Jetzt aber mal ehrlich

Im Dienste des russisch-deutschen Energiekonsortiums setzt Gerhard Schröder konsequent fort, was er als Bundeskanzler begann. Ein entschiedenes Wort zur Verteidigung seiner Ehre von regina stötzel

Wird er mehr Zeit für die Familie haben oder nicht? Wird er in Hannover, in Berlin oder gar in der Schweiz tätig sein, sich als Anwalt oder als Verlagsberater verdingen? Schreibt er künftig Boulevardartikel oder seine Memoiren? In geradezu rasantem Tempo jagten sich die Nachrichten über die Zukunfts­pläne Gerhard Schröders, der kurz zuvor noch an seinem Anspruch auf das Amt des Bundes­kanzlers festgehalten hatte wie ein Kampfhund an seiner Beute.

Wer noch nicht wusste, dass es sich bei dem Mann aus einfachen Verhältnissen um einen wahren Tausendsassa handelt, sollte es spätestens in der vergangenen Woche gemerkt haben. Die Russen wollen unseren Schröder! Der Bau­beginn der über vier Milliarden teuren Pipeline wurde gefeiert, die Erdgas direkt aus Russ­land durch die Ostsee nach Deutschland führen soll, damit wir es hier immer schön warm haben. Und zum Aufsichtsratsvorsitzenden ihres Betreiberkonsortiums wurde niemand anders als Gerhard Schröder auserwählt. Zu 51 Prozent gehört die North European Gas Pipeline Company dem staatlich kontrollierten russischen Unternehmen Gazprom, den Rest teilen sich die deutschen Konzerne BASF und Eon. »Direkt von Putin« sei »die Personalie« entschie­den worden, erfuhr die Bild-Zeitung.

Welch eine Ehre, welch ein Erfolg, welch Krönung von Schröders Regierungstätigkeit! Wer, wenn nicht er, ist der Richtige für diese verantwortungsvolle Aufgabe? Doch außer den deutschen Energiekonzernen freuten sich nur wenige und zollten Schröder den Respekt, den er verdient. »Ein toller Kanzler, den wir da hergegeben haben«, schwärmte sein treuer Genosse Ludwig Stiegler, Mitglied des Präsi­diums der SPD.

Undankbar und von Neid erfüllt, wie in diesem Lande so üblich, begannen die politische Konkurrenz und die Medien sogleich damit, Schröders Ansehen zu beflecken. »Instinktlos« nannte Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) Schröders Pläne, bloß weil der die Pipe­line selbst protegiert und wenige Wochen zuvor alles Notwendige vertraglich mit Putin geregelt hatte. Als »mehr als unappetitlichen Vorgang« bezeichnete es Guido Westerwelle, dass der Bundeskanzler »in die Dienste des russischen Staatspräsidenten« trete, obwohl er ja noch »auf der Gehaltsliste der Deutschen« stehe. Er unterstellte »Interessenkollisionen« und entdeckte sein Herz für die unterdrückte Opposition in Russland. Juristen witterten strafbare Vorteilsannahmen und ausgeplauderte Dienstgeheimnisse, die ausländische Presse ließ ihrer Empörung freien Lauf. Die Stasi-Vergangenheit des Generaldirektors der Gesellschaft, Matthias Warnig, der Firmensitz in einem Schweizer »Steuerparadies«, die frühere Geheimdiensttätigkeit Putins und jedes Glas Wein mit ihm auf die deutsch-russische Freundschaft wurden plötzlich dem Altkanzler zur Last gelegt.

Der Chefredakteur des Moskauer Radiosenders »Echo Moskwy« trumpfte im Interview mit Spiegel on­line auf, dass er ja bereits zum Zeitpunkt des deutsch-russischen Gipfeltreffens Anfang Oktober von Schröders Plänen gewusst habe. Carl-Ludwig Thiele, der stellvertretende Fraktions­vorsitzende der FDP, munkelte in Bild: »Wollte Schröder sein Amt loswerden, weil ihm lukrative Jobs zugesagt waren? Hatte er persönliche Motive, als er in politisch aussichtsloser Lage Neu­wahlen herbeiführte?« Es fehlte allein die Unterstellung, Schröder habe den lausig bezahlten Job als Bundeskanzler im Jahr 1998 bloß angenommen, um den Bau der Pipeline zu bewerkstelligen und deren Oberaufseher zu werden.

