Tschüss, Kronzeugin!

Zum ersten Mal könnte eine Vietnamesin, der in ihrem Herkunftsland die Todesstrafe droht, von deutschen Behörden ausgeliefert werden. von marina mai

Seit zehn Monaten macht die aus Vietnam stammende Thuy Nonnemann vom Berliner Integrationsbeirat wöchentlich den gleichen Gang. Sie besucht Hang T. N. in der Haftanstalt. »Ich helfe ihr, weil ihr die Todesstrafe droht«, sagt Nonnemann. Hang T. N., eine Vietnamesin, die drei Kinder allein erzieht, sitzt in Haft. Das Verfahren über ihre Auslieferung nach Vietnam ist das erste, das die deutsche Justiz ernsthaft betreibt. Obwohl es kein entsprechendes Abkommen mit Vietnam gibt, haben die Generalstaatsanwaltschaft und das Berliner Kammergericht ihre Auslieferung bereits für zulässig erklärt. Die endgültige Entscheidung wird die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) fällen. Dort liege die Akte noch nicht vor, sagt ihre Sprecherin.

In Vietnam wird Hang T. N. wegen Drogenhandels gesucht, was bedeutet, dass ihr die Todesstrafe droht. Ein Landsmann, der inzwischen wegen der gleichen Vorwürfe hingerichtet wurde, hatte sie als Mittäterin belastet. Sie bestreitet die Tatvorwürfe. »Weil der Zeuge nicht mehr lebt, kann kein Gericht der Welt nachprüfen, wie die Aussage zustande kam«, kritisiert ihr Anwalt Herbert Hedrich. Er hat große Zweifel, ob an den Vorwürfen etwas dran ist, denn er und Nonnemann kennen eine andere Geschichte.

Nach ihren Informationen trat Hang T. N., die früher selbst Zigaretten verkauft hatte, im Jahr 1997 in Berlin in ein Zeugenschutzprogramm ein und sagte als Kronzeugin gegen zwei Drahtzieher der Zigarettenmafia aus. Ihre Kenntnis des Milieus brachte die Männer hinter Gitter. Einer von ihnen sei mit dem Drogenhändler in Vietnam befreundet, der sie vor einem vietnamesischen Gericht belastete, sagt Hedrich. »Ich kann es natürlich nicht beweisen, aber viel spricht dafür, dass hier ein ohnehin zum Tode Verurteilter einem Bekannten mit seiner Zeugenaussage einen letzten Gefallen tat.«

Während des Zeugenschutzprogramms, 1998, fuhr Hang T. N. ohne Erlaubnis der deutschen Behörden nach Vietnam, um sich von ihrem Mann scheiden zu lassen und ihre Kinder nach Deutschland zu holen. Das ist ihr zum Verhängnis geworden. »Während ihrer freiwilligen Ausreise war die Frