Der Mann von nebenan

Der polnische Präsident Kaczynski besuchte Berlin. Zu einer Annäherung im deutsch-polnischen Verhältnis kam es dabei nicht. von oliver hinz

Fast schon euphorisch gab sich der polnische Präsident Lech Kaczynski kurz vor seinem Rückflug von Berlin nach Warschau. »Die Deutschen sind mir sympathisch«, schwärmte er gut gelaunt bei seiner abschließenden Pressekonferenz im Hotel Adlon. »Aber natürlich nicht alle«, ergänzte er auf seine oft undiplomatische Art.

Unsympathisch findet der nationalkonservative Politiker gewiss die rund 30 Schwulen und Lesben, die wenige Stunden zuvor versucht hatten, seine Rede an der Humboldt-Universität zu verhindern. Laut protestierend stürmten die deutschen und polnischen Demonstranten mit Transparenten vor seinem Auftritt das Audimax. Der Veranstalter Ingolf Pernice ließ einen von ihnen an Kaczynskis Rednerpult. »Dieser Mann ist ein Antidemokrat, es ist empörend, dass er hier reden darf«, schimpfte Holger Wicht vom schwul-lesbischen Magazin Siegessäule. »Er ist mitverantwortlich für Gewalt gegen Schwule und Lesben. Dieser Mann ist ein Volks­verhetzer.«

Kaczynski blieb äußerlich gelassen. Mangels fliegender Eier mussten seine fünf Bodyguards auch ihre mitgebrachten Regenschirme nicht öffnen, um den Präsidenten gegen Wurfgeschosse zu schützen. Erst in der Fragerunde schlug der Staatsgast zurück. Einen Studenten, der ihn darauf ansprach, dass er in den vergangenen Jahren als Oberbürgermeister von Warschau zwei Demonstrationen von Homosexuellen verboten hatte, kanzelte er mit der Formulierung ab, er hätte sich »eine etwas andere Art der Fragestellung« gewünscht. Und dann redete er Fraktur: »Es gibt keinen Grund, die Homosexua­lität zu fördern. Denn wenn sie die Oberhand gewinnen würde in der Gesellschaft, dann müsste die Menschheit aussterben.« Deshalb dürften Homosexuelle niemals mit Heterosexuellen gleichberechtigt sein. Sein zweimaliges Demonstrationsverbot entspreche dem polnischen Recht, meinte Kaczyns­ki.

Die Bundesregierung erhob die offene Diskriminierung von Lesben und Schwulen durch den polnischen Präsidenten und seine Partei »Recht und Gerechtigkeit« jedoch nicht zum Thema der bila­teralen Gespräche. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes wollte auf Nachfrage der Jungle World Kaczynskis Meinung über Homosexuelle nicht kommentieren. Und es ist anzunehmen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) während ihrer Unterredungen mit Kaczynski nicht auf das Thema eingingen.

Dabei hatten »Lesben und Schwule in der Union« (LSU) bereits im November Merkel darum gebeten, sich gegenüber Polen für die Rechte von Homosexuellen einzusetzen. Die Bundesregierung »wird die Situation sexueller Minderheiten weiterhin aufmerksam verfolgen«, schrieb Merkels außenpolitischer Berater Christoph Heusgen in der Antwort.

Diese Zusage genügt Axel Hochrein, dem stellvertretenden Vorsitzenden der LSU und Bundesvorstandsmitglied des Lesben- und Schwulenverbands LSVD. »Eine direkte Einflussnahme ausländischer Regierungen auf Behördenwillkür gegen Homosexuelle ist schwer möglich«, stellte er fest. Ohnehin fand er es falsch, Kaczynskis Rede an der Universität zu stören. Die LSU demonstrierte nur, wie unter anderem die Grünen, vor der Universität. Auch aus der SPD kam Kritik an der Form des Protests. Bundespräsident Horst Köhler rief den polnischen Präsidenten eigens an und be­dauerte den Eklat.

Es war Kaczynskis erste Deutschland-Reise über­haupt. Sein Misstrauen gegenüber dem Nachbarland sitzt so tief, dass er sich vor einiger Zeit sogar damit brüstete, keinen Kontakt zu deutschen Politikern zu haben. Im vergangenen Sommer ließ er als Warschauer Oberbürgermeister ein Gesprächs­angebot Köhlers bei dessen Besuch in Polen einfach unbeantwortet.

