Die Kehrseite der Medaille

Wie man eine Medaille gewinnt, ist leicht zu beantworten. Was aber passiert, wenn einem Sportler die gewonnene Auszeichnung entzogen wird? von elke wittich

Zwei Jahre gesperrt, die Preisgelder wieder ein­gezogen und die WM-Medaillen aberkannt – so sehen die Folgen aus, wenn ein Top-Sprinter wie Tim Montgomery des Dopings überführt wird. Wie man eine Medaille gewinnt, ist eine einfach zu beantwortende Frage: Man muss nur hart und ausdauernd genug trainieren und am entschei­denden Wettkampftag ein bisschen Glück haben. Und vielleicht auch die richtigen leistungssteigernden Mittel in der exakt auf den großen Tag zugeschnittenen Kombination und Dosierung zu sich genommen haben. In Montgomerys Fall handelte es sich um Steroide.

Wenn das Doping entdeckt wird, ist auch die Frage, wie man eine Medaille wieder verliert, sehr leicht zu beantworten: Ein positiver A-Test und eine positive Gegenprobe reichen völlig aus.

Ungeklärt ist dagegen die Frage, wie dieses Wegnehmen der Auszeichnung genau funktioniert. Beschäftigen die großen internationalen Sportverbände speziell ausgebildete Repo-Men?

Nein, alles geht seinen bürokratischen Gang. Im Fall Montgomery hatte der internationale Leichtathletik-Verband IAAF den Sportler unmittelbar nach der Verkündung der Sperre per Einschreiben zur Rückgabe der Medaillen aufgefordert. Gibt er sie auch tatsächlich heraus, dann werden die Second Hand-Auszeichnungen jedoch nicht etwa dem Nächst­­platzierten überreicht, sondern weggeschlossen. Nach­­dem von ihnen Duplikate angefertigt wurden, die dem neuen Sieger zugesandt werden. Der muss jedoch vorher seinerseits die Medaille an die IAAF schicken, damit diese dann ebenfalls reproduziert und dann in irgendeinen Tresor gesperrt werden können.

Hat jeder die ihm nach der Ergebniskorrektur zustehende Auszeichnung erhalten, ist der Ringtausch beendet – was mit den Originalmedaillen passiert, ob sie von der IAAF recycelt oder als Tauschware für schlechte Zeiten aufgehoben werden, ist nicht bekannt.

Anders sieht es dagegen bei olympischen Medaillen aus, die einfach eingezogen und weitergegeben werden. Normalerweise werden Funktionäre des Lan­des, aus dem der Athlet kommt, beauftragt, sich der Sache anzunehmen und um die Rückgabe zu bitten. Nicht immer reagieren die Sportler dabei so einsichtig wie der ertappte Doping-Sünder Ben Johnson, der noch während der Spiele einem nachts in seiner Hotelsuite auftauchenden Offiziellen seine Medaillen wortlos und sehr niedergeschlagen aus­sehend übergab.

Im Fall des US-Sprinters Jerome Young, zwei Mal hintereinander des Dopings überführt, werden zum Beispiel derzeit die Gerichte bemüht. Der Sportler sieht nämlich nicht ein, die Erinnerungen an seine aktive Laufbahn einfach so herzu­geben, zumal da der Verband kein Druckmittel mehr zur Hand hat – lebenslang gesperrt ist Young schließlich bereits.

Aber auch falls sich jemand wirklich durch alle Instanzen hindurch weigert, sein Edelmetall herauszurücken, ist das auch nicht weiter tragisch, denn zum einen verfügt das IOC immer über einige Plaketten, die bei den jeweiligen Spielen aus verschiedenen Gründen nicht verwendet wurden, zum anderen wird der Prägestock sorgsam aufbewahrt, so dass gegebenenfalls schnell und ohne großen Aufwand Duplikate angefertigt werden können.

Die Sportgeschichte ist schließlich auch eine Geschichte aberkannter Medaillen, be­reits 1913 waren z.B. dem Leichtathleten Jim Thorpe seine bei den Spielen von Athen im Vorjahr erzielten Siege im Zehn- und Fünfkampf wieder weggenommen worden. Der US-Amerikaner, so hatten die Funk­tio­näre geurteilt, sei kein lupenreiner Ama­teur, da er 1909 und 1910 für Einsätze in der Minor League Baseball ein paar Dollar erhalten habe.

Thorpes Goldmedaillen sollten, so das IOC, an den Zweiten der Wettbewerbe gehen – aber der fand die Entscheidung ungerecht und weigerte sich seinerseits beharrlich, die Silbermedaillen herauszurücken.

1972 hätte der Schwimmer Rick DeMont eigentlich sein Edelmetall an den Nächstplatzierten weitergeben sollen, denn er war noch während der Spiele von München des Gebrauchs von Ephedrin überführt worden. Kurz darauf drangen jedoch arabische Terroristen in das Olympische Dorf ein – nach der Ermordung israelischer Sportler war die aberkannte Medaille zur bloßen Lappalie geworden. DeMont wurde niemals aufgefordert, sie zurückzugeben, son­dern schickte sie Monate später freiwillig ans IOC. Wo man jedoch entschied, dass der Zweitplatzierte, der Australier Brad Coope, sein Silber behalten sollte, der erste Platz blieb daraufhin in den Gewinnerlisten bis heute unbesetzt.

Und dann gibt es noch den, zugegeben, sehr seltenen Fall, dass jemand sich selbst als unwürdigen Sieger sieht und alles tut, die seiner Meinung nach zu Unrecht erhaltene Medaille wieder loszuwerden.

So war es bei dem norwegischen Biathleten Frode Andresen. Der war bei der WM 2000 am Holmenkollen mit einem Vorsprung von zehn Sekunden Weltmeister geworden. Lange freuen konnte er sich seines Sieges dann jedoch nicht, denn nach wenigen Stunden stellte sich heraus, dass er sich nicht regelgerecht verhalten hatte.

Entgegen aller Vorschriften war Andresens Gewehr vom Start weg geladen gewesen. Unter Punkt 4.2.2.1 des Regelbuchs ist es dem Sportler verboten, mit Kugeln in der Kammer oder im Magazin des Gewehrs an den Start zu gehen, normalerweise werden die Sportgeräte auch kontrolliert. Erst auf dem Schießplatz darf geladen werden, wobei auch das Einsetzen des Magazins als Laden gilt.

»Ich hatte wirklich total vergessen, dass ich das Magazin in der Waffe hatte«, sagte Andresen, »und immerhin habe ich so ja auch die Waf­fenkontrolle glatt passiert. Deswegen dachte ich, alles sei in Ordnung. Natürlich trage ich aber die volle Verantwortung.«