Ein Placebo tut’s auch

Das Investitionsprogramm, das die große Koalition in Genshagen beschloss, ist nicht so groß, wie getan wird, und dürfte an den hohen Arbeitslosenzahlen wenig ändern. von georg fülberth

Immer wieder freitags ringt der Vorsitzende der Ludwig-Erhard-Stiftung, Hans D. Barbier, in seiner FAZ-Kolumne mit sich und der Welt. Er kommt mit seinen Projektionen auf Angela Merkel nicht zurecht.

Voriges Jahr hatte er in ihr noch eine neue Margaret Thatcher gesehen. Dann entdeckte er in der »sozialdemokratisierten« CDU/CSU ein Bleigewicht an ihren Füßen, das sie in ihren Vorhaben behindere. Hoffnung machte ihm die FDP, und insbesondere gefiel ihm die Idee einer »Gesundheitsprämie« (gleich Kopfpauschale). Weil Angela Merkel mit der FDP koalieren wollte, übernahm sie dieses Konzept, und es sah ja auch so aus, als mache sie das zu ihrer eigenen Sache. In seiner letzten Kolumne vor dem 18. September 2005 frohlockte Barbier schon fast. Eine Woche später gab er den Philosophen, der sich nur noch für die Natur interessiert, insbesondere den Wind des Wandels. Der wehe, wo er wolle, und lasse sich auch durch Wahlergebnisse nicht von seinem Weg abbringen. Wenn man ihm zu hohe Hindernisse in den Weg stelle, drehe er in marktliberale Wachstumsländer ab. In der Folgezeit zeigte Barbier Schadenfreude. Das Volk habe falsch gewählt und deshalb die verderbliche Politik einer großen Koalition verdient.

Die Klausur von Genshagen und ihre Ergebnisse müssen insofern sein Urteil bestätigen: falsch, alles falsch! Der FAZ-Kommentator sieht darin eine Wiederholung des Sündenfalls der Jahre 1966 bis 1969, als eine erste große Koalition die Bundesrepublik dicht an den Sozialismus herangeführt habe.

Tatsächlich gibt es eine Parallele: Beide Male wurde ein Investitionsprogramm zur Belebung der Konjunktur aufgelegt. Diesmal sind es 25 Mil­liarden fürs Bauhandwerk, für die Wissenschaft und die Forschung sowie die Familien. Vorher wurde schon eine erhöhte Neuverschuldung beschlossen – deficit spending im Sinne John Maynard Keynes’ und Karl Schillers. Bei genauerer Betrachtung stellt man jedoch fest, dass es sich bei den Beschlüssen unterm Strich nicht um höhere Ausgaben handelt.

Einige Stellen, an denen mehr Geld ausgegeben wird, sind durchaus sinnvoll, zum Beispiel die Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen. Das wird den einzelnen Betrieben gut tun.

Für das einkommensabhängige »Elterngeld« wird der Fiskus ziemlich viel Geld locker machen. Wer viel verdient, erhält höhere Ersatzleistungen als diejenigen, die wenig haben. Damit will man gleich zwei Ziele erreichen: Die Konjunktur soll belebt und die Geburtenziffer erhöht werden. Schauen wir uns das einmal etwas genauer an.

Personen mit einem hohen Einkommen können es in der Regel gar nicht vollständig ausgeben. Sie sparen. Das Geld, das sie auf die hohe Kante legen, steht jedoch keineswegs immer für Investitionen in die Produktion zur Verfügung, nach dem simplen Schema: Ich trage mein Geld zur Bank, die verleiht es an schöpferische Unternehmer, und deshalb gibt es neue Arbeitsplätze. Wer schlau ist, hält sich liquide, sorgt dafür, dass die Euros, die er heute anlegt, morgen mit guter Rendite wieder zur Verfügung stehen. Dafür eignet sich am besten die Börse. Man muss nicht einmal selber spekulieren, dafür hat man seine Finanzdienstleister.

