silvan Shalom, könnte sich die Kadima wahrscheinlich besser anfreunden. Nach einer mehrere Wochen andauernden Erosion liegt die Kadima in den Umfragen derzeit stabil bei 38 Mandaten. Die Arbeiterpartei folgt mit 19, der Likud steht bei 16. Shas, Vereinigtes Tora-Judentum und Israel Bei­tei­nu liegen gleichauf bei sechs bis neun Sitzen, der linken Meretz-Partei werden nicht mehr als vier Mandate vorhergesagt, und die bei den Wahlen 2003 so überraschend erfolgreiche Shinui-Partei hat sich erfolgreich selbst zerstört und wird wohl an der Sperrklausel von 1,5 Prozent scheitern.

Am wahrscheinlichsten ist deshalb derzeit eine Koalition aus der Kadima und der Arbeiterpartei. Je nach Mehrheitsverhältnissen könnten einer solchen Koalition auch die linke Meretz-Partei oder eine religiöse Partei beitreten. Die Shas-Partei und ihr askenasisches Pendant, die Partei Vereinigtes Tora-Judentum, sind traditionell für fast jedes politisches Programm zu haben, solange die großzügigen staatlichen Subventionen für ihre Kindergärten und Religionsschulen weiter aufgestockt werden.

Mit etwas Glück könnte es für die Kadima auch ohne die Arbeiterpartei klappen. Eine Koalition mit Israel Bei­teinu, Shas und der Partei Vereinigtes Tora-Judentum brächte es jüngsten Umfragen zufolge auf 61 Mandate. Abgesehen davon, dass der Beitritt der beiden orthodoxen Parteien zur Koalition Olmert wahrscheinlich einige hundert Millionen Schekel kosten würde, sind 61 Mandate bei 120 Sitzen in der Knesset keine Mehrheit, mit der sich heftig umstrittene Entscheidungen durchsetzen lassen. Genau das hat Olmert in der nächsten Legislaturperiode aber vor.