Im Kreuzverhör

Die Bekämpfung des Terrors von deniz yücel

Von einem aufgeklärten Standpunkt betrachtet, sind die Umfragewerte, die das Essener Zentrum für Türkeistudien vorige Woche veröffentlichte, nicht schön: Etwa die Hälfte aller hierzulande lebenden Türken bezeichnet sich als »eher« und knapp jeder Fünfte als »sehr religiös«. Im Jahr 2000 waren es 57 Prozent, die sich als »sehr« oder »eher« gläubig bezeichnet hatten, seither ist der Anteil auf 72 Prozent gestiegen. Nicht dass sie alle eine günstige Gelegenheit abwarteten, um sich einen Sprengstoffgürtel umzuschnallen. Doch dass in einem Umfeld, in dem die Besinnung aufs Jenseitige zunimmt, auch die Zahl derer wächst, die auf eine brutalstmögliche Herrschaft der islamischen Gebote pochen, liegt auf der Hand. Dabei stammen diese Leute aus der Türkei, was kein nichtiges Detail ist.

Die »öffentlichen Auseinandersetzungen um den Islam« hätten »viele Muslime veranlasst, sich deutlicher zu ihrem Glauben zu positionieren«, womit ein »wachsendes Empfinden von Diskriminierung« einhergehe. Dieses Gefühl beschränkt sich nicht auf jene, die bereits zu Allah gefunden haben. Auch die meisten derer, denen der Prophet schnuppe ist, sehen sich einem ständigen Kreuzverhör ausgesetzt. Wer’s nicht glaubt, möge mit türkischen Schwulen und Lesben oder aufgeklärten Frauen oder wem auch immer reden, dem man ein originäres Interesse an einer Bekämpfung des Islamismus unterstellt. All die Runden von Islam-, Integrations- und Sicherheitsexperten erwecken auch bei manchem Gottlosen die Phantasie, mal einen Rucksack im Studio von Sabine Christiansen zu vergessen.

Was einigen todesverliebten Wahnsinnigen nie gelungen wäre, nämlich große Teile der muslimischen Welt zu missionieren, funktioniert im Zusammenspiel zwischen dem Terror und seiner Bekämpfung ganz vorzüglich. Das gilt für die »politische Auseinandersetzung«, das gilt erst recht, wie der Irak zeigt, für die militärische.

Dass die Alliierten eine Diktatur beseitigt haben, mit dem Aufbau einer Demokratie aber, sagen wir: nur mäßig erfolgreich sind, ist das eine. Was aber die Terrorbekämpfung anbelangt, war der Krieg im Irak ein Desaster. Waren die Islamisten in den neunziger Jahren überall dort, wo sie die Machtfrage gestellt hatten, gescheitert, wurde der 11. September 2001 zu dem Fanal, das die Attentäter wohl im Sinn hatten. Eine neue Etappe, die ihren vorläufigen Höhepunkt auf den irakischen Schlachtfeldern gefunden hat.

Der Irak liefert den scheinbar überzeugenden Beweis für die vermeintliche Unterjochung der Muslime durch »den Westen«; ein schreiender Aufruf zum Jihad und ein veritables Trainingscamp obendrein. Für die Jihadisten stiftet der Irak eine globale Klammer, die den Mörder Theo van Goghs in eine gemeinsame Front mit den Attentätern von London oder Frauenmördern in Nigeria stellt. Andererseits würde ein Abzug der USA zum jetzigen Zeitpunkt zu einer islamischen Hölle auf Erden führen. Die Islamisten sind also in einer win-win-situation, um im Jargon des auswärtigen Dienstes zu reden.

Wenn die Mischung aus städtischem Kleinbürgertum, ländlichen Akademikern und einer verarmten Jugend aus den Stadträndern ein umfassendes, radikales Heilsversprechen gefunden hat, ist es zu spät. Zu spät für militärische Lösungen, zu spät auch für politische oder ökonomische Strategien. Darüber kann man reden, wenn die Menschen des Krieges müde geworden sind. (Komme keiner mit irgendwelchen »emanzipatorischen Perspektiven«, die es nicht gibt.)

Mögen die Amerikaner sich in vielem geirrt haben, in einem haben sie Recht: Die Bekämpfung des Jihadismus wird lange Jahre dauern. Und er wird die Welt verändern, die westliche und die restliche. Es spricht wenig dafür, dass dies zu einem Besseren geschieht.