Vor allem aus den Reihen der FDP erscholl der vehemente Ruf nach einem Ehrenkodex zumindest für Regierungsmitglieder, wie ihn zu Ehren Martin Bangemanns (FDP) die Europäi­sche Union für ihre Kommissare festschrieb. Schrö­ders ehemalige Kabinettskollegin, Jus­tizministerin Brigitte Zypries (SPD), wohl wissend, dass man »einer Justizministerin nicht verweigern (kann), später als Anwältin zu arbeiten, obwohl sie in der Legislaturperiode davor die Rechtsanwaltsvergütung novelliert hat«, stimmte in den Chor mit ein.

Doch Gerhard Schröders Ehre ist keineswegs verloren. Seine Integrität stellte er um­gehend und deutlich unter Beweis.

»Ich bin erst 61 Jahre und will arbeiten«, sagte er der Süddeutschen Zeitung nach den erhobenen Vorwürfen, geradezu vorbildlich für den Mann, der den Faulenzern in diesem Lande den Garaus gemacht hat. Obgleich er in seinem Alter dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen muss, denkt er nicht daran, die Hände in den Schoß zu legen.

Ums Geld geht es ihm bei der Angelegenheit keineswegs. Nicht mehr als die »für sol­che Aufgaben übliche Aufwandsentschädigung« erwartet Schröder für die verantwortungsvolle Tätigkeit, in dessen Regierungszeit als sozial erkannt wurde, was Arbeit schafft. Der Job bei der North European Gas Pipeline Company könnte geradezu als Ehrenamt gelten, wäre es für ihn nicht eine »Ehrensache«. Schließlich hat ihn um den Freundschaftsdienst der Busenfreund gebeten, der weder Kosten noch Mühe scheute, zu Schröders 60. Geburtstag einen Kosaken­chor nach Hannover einfliegen zu lassen. Wah­re Freundschaft und Loyalität enden nun einmal nicht mit den Bundestagswahlen. »Putin hätte leicht ein paar Russen finden können, die sich da noch ein bisschen besser auskennen«, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Dennoch wählte er seinen Freund Schröder und niemand anderen.

»Gemeinsam für Deutschland« lautet der Titel des neuen Koalitionsvertrages, den Schröder selbst noch maßgeblich mitgestaltet hat. Nicht zuletzt in diesem Sinne ist sein Handeln zu verstehen, denn die Zeiten sind hart und die Energievorräte werden knapper. Doch uns kann keiner den Gashahn zudrehen, solange Schröder Herr der Pipeline ist. »Gerhard Schröder hat im ureigenen deutschen Interesse die Oberaufsicht für ein Projekt übernommen, das im energiepolitischen Interesse Deutschlands ist«, stellte der Generalsekretär der SPD, Klaus Uwe Benneter, sichtlich erregt in einer Aktuellen Stun­de des Deutschen Bundestages klar. Auch der eigens von den Miesepetern aus der Opposition einbestellte Vizekanzler Franz Müntefering sprach ein Machtwort. »Mit seiner Kenntnis« sei Schröder die optimale Besetzung für den Posten, und einem internationalen Konzern habe ohnehin niemand etwas vorzuschreiben. »Glauben Sie, dass es gut tut, wenn die Bundesrepublik Deutschland durch ihre Bundesregierung sich anmaßt, bei internationalen Unternehmen wie diesem zu sagen, wer da an der Spitze stehen soll? Was stellen Sie denn eigentlich für Fra­gen?«

Bürger, Regierung und Wirtschaft un­seres Landes müssen in diesen Zeiten zusammenarbeiten, Seite an Seite mit unseren Freunden in aller Welt. Es gibt keine individuellen, politischen und öko­nomischen Interessen mehr, sondern allein nationale. Unsere fähigsten Männer und Frauen dürfen vor großen und neuen Herausforderungen nicht zu­rück­schrecken. Wäre nicht Heidemarie Wieczorek-Zeul bestens geeignet als Generalsekretärin der Welthandelsorganisation? Oder mag jemand bezweifeln, dass Jürgen Trittin den perfekten Sprecher des Deutschen Atomforums abgäbe?

Geradezu beispielhaft hat Gerhard Schröder gezeigt, wie es läuft und wie es zu laufen hat. Dafür gebühren ihm Ehre und Dank.