Kann das alles Zufall sein?

Die Evolutionstheorie bekommt neben der alten religiösen Konkurrenz eine naturwissenschaftliche. Die Idee einer Schöpfung nach Plan liegt vor allem in den USA im Trend. von cord riechelmann

Dass man seine Schwierigkeiten mit der darwinistischen Evolutionstheorie haben kann, ist eine Sache. Etwas anderes aber ist es, wenn diese Schwierigkeiten erprobte Genetiker wie Wolf-Ekkehard Lönnig vom Max-Planck-Institut (MPI) für Züchtungsforschung in Köln dazu verleiten, einem »intelligenten Designer« das Wort zu reden, nach dessen Plan sich das Leben entfaltet habe. Lönnig ist ein durch Fachpublikationen wissenschaftlich ausgewiesener Biologe, der sich auf seiner Homepage am Max-Planck-Institut kritisch zu aktuellen Problemen der darwinistisch inspirierten Evolutionstheorie geäußert und dabei als Anhänger der Theorie des Intelligent Design geoutet hat. Nach Interventionen vor allem des Kasseler Biologieprofessors Ulrich Kutschera und des Ameisenforschers und Soziobiologen Bert Hölldobler wurde Lönnigs MPI-Seite im Jahr 2003 geschlossen und ist nur noch unter seinem Namen (www.weloennig.de) einsehbar.

Diese Website beginnt mit dem Grundgesetzartikel, der die Würde des Menschen für unantastbar erklärt. Lönnig fühlt sich nämlich durch den Ausschluss von der MPI-Homepage nicht nur in seiner Menschenwürde angetastet, er sieht sich auch in seiner Forschungsfreiheit behindert. In gewisser Weise hat er damit sogar Recht. Denn die Art, wie er angegriffen wurde, ist mindestens so dogmatisch und undifferenziert, wie es die christlichen Fundamentalisten sind, zu denen man die Anhänger der Intelligent-Design-Theorie zählt. So hat man Lönnig häufig einen Kreationisten genannt, der er nachweislich nicht ist.

Kreationisten sind in der Regel – wenn auch gefährliche – bornierte Deppen, die sich auf ihren Treffen in Dallas auf die Schenkel schlagen, wenn ihnen Ronald Reagan oder George W. Bush süffisant erzählen, dass die Wissenschaft auch ihre Probleme mit der Evolutionstheorie habe. Die Vertreter des Intelligent Design sind das nicht. Im Gegenteil, ihre herausragenden Theoretiker sind, wie eben Wolf-Ekkehard Lönnig oder Michael J. Behe von der Lehigh-Universität in Pennsylvania, ausgezeichnete Genetiker und Molekularbiologen.

Die Verfechter des Intelligent Design haben in den USA erste Erfolge zu verzeichnen. Per Gerichtsurteil haben sie im Bundesstaat Kansas erwirkt, dass ihre Theorie in der Schule neben der Theorie Darwins unterrichtet wird. In Pennsylvania ist ein Prozess, der gleiches bewirken soll, noch nicht entschieden. Die Herald Tribune sah darin einen Ausdruck der »kulturellen Krise Amerikas«.

Angesichts des gegenwärtigen Erfolgs evangelikaler Gruppen in den USA, die sich auch in Lateinamerika in einer aggressiven Weise ausbreiten, kann man in dem Urteil einen weiteren Sieg der Religiösen im amerikanischen Kulturkampf sehen. Sicherlich schwimmen die Intelligent Designer auf dieser Welle auch irgendwie mit. Man kann darin aber auch etwas anderes sehen, und zwar eine Vermittlungskrise des Darwinismus und der ihn verteidigenden wissenschaftlichen Institutionen.

Es ist sicher kein Zufall, dass sich so viele Molekular- und Mikrobiologen unter den Anhängern der Intelligent-Design-Theorie befinden. Denn der Widerspruch zwischen den reduktionistischen Erklärungen, die etwa die politische oder sexuelle Orientierung von Menschen auf ein dafür zuständiges Gen zurückführen, und der tatsächlichen Komplexität der Lebenserscheinungen und -äußerungen wird in diesem Forschungsbereich besonders augenfällig.

