Allein gegen die Mullahs

Am Jahrestag der Studentenproteste blieb es im Iran ruhig. Oppositionelle diskutieren über die Gründe für den Wahlsieg Ahmadinejads und die politische Apathie. von arne behrensen

Der 9. Juli war in den letzten Jahren Anlass für große Demonstrationen im Iran. An diesem Tag wurden 1999 die Studentenproteste in Teheran gegen die Schließung von reformorientierten Zeitungen brutal von paramilitärischen Hardlinern niedergeschlagen. Präsident Muhammad Khatami griff damals nicht öffentlich zugunsten der Studenten ein, die ihn zwei Jahre zuvor im Wahlkampf unterstützt hatten. Diese Zurückhaltung enttäuschte alle, die auf eine Liberalisierung durch die Reformislamisten gehofft hatten. Die Studentenbewegung rief vor den folgenden Wahlen zum Boykott auf.

An diesem 9. Juli blieb es dagegen ruhig in Teheran. Dabei hätte es Anlass genug für Massenproteste nicht nur der Studenten gegeben. Immerhin brachten die Präsidentschaftswahlen im Juni den ultrakonservativen Hardliner Mahmoud Ahmadinejad ins Amt, zudem gab es offensichtliche Wahlmanipulationen. Doch eine Entwicklung wie in der Ukraine, die sich viele Oppositionelle erhoffen, blieb bisher aus. Das liegt nicht zuletzt an dem wesentlich brutaleren Repressionsapparat des iranischen Regimes: Auch an diesem 9. Juli hatten Polizisten und paramilitärische Milizen in der Umgebung der wichtigen Universitäten Stellung bezogen.

Mit dem Wahlsieg des ehemaligen Revolutionsgardisten Ahmadinejad gewinnen zudem Vertreter des militärischen und paramilitärischen Establishments in der Exekutive an Einfluss. Dasselbe geschah in der Legislative bereits im Februar 2004, nachdem der konservative Wächterrat die meisten aussichtsreichen reformislamistischen Kandidaten von der Parlamentswahl ausgeschlossen hatte. Diese Militarisierung der politischen Institutionen und ihre Einigung hinter dem religiösen Führer und Hardliner Ayatollah Ali Khamenei soll das Regime auch auf eine potenzielle militärische Auseinandersetzung mit den USA vorbereiten.

Viele Hardliner feiern Ahmadinejads Wahlsieg als »zweite Revolution« und fordern eine noch rigidere Durchsetzung der islamistischen Sittengesetze. Innenpolitisch ist der neue Präsident jedoch um ein gemäßigtes Image bemüht. Sein kulturpolitischer Sprecher, Mehdi Kalhor, sprach sich sogar für die Legalisierung von Satellitenschüsseln, Modenschauen und Auftritten exilierter iranischer Musiker aus, provozierte damit aber einen Aufschrei unter anderen Konservativen und musste zurücktreten. Es ist noch unklar, ob das Regime es wagen wird, gegen die bestehenden Freiheiten insbesondere der städtischen Mittelschichten vorzugehen.

Viele Oppositionelle waren schockiert vom Sieg Ahmadinejads, dessen Wählerbasis unter den armen Städtern und den ländlichen Bevölkerungsschichten man unterschätzt hatte. Andere sind aber auch erleichtert über die neue Klarheit der politischen Fronten und hoffen, dass Ahmadinejads Politik den Untergang des Systems beschleunigt.

Einige Exiloppositionelle beharren auf dem Erfolg des Wahlboykotts und beklagen, dass die internationalen Medien unkritisch die vom Regime verkündeten Ergebnisse verbreitet hätten. Es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass Ahmadinejads Vorsprung von etwa 30 Prozent allein auf Wahlbetrug zurückzuführen war. Und die Wahlbeteiligung, die auch bei vorangegangenen Wahlen nach oben korrigiert wurde, scheint tatsächlich vergleichsweise hoch gewesen zu sein.

Deswegen herrscht auf iranischen Websites auch viel Ernüchterung. Am radikalsten formuliert es der Exiljournalist Mahin Bahrami auf Iranian.com: Solange die Bevölkerung weiterhin zu Wahlen gehe, sei »das gesamte diktatorische System der Islamischen Republik Iran unleugbar eine legitime Repräsentation des iranischen Volkes«. Insbesondere die Denkgewohnheiten der Bevölkerung in den Provinzen müssten sich erst ändern, bevor es zu bedeutenden Änderungen des politischen Systems kommen könne. Seine Feststellung, »Iran is not only upper Teheran«, findet sich in ähnlicher Form in vielen selbstkritischen Analysen, die die bisherige Ausblendung der verarmten Stadt- und Landbevölkerung beklagen.

Die demokratische Opposition ist jedoch noch mit einem weiteren Problem konfrontiert. Das bisherige Ausbleiben von größeren Protesten gegen die manipulierte Präsidentschaftswahl selbst in Teheran und unter Studenten kann nicht nur mit der drohenden Repression erklärt werden, die es ja auch früher schon gab. Treffender scheint die Erklärung, es habe einen tiefgreifenden politisch-kulturellen Wandel gegeben, weg von den idealistischen Einstellungen der siebziger und achtziger Jahre hin zu Individualismus und Zynismus. Auch die Enttäuschung über die Reformislamisten dürfte zur politischen Apathie beigetragen haben.

Der Politikwissenschaftler und Exiloppositionelle Masoud Kazemzadeh konstatiert auf Iranian.com zusammen mit einer anonymen Aktivistin aus Teheran: »Während einige mutige demokratische Aktivisten und Studenten den Kampf gegen das Regime führen, bleibt zumindest bis jetzt die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung unbeteiligt. Sie wünscht ihnen zwar Glück, ist aber nicht bereit, Leben oder Freiheit zu riskieren, um die herrschende Tyrannei durch eine allseits gewünschte demokratische und säkulare Republik zu ersetzen.«

Das Schicksal und die Texte des momentan prominentesten politischen Gefangenen, Akbar Ganji, illustrieren diese Analyse. Der berühmte Enthüllungsjournalist sitzt seit fünf Jahren im Gefängnis, wurde vor den Präsidentschaftswahlen entlassen und nach öffentlichen Aufrufen zum Wahlboykott sofort wieder inhaftiert.

Bereits im zweiten Teil seines »Republikanischen Manifests« vom Mai forderte er die Intellektuellen im Iran dazu auf, die politische Apathie weiter Teile der Bevölkerung zu bekämpfen: »Wir müssen ihnen zeigen, dass es kein Heilmittel für ihre Verzweiflung ist, vor dem politischen Kampf davonzulaufen.« Am 11. Juni trat Ganji im berüchtigten Evin-Gefängnis in den Hungerstreik, inzwischen haben US-Präsident George W. Bush und auch die britische EU-Ratspräsidentschaft seine bedingungslose Freilassung gefordert.

Ob die politische Apathie anhält, dürfte sowohl von der zukünftigen Politik des Regimes als auch von der Haltung der internationalen Diplomatie und insbesondere der USA abhängen. Der Politikwissenschaftler Kazemzadeh geht von drei möglichen Szenarios aus, die neue Revolten auslösen könnten: eine Gewalttat des Regimes, wie die Ermordung Rafiq al–Hariris im Libanon, ein US-amerikanischer Angriff nicht auf die Atomanlagen, sondern die Zentralen des Repressionsapparats oder internationale Sanktionen wie gegen das südafrikanische Apartheid-Regime. »Die Zukunft des Iran sieht in allen drei Szenarios düster aus«, meint er allerdings wenig optimistisch.