Anders als sonst bei Staatsbesuchen üblich, gab es keine gemeinsame Pressekonferenz mit Kaczyns­ki und Merkel. Vor dem Gespräch im Kanzleramt hörte man lediglich schön klingende Statements von beiden. Journalisten durften keine Fragen stellen. So wurde der Streit über die Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland und die Vertrie­benenpolitik nicht öffentlich ausgetragen. Ein Missgeschick passierte trotzdem. Kaczynski schlug beim Fototermin lange die ausgestreckte Hand der Kanzerlin aus, obwohl sie ihm zuflüsterte »shake hand«. Erst mit einiger Verspätung drückte er ihre Hand.

Angesichts der schwierigen Ausgangslage war es ein leichtes, bereits kleine Fortschritte als Erfolg in den deutsch-polnischen Beziehungen zu verkaufen. Das taten allerdings nicht Merkel und Steinmeier, die beide nach ihren getrennten Gesprächen mit dem polnischen Gast schwiegen, sondern Kaczynski. »Das Eis zwischen Polen und Deutschland ist gebrochen«, betonte er.

Eine Annäherung gab es jedoch nur beim Thema Vertreibung. Noch Anfang des Monats drohte der polnische Kulturminister Kazimierz Ujazdowski in Berlin, den Ausstieg aus dem im Jahr 2005 gemeinsam mit Deutschland gegründeten Netzwerk »Erinnerung und Solidarität« für den Fall an, dass in Berlin ein »Zentrum gegen Vertreibungen« entstünde. Nun versicherte Kaczynski: »Wir werden uns am Netzwerk beteiligen und sehen, wie sich dieses Projekt entwickelt.« Er werde es jedoch »nie zulassen, dass man verschleiert, wer in der Vergangenheit Opfer und wer Täter war«.

Auf der anderen Seite rückt Merkel offenbar vom »Zentrum gegen Vertreibungen« ab, das sie noch vor wenigen Monaten als ihr »Herzensanliegen« bezeichnet hatte. Für dieses vom Bund der Vertriebenen geplante Museum wird es nach offiziellen Angaben kein Geld aus dem Bundeshaushalt geben. Ganz auf Distanz zum Vertriebenenzentrum geht die Bundesregierung indes nicht. Der Bund stellt der Stiftung »Zentrum gegen Vertreibungen« ab August das Kronprinzenpalais in Berlin für eine Ausstellung zur Verfügung. Der wichtigste Mitarbeiter von Kulturstaatsminister Bernd Neumann ist seit Februar obendrein das Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des »Zentrums gegen Vertreibungen«, Hermann Schäfer.

Damit gehört diesem Gremium erstmals ein Regierungsbeamter an, auch wenn er seine Mit­gliedschaft offiziell ruhen lässt. Schäfers Aufgabe im Kanzleramt ist es, »in Berlin ein sichtbares Zeichen« des Gedenkens an die Vertreibung auf den Weg zu bringen, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Im Gegensatz zu Schäfer hat der israelische Wissenschaftler Moshe Zimmermann seine Mitgliedschaft im Zentrumsbeirat vor we­nigen Tagen niedergelegt, offenbar wegen eines Vergleichs zwischen dem Holocaust und der Ver­treibung.

Ein polnischer Experte fehlt dem Vertriebenenprojekt schon lange. Bereits vor mehreren Jahren beendete ein junger polnischer Wissen­schaftler seine Mitarbeit. An seinen Namen konnte sich die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, Erika Steinbach, im Gespräch mit der Jungle World nicht einmal mehr erinnern. Dafür weiß sie: »Der Wissenschaftler aus Bromberg hat sich wegen Repressionen im eigenen Land aus dem Beirat zurückgezogen. Ich kann verstehen, dass er seine beruf­liche Zukunft nicht aufs Spiel setzen wollte. Das ist für eine Demokratie aber traurig.« Daraus zog sie ihre Konsequenzen: »Wir haben jetzt nicht mehr versucht, einen polnischen Wissenschaftler zu finden, da jeder in eine vergleichbare Situation geraten würde.«