Dass man dabei bei Gott Halt sucht, ist kein neues Phänomen. Nach Charles Darwin gab es immer wieder Versuche, die Evolutionstheorie mit der christlichen Schöpfungslehre in Einklang zu bringen. Hierzulande wären etwa Joachim Illies, Limnologe und Direktor des Max-Planck-Instituts, Vater eines berühmteren Sohnes, und sein Buch »Schöpfung oder Evolution?« zu nennen. Wie Illies beispielsweise von dem Biologen und Wissenschaftstheoretiker Franz M. Wuketits in seinem Buch »Evolutionstheorien« abgekanzelt wird, zeigt auch, wie sehr die Nerven der Evolutionisten blank liegen, wenn man ihnen mit Gott kommt. Dass wiederum auch die Intelligent-Design-Theoretiker Gott hinter dem Designer vermuten, auch wenn sie es nicht sagen, kann man auf Lönnigs Homepage sehen.

Er hat dort ein ganzes Panoptikum von Äußerungen Max Plancks zu Gott versammelt. Ob dieser nun den Christengott oder den Gott der Philosophen meinte, ist hier nicht so wichtig, es geht eher darum, dass auch Physiker wie Planck damit Schwierigkeiten haben, der Materie ins geistlose Auge zu sehen. »Gott würfelt nicht«, heißt ein Buch von Einstein, das zum einen den Schluss zulässt, dass auch er nicht ohne Metaphysik auskommen mag, und das zum zweiten davon handelt, dass die Materie berechenbar ist. Was berechenbar ist, kann aber auch geplant sein. Und hinter einem Plan könnte durchaus einer stecken, der ihn ausgeheckt hat. So lautet der kleinste gemeinsame Nenner aller Intelligent-Design-Theorien.

Auf der Homepage des Discovery Insti­tute in Seattle heißt es, dass Intelligent Design eine wissenschaftliche Theorie sei, die davon ausgehe, dass einige Aspekte der Natur besser durch die Annahme intelligenter Ursachen erklärt werden könnten als durch indirekte Ursachen wie das Prinzip der natürlichen Selektion. Das Discovery Institute ist zusammen mit der »International Society for Complexity, Information and Design« der Think Tank des Intelligent Design.

Es wird von reichen christlichen Fundamentalisten gesponsert und zählt auch Biologen wie Michael Behe zu seinen Mitarbeitern. Sicher ist das Institut nicht der Aufklärung im Sinne Kants, Darwins oder Marx’ verpflichtet; es als kreationistisch zu bezeichnen oder die von ihnen geförderten Forschungsvorhaben als pseudowissenschaftlich zu diffamieren, verfehlt aber den Gegenstand.

Denn weder die molekulargenetischen Arbeiten Lönnigs noch die des Münchner Mikrobiologen Siegfried Scherer sind pseudowissenschaftlich, sondern von der scientific community gefördert und begutachtet. Einzig ihre metaphysischen Schlussfolgerungen, die im Naturgeschehen keinen Zufall, sondern das vernünftig gerichtete Werk eines Designers walten sehen, sind teleologische Glaubensbekenntnisse.

Aber das sind die Erwiderungen vieler Darwinisten auf die Intelligent Designer leider auch. Was verschiedene Gründe hat, die auch aus den Schwierigkeiten der Evolutionstheorie selbst erwachsen, zum Beispiel die 40fache Entstehung des Auges im Tierreich widerspruchsfrei zu erklären oder die Existenz von Erscheinungen ohne naturgeschichtliche Vorläufer wie die der Augenflecken bei Schmetterlingen aus den Darwinschen Mechanismen von Mutation und Selektion herzuleiten. Wie das Neue in die Welt kommt, das, weil es keine Vorläufer hat, nicht ab­geleitet werden kann, ist mit Darwin nicht zu erklären. Es ist, und das sei nur am Rande erwähnt, in diesem Zusammenhang kein Zufall, dass einer der interessantesten nicht religiös fundierten Angriffe auf die darwinistische Evolutionstheorie von dem Schmetterlingsspezialisten Vladimir Nabokov stammt.