Das Kinderkriegen stört dabei nicht. Es ist allenfalls schädlich für eine berufliche Karriere. Nur wer von Haus aus sehr reich ist, wie etwa die Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU), kann sich die umfangreiche Betreuung der – in diesem Fall: sieben – eigenen Kinder leisten. Diese Betreuung leisteten sich Angehörige der oberen Schichten schon immer. Andere Beispiele sind oder waren die hessische CDU-Sozialministerin Silke Lautenschläger (da hilft auch die Oma noch ein bisschen mit) und Herta Däubler-Gmelin (SPD). Sie alle haben auch schon vor den Beschlüssen von Genshagen einen beträchtlichen finanziellen Aufwand für die Kinderbetreuung geleistet. Künftig wird er mit dem Elterngeld, das für diese Schichten höher ist als das bisherige Erziehungsgeld, belohnt. Die nachfragewirksamen und arbeitsplatzschaffenden Ausgaben steigen nicht, nur bekommt Frau von der Leyen mehr von dem Geld, das sie für ihr Personal ausgibt, zurück, und man darf annehmen, dass sie es liquide hält.

Auch die steuerliche Absetzbarkeit anderer haushaltsnaher Dienstleistungen bringt nicht mehr Beschäftigung. Bisher hatte man ja ebenfalls seine Putzfrau, und die wird wahrscheinlich auch in Zukunft schwarzarbeiten müssen, weil das für die Herrschaft immer noch billiger ist als die legale Tätigkeit mit Abschlag. Es handelt sich insgesamt sogar wieder einmal um eine Umverteilung nach oben, denn Niedrigverdiener haben nichts von diesen Vergünstigungen.

Investitionen in Höhe von 25 Milliarden klingen ganz schön beeindruckend. Nur schrumpfen sie beträchtlich, wenn wir bedenken, dass sie nicht sofort, sondern innerhalb von vier Jahren ausgegeben werden sollen. Das macht per anno nur noch sechseinviertel Milliarden. Na ja, wird Franz Müntefering dazu sagen, man müsse aber den Multiplikator-Effekt bedenken. Gemeint ist eine Überlegung, die einst Keynes propagierte und nach der für jeden Betrag, den der Staat ausgibt, zusätzlich ein Vielfaches an privaten Investitionen getätigt werde.

Zutreffend macht die Abteilung Wirtschaftspolitik beim Verdi-Bundesvorstand darauf aufmerksam, dass die Regierung ihre Ausgaben gleichzeitig um vier Milliarden kürzt. Gespart wird bei den Leistungen für die Empfängerinnen und Empfänger des Arbeitslosengeldes II, beim Öffentlichen Dienst und beim Nahverkehr. Bleiben für das erste Jahr nur noch gut zwei Milliarden. Ziehen wir davon die Steuererleichterungen ab, entsteht sogar ein Minus. Und das ist erst der Anfang: Kommt nächstes Jahr die Erhöhung der Mehrwertsteuer, entsteht eine ganz andere Multiplikatorwirkung. Denn ebenso, wie jede staatliche Mehrausgabe weitere Kaufkraft weckt, wird jede Sparmaßnahme eine größere Zurückhaltung bei Inves­titionen und beim Konsum zur Folge haben.

Auch hierzu ist der Regierung – oder vielleicht auch nur ihren PR-Agenturen – etwas Passendes eingefallen: Wenn in diesem Jahr die Konjunktur anspringe, dann schade die Mehrwertsteuer 2007 nicht mehr. Der Karren laufe dann längst und sei nicht mehr so leicht zu stoppen.

Ist das falsch oder richtig? Wenn Sie mich fragen: Ich weiß es nicht. Bis heute streiten sich die Gelehrten, ob die beiden Investitionsprogramme, die 1967 die erste große Koalition auflegte, zum bald danach erfolgten Aufschwung beigetragen haben oder ob dieser sich zyklisch auch ohne sie eingestellt hätte. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird es innerhalb des neuen Acht- bis Zehnjahreszyklus (das ist in etwa das Durchschnittsmaß seit den siebziger Jahren: 1975 bis 1982, 1983 bis 1992, 1993 bis 2003) konjunkturell wieder etwas aufwärts gehen, auch nach 2007.

Fraglicher ist, ob die Arbeitslosigkeit beim nächsten Boom niedriger sein wird als beim vorigen. Auch darf man gespannt sein, wie hoch sie in der später zu erwartenden Rezession sein wird. Eine Prognose sei gestattet: Die Arbeitslosigkeit wird parallel zum nächsten Zyklus sinken und steigen, aber sie wird in jeder Phase über dem jeweiligen Niveau der vorangegangenen liegen. Das ist gut für die Kapitalisten und schlecht für die Lohnabhängigen. Diesem Zustand wird die neue große Koalition ebenso dienlich sein wie einst die rot-grüne.