»Päpstlicher als der Papst«

Ein Interview mit dem Münchner Zoologen und Evolutionsbiologen josef h. reichholf

Was wollen die Kreationisten und Verfechter des Intelligent Design eigentlich?

Den Kreationisten geht es um eine wortgetreue Auslegung der Bibel. Sie lehnen daher nicht nur die Evolutionsbiologie ab oder die Biologie insgesamt, sondern auch die Geologie, die Paläontologie, alle Naturwissenschaften, die mit »Zeit« und »Zeiten« zu tun haben. Denn wer mit der Bibel das Alter der Erde auf 6 000 Jahre festlegen möchte, muss mit diesen Wissenschaften in Konflikt geraten.

Hatten Sie schon persönlich mit Kreationisten zu tun?

Ich traf auf einer Tagung Reinhard Junker, der zusammen mit Siegfried Scherer das Buch »Evolution – ein kritisches Lehrbuch« herausgegeben hat. Der Mann ist päpstlicher als der Papst und betont jeden Fehler der Naturwissenschaft. Diese Fehler aber sind doch die Stärke der Wissenschaft, sie korrigiert sich selbst, sobald neue Befunde vorhanden sind. Solche Korrekturen lässt aber Junkers Dogmatik nicht zu.

Beide Buchherausgeber greifen sich aus der Biologie nur die Versatzstücke heraus, die zu ihren, wie sie es sagen, »kritischen Sichtweisen« passen. Das ist so, als ob einer behauptet, alle Autos seien rot, und dann zeigt er auf rote Autos und triumphiert: »Da, schon wieder eins!«

Krass wird es dort, wo die Evolution angeblich nicht mit den Bibeltexten vereinbar ist. Dabei geht es oft um ihr zentrales Thema: den »Sündenfall«. Vor dem »Sündenfall« waren aus ihrer Sicht das Leben und die Welt gut, den Tod gab es nicht. Das erzeugt einen unüberbrückbaren Gegensatz zu den Befunden etwa der Paläontologie, aber auch zum wirklichen Leben. Was kann irgendein Insekt dafür, dass der Mensch gesündigt haben soll? Wer bibeltreu argumentiert, muss natürlich so einen Schmarren vertreten. Deswegen gibt es bei den Kreationisten noch nicht einmal ausgestorbene Tierarten.

In den USA haben die Kreationisten Erfolge gehabt. Ist in Deutschland etwas Ähnliches zu befürchten?

Da bin ich skeptisch. Die Mehrheit der Bevölkerung ist dafür nicht so anfällig wie in den USA.

Immerhin lehnen nach einer aktuellen Umfrage der »Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland« 38 Prozent der Deutschen die Evolutionstheorie ab.

Das ist erschreckend, aber in den USA sind es fast doppelt so viele. Vor allem müssen die Staatskirchen darauf achten, nicht von solchen sektiererischen Strömungen unterwandert zu werden.

Bisher haben die Kirchen den Kreationisten nur wenig entgegengesetzt. Wie auch, bis vor wenigen Jahrzehnten hingen sie ja noch der gleichen Überzeugung an.

Das ist wohl eine taktische Maßnahme. Um die Gläubigen nicht zu verprellen, meidet man eine klare Festlegung. Aber selbst der letzte Papst stellte fest, dass Evolution mehr ist als nur eine Theorie und dass sie mit dem Katholizismus vereinbar sei.

Bei Vorträgen auf Einladung beider Kirchen habe ich den Eindruck gewonnen, dass man dort sehr besorgt über die Entwicklung ist. Dieser Sektenfundamentalismus kann nicht in ihrem Interesse sein.

Was wäre, wenn man sich nicht auf die Kirchen verlassen möchte, sonst noch zu tun, um dem Kreationismus keinen Raum zu geben?

Der Biologieunterricht in den Schulen sollte gestärkt werden, dort müssten vermehrt die Grundkenntnisse über unser eigenes Leben und seine Geschichte vermittelt werden. Man muss jetzt, beginnend in den Grundschulen, dafür sorgen, dass sich das rationale Denken durchsetzt und dieser mittelalterliche Klamauk des Irrationalen nicht weiter um sich greifen kann. Dazu gehört auch die gesamte Esoterik.

interview: maik söhler

Josef H. Reichholf lehrt Naturschutz an der TU München und schrieb das Vorwort für die Neuauflage von Charles Darwins Werk »Die Abstammung des Menschen«.