Es sind gerade die offenen Fragen der Evolutionstheorie, an denen die Intelligent-Design-Theoretiker ansetzen. Wenn man ihnen argumentativ und nicht nur institutionell, wie es etablierte Universitätsprofessoren wie Kutschera und Hölldobler tun, begegnen will, sollte man auch ihre Argumente studieren und sie nicht einfach mit dem antikreationistischen Affekt abbügeln. Ebenso wenig wie sich innerhalb der Evolutiontheorie Lamarckisten, Darwinisten, Neo-Darwinisten oder Anhänger der synthetischen Evolutiontheorie Ernst Mayrs umstandslos in einen Topf werfen lassen, kann man auch die neuen Naturtheologen der kreationistischen Schule und der Intelligent-Design-Theorie über einen Kamm scheren. Man kommt, gerade wenn man sie kritisieren will, nicht um Genauigkeit herum.

Kreationisten sind Anhänger der biblischen Schöpfungsgeschichte. Den sechs jeweils 24 Stunden dauernden Schöpfungsphasen, in denen vor 10 000 Jahren alles Leben erschaffen wurde, haben sich Forschung und Lehre unterzuordnen. Allerdings gibt es auch unter ihnen welche, die zugestehen, dass jeder Tag der Genesis eine geologische Epoche repräsentiere, die mehrere Millionen Jahre gedauert haben könne.

Die Intelligent-Design-Theoretiker hingegen beziehen sich nicht auf religiöse Quelltexte. Sie arbeiten mit Argumenten aus der Informationstheorie, der SETI- Forschung (»Search for Extra-Terrestrial Intelligence«), der Künstlichen Intelligenz, der Archäologie und der Molekularbiologie. Sie unterscheiden strikt zwischen religiösen und wissenschaftlichen Texten und bestreiten weder die in der Evolutiontheorie verhandelte Dauer des geschichtlichen Naturprozesses noch die Veränderbarkeit der Arten. Nur an den Zufall glauben sie eben nicht.

Tatsächlich sind bereits die einfachsten Lebensformen wie Einzeller auf biochemischer Ebene dermaßen komplex strukturiert, dass es wirklich nicht ganz leicht ist anzunehmen, dass durch zufällige Mutationen das eine zum anderen gekommen sei, um dann einen lebensfähigen Organismus hervorzubringen. Die Design-Theoretiker reden in diesem Fall gern von der »irreduziblen Komplexität«.

Auf Lönnigs Website findet man dafür das Beispiel des Wasserschlauchs, einer Pflanze, die an ihren zerschlitzten Blättern in kleine, grüne Blasen umgewandelte Blattzipfel aufweist. Die Blasen sind mit Wasser gefüllte Tierfallen, in die Wassertiere, wenn sie in die Nähe kommen, hineingezogen werden. Für Lönnig ist eine allmähliche zufällige Entwicklung nicht nur nicht vorstellbar, er bezweifelt, dass so ein Gebilde überhaupt ohne planvollen Entwurf entstehen kann. Dagegen kann man zuerst einmal wenig einwenden, weil sich experimentell die Umwandlung eines einfachen Blattes in ein Fangblasenblatt an einem Wasserschlauch nicht nachzeichnen lassen wird. Theoretisch sind aber sehr wohl Hypothesen möglich, die versuchen, die Entstehung der Fangblasen durch kleine aufeinander folgende Schritte zu rekonstruieren. Tatsachenbehauptungen sind dies aber keine. Wer ohne Gott auskommt, wird damit leben können.

Ob man dann jedoch mit der apodiktischen Bestimmung, die der Kasseler Biologe Kutschera in seiner Kritik an Lönnig vornimmt, seine Freude hat, ist eine andere Frage. Er bestimmt nämlich einfach kraft der Autorität seines Darwinismus, dass der Wasserschlauch »gerade wegen seiner bizarren Fresskünste« zu den Paradebeispielen für die Kräfte der Evolution zähle. Überzeugender als Lönnigs Designer ist das schon deshalb nicht, weil Kutschera genauso wenig argumentiert.

