Geld, ein Baby oder der Tod

Täglich sterben in Argentinien Frauen bei illegalen Abtreibungen. Eine Kampagne fordert die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. von jessica zeller, buenos aires

Ich fand es total schrecklich. Du blechst 1 000 Pesos, also ein gutes Monatsgehalt, und dann musst du dich in der Klinik verstecken. Die Krankenschwester zieht den Vorhang zu und guckt dich an, als seist du eine Mörderin. Der Arzt macht den Eingriff, kassiert, aber ein einleitendes Gespräch oder eine Nachuntersuchung kannst du vergessen.« Florencia Pérez* ist 28 Jahre alt, wohnt in einem Szeneviertel in Buenos Aires und studiert Kunstgeschichte. Ihr Schicksal ist in Argentinien keine Seltenheit.

Frauen, die ungewollt schwanger geworden sind, stehen in Argentinien, wie in den meisten Ländern Lateinamerikas, vor einem großen Problem. Denn Abtreibung ist gesetzlich verboten. Der Artikel 86 des Strafgesetzbuchs nennt lediglich zwei Ausnahme­fälle, in denen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei, nicht jedoch legal ist: »Wenn die Abtreibung mit dem Ziel durchgeführt wurde, ein Risiko für das Leben und die Gesundheit der Frau zu vermeiden und dies nicht durch andere Verfahren und Mittel möglich ist«, und »wenn die Schwangerschaft aus dem unzüchtigen Angriff auf eine geistig behinderte oder geistig verwirrte Frau oder der Vergewaltigung einer solchen hervorgegangen ist«.

In der Praxis werden diese Ausnahmeregelungen jedoch so gut wie nie angewendet. Zu konservativ und katholisch sind die argentinische Politik und die Justiz. Und zu lukrativ ist das Geschäft mit den Frauen in Not, in einem Land, wo man als Arzt von einem normalen Gehalt in einem öffentlichen Krankenhaus kaum gut leben kann und sich deshalb gerne auch mit illegalen Schwangerschaftsabbrüchen etwas dazuverdient.

In Argentinien kommen auf jährlich etwa 700 000 Geburten trotz des Verbots mehr als 500 000 Abtreibungen. Zwar sollen im Rahmen des staatlichen Programms zur Familienplanung seit zwei Jahren Kondome umsonst in allen öffentlichen Krankenhäusern verteilt werden, zusätzlich gibt es die »Pille danach«. In der Realität sind diese Medikamente jedoch höchs­tens in Buenos Aires und der näheren Umgebung erhältlich, häufig muss man sie in der Apotheke kaufen. Doch viele Frauen haben das Geld nicht, und viele Männer geben es lieber für andere Dinge aus.

Die Frage ist also in den meisten Fällen nicht, ob, sondern wie die Argentinierinnen abtreiben. Und das ist eine Klassenfrage: Die Mittel- und Oberschicht lässt sich, wie etwa Florencia Pérez, in privaten Kliniken im Landesinneren behandeln. Dort ist die Abtreibung sicher und teuer. Die Frauen aus den ärmeren Bevölkerungsschichten müssen sich hingegen geradezu mittelalterlichen Methoden unterziehen. Beliebt ist zum Beispiel das Einführen von Pflanzen wie Petersilie in die Gebärmutter, was schwere Blutungen hervorruft. Mit denen werden die Frauen dann ins öffentliche Krankenhaus eingeliefert, wo die Ärzte den Eingriff kostenlos durchfüh­ren bzw. beenden müssen, um das Leben der Frau zu retten. Was in einigen Fällen klappt und in anderen nicht.

Schätzungsweise eine bis zwei Frauen sterben täglich an einem heimlich durchgeführten Schwangerschaftsabbruch. »Ob die Abtreibung gefährlich ist oder nicht, ist eine Frage des Geldes«, sagt die argentinische Psychologin und Frauenrechtlerin Martha Rosenberg. Sie ist Vorsitzende des Forums für repro­duktive Rechte und eine von acht Frauen des Organisationskomitees der Kampagne zur Legalisierung von Abtreibung in Argentinien. Insgesamt 250 Gruppen mit größtenteils frauenpolitischem und ge­werk­schaftlichem Hintergrund riefen hier im vergangenen Jahr zum Protest auf unter dem Motto: »Sexual­aufklärung, um entscheiden zu können, Ver­hü­tungs­­mittel, um nicht abtreiben zu müssen, legale Abtreibung, um nicht zu sterben«.

Am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, gab es eine Demonstration mit etwa 2 000 Teilnehmern vor dem Kongressgebäude. Kurz darauf wurde dort eine Petition mit 100 000 Unterschriften eingereicht. Die haben auch zahlreiche Politiker unterschrieben, die gegenwärtig an verschiedenen Gesetzesentwürfen arbeiten. Manche fordern lediglich, die bestehenden Ausnahmeregelungen konsequent anzuwenden, andere übernehmen die Forderungen der Kampagne fast im Wortlaut: Abtreibung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche bedingungslos und kostenlos in allen öffentlichen Krankenhäusern.

Obwohl der Kampf für reproduktive Rechte in Argentinien bereits seit längerem geführt wird, wurde ein Bündnis wie das gegenwärtige auch durch andere Faktoren begünstigt. »Im Zuge der Wirtschaftskrise 2001/2002 gab es eine enorme gesellschaft­liche Mobilisierung, die sich auch in der Frauenbewegung niedergeschlagen hat. Ein entscheidender Moment war das Nationale Treffen von Frauengruppen in Rosario vor drei Jahren. Hier wurde zum ersten Mal konkret über Strategien gesprochen, mit welchen man Abtreibung in unserem Land legalisieren kann«, meint Martha Rosenberg.

Im vergangenen Jahr wurde das Thema auch von Mitgliedern der argentinischen Regierung selbst zur Sprache gebracht. Der Gesundheitsminister Ginés Gonzáles García forderte eine Straffreiheit für Abtreibungen und bezeichnete die Legalisierung als ein effizientes Mittel, um die Müttersterblichkeit zu redu­zieren. Und die Kosten für den argentinischen Staat, ließe sich hinzufügen. Denn seit der Wirt­schaftskrise ist in manchen armen Regionen oft fast die Hälfte der Betten der frauenmedizinischen Abteilung in öffentlichen Krankenhäusern mit »Muttertod-Gefährdeten« belegt. Wer selbst nichts zu essen hat, will eben auch keinen Nachwuchs.

Für seine Äußerungen wurde Gonzáles García vom obersten Bischof Argenti­niens, Antonio Juan Baseotto, in einem Brief zurechtgewiesen. Man solle jenen, die wie der Gesundheitsminister die Abtreibung verteidigten, einen Stein um den Hals binden und sie ins Meer werfen, forderte der Geistliche. Eine Methode, mit der man während der Militärdiktatur Regimegegner umbrachte. Präsident Nestor Kirchner setzte daraufhin Baseotto als obersten Bischof ab und riskierte einen Konflikt mit dem Vatikan, der erst bei der Amtseinführung von Papst Benedikt XVI. beendet wurde.

Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass der Präsident Gesetzesvorhaben zur Legalisierung der Abtreibung befürwortet. Beim Streit mit dem konservativen Klerus ging es ihm wohl eher um die Solidarität mit seinem Minister, mit eigenen Äußerungen zu der Problematik hält sich Kirchner in letzter Zeit zurück. Stattdessen ergriff seine Ehefrau, die Senatorin Cris­tina Fernández, das Wort und präsentiert sich als selbstbewusste, glückliche Mutter und Abtreibungsgegnerin.

*Name von der Redaktion geändert