Stolpernd in Richtung Europa

Die Türkei und die EU von udo wolter

Die EU wollte vergangene Woche offenbar vor den am 3. Oktober beginnenden Beitrittsverhandlungen mit der Türkei Zuversicht verbreiten. Am Mittwoch wurde eine sehr zurückhaltend formulierte Erklärung zum Streit um die Anerkennung des Status von Zypern veröffentlicht. Als ein Entgegenkommen für die Türkei war es wohl gedacht, nicht, wie von der Republik Zypern verlangt, ein genaues Datum zu setzen, sondern die Anerkennung lediglich als »notwendigen Bestandteil des Beitrittsprozesses« zu bezeichnen.

Wegen der Vorbehalte der Republik Zypern, die seit Mai 2004 der EU angehört, war die Erklärung erst nach langen Verhandlungen zustande gekommen. Allerdings wird darin von der Türkei auch verlangt, das Ende Juli unterzeichnete Zollabkommen schnell in die Tat umzusetzen und türkische See- und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge zu öffnen. Die EU-Erklärung wurde von der türkischen Regierung daher sofort brüsk zurückgewiesen. Sie enthalte »einige ungerechte Ansätze und neue Elemente, die nicht mit dem Geist der 40jährigen Beziehungen« zwischen der EU und der Türkei vereinbar seien, kritisierte etwa der türkische Außenamtssprecher Namik Tan.

Konservative Gegner eines türkischen EU-Beitritts sahen sich wegen der Reaktionen sofort in ihrer von kulturalistischen Ressentiments gekennzeichneten Argumentation bestätigt. In einem Kommentar des Münchner Merkur hieß es, von der Türkei werde »gelobt, gedroht, gefeilscht und geschachert wie auf einem Basar«. Bei derlei orientalistischen Metaphern fehlte natürlich auch nicht der reichlich wahnhaft wirkende Hinweis, dass man sich nun den »Nachfolger des einst weite Teile der arabischen Welt umfassenden osmanischen Großreichs« in die EU holen wolle.

Dabei haben die nationalistischen Reaktionen in der Türkei durchaus etwas, wenn auch auf ganz andere Weise, mit dem Ende des osmanischen Reichs zu tun: Sie sind Zeichen eines gereizten nationalen Identitätsdiskurses, der aus den Erfahrungen des imperialistischen Zeitalters erwachsen ist und sich stets Demütigungen ausgesetzt und von Feinden umzingelt wähnt. Mit kulturalistischen Projektionen aus der EU ist dem sicherlich am wenigsten beizukommen. Das Zypern-Problem wird die EU-Verhandlungen mit der Türkei wohl bis auf weiteres begleiten. Dass der griechische Teil Zyperns im vergangenen Jahr eine politische Lösung für das Problem der geteilten Insel ablehnte und das Embargo gegen den türkischen Teil weiterhin aufrecht erhält, spielt bei dem Konflikt natürlich ebenso eine Rolle wie die ablehnende Haltung der Türkei. Genug guten Willen bei allen Beteiligten vorausgesetzt, müsste sich das Problem allerdings längerfristig betrachtet in die unter EU-»Partnern« durchaus gängigen Rangeleien um nationale Interessen und Befindlichkeiten überführen lassen.

Ernster zu nehmen ist dagegen eine Entscheidung des Istanbuler Verwaltungsgerichtes vom Ende vergangener Woche. Das Gericht maßte sich mit seinem Verbot einer wissenschaftlichen Konferenz über den Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg die Entscheidungsgewalt darüber an, was Wissenschaft ist und darf. Die EU hat in dieser Angelegenheit zwei Möglichkeiten: Sie kann es dabei belassen, die türkische Staatsdoktrin der Leugnung des Völkermords zurückzuweisen, sie könnte aber auch klar und deutlich die Durchsetzung von bürgerlichen Freiheiten und Rechtsstaatsprinzipien fordern. Dieses Vorgehen läge nicht zuletzt im Interesse all jener linken Kräfte in der Türkei, die mit dem EU-Beitrittsprozess die Hoffnung auf mehr Demokratie verbinden.