Aber zurück zum Intelligent Design. Aus der angenommenen nicht reduzierbaren Komplexität schließen seine Anhänger auf eben jenen intelligenten Designer, der das Leben sozusagen aus seinem Geist hinter der Materie anwirft und in Gang setzt. Die Identität des Designers lassen sie dabei offen. Hierzu seien »weitere Disziplinen und Argumentationsketten notwendig«, wie Lönnig formuliert. Dass bei vielen Anhängern des Intelligent Designs dabei dann doch wieder Gott herauskommt, dürfte klar sein. Zwangsläufig ist das aber nicht, und das erklärt, warum auch nicht religiöse Wissenschaftler und Des­zen­denz­theoretiker der Idee einer intelligenten Schöpfung anhängen.

In gewissem Sinne reagiert diese Theorie auf offene Fragen, die die institutionalisierte Evolutiontheorie suspendiert und nicht diskutiert oder nicht diskutieren will. Insofern müssen die Theoreme der Intelligent Designer auch nicht unbedingt als Angriff der fundamentalistischen Christen auf die säkularisierte Gesellschaft gewertet werden. Im Gegenteil, die klassischen Kreationisten lehnen die Unterscheidung von religiösen und wissenschaftlichen Schriften strikt ab.

Natürlich werden im Zuge des Intelligent Design mit seinem intelligenten Gestalter auch wieder in den Theorien Lamarcks und Darwins überwundene Ziele und Zwecke in das Evolutionsdenken eingeführt. Dem Materialismus und Naturalismus der beiden Gründer der Evolutionstheorie mögen sie nicht folgen. Aber das tun klassische Evolutionsbiologen wie Stephen Jay Gould auch nicht immer. Dieser hält religiöse Überzeugungen und die Evolu­tions­theorie für vereinbar. Man kann dies zwar auch als Reaktion auf den starken Druck der Evangelikalen verstehen, dem Biologen in den USA ausgesetzt sind, mit Darwin hat das aber nichts mehr zu tun. Seine Evolutionstheorie ist ebenso wie die Lamarcks strikt materialistisch und lässt keinen Platz für religiöse Deutungen.

Das heißt aber nicht, dass die Theorien so konsistent sind, dass sie nicht auch Schwachstellen haben, die man diskutieren müsste. Eine solche Diskussion dadurch zu verhindern, indem man ihren Kritikern, selbst wenn sie Wissenschaftler sind, ihre vermeintlichen oder tatsächlichen religiösen Motive vorhält, hilft nicht weiter. Die Abwehrhaltungen, die zur Sperrung der Homepage Lönnigs führen und ängstlich den säkularisierten Staat untergehen sehen, kann man als Zeichen der tatsächlichen Bedeutungslosigkeit der Evolutionstheorie für die Ausbildung und Arbeit von Biologen werten. Man kann sehr gut an fast jeder Universität hierzulande Biologie studieren und erfolgreich abschließen, ohne auch nur einen Satz von Darwin je im Original gelesen zu haben, und man kann in vielen Bereichen hervorragend als Biologe arbeiten, ohne auch nur eine Sekunde an die Evolution zu denken.

Das soll die Bedeutung der Evolutionstheorie nicht schmälern, man soll nur die Kirche im Dorf lassen, wenn es um die Intelligent-Design-Theoretiker geht. Auch im arrivierten Neo-Darwinismus werden genug Dinge verbreitet und gelehrt, die alle Anzeichen einer religiösen Überzeugung tragen. Dass es eine kritische Theorie der Naturwissenschaften im Allgemeinen und der Biologie im Besonderen bis heute nur in Ansätzen gibt, ist für die Ausbildung und Arbeit von Biologen und für deren gesellschaftliche Vermittlung ungleich folgenreicher als ein paar Molekularbiologen, die angesichts der Konstruktion des Wasserschlauchs oder der bio­chemischen Kaskade, die für die Blutgerinnung verantwortlich ist, einen intelligenten Urheber annehmen.

Immerhin bemerken sie noch den Wasserschlauch und die Blutgerinnung und können beides beschreiben, während jene Forscher, die das Gen für politische Überzeugungen gefunden haben wollen, die gesellschaftlichen Verhältnisse gleich ganz vergessen können. Und diese haben mehr mit dem Aufkommen des Intelligent Design zu tun, als ihnen wahrscheinlich lieb ist. Und eine rein materialistische Geschichtsanalyse ist derzeit auch von vielen Professoren der universitären Biologie nicht zu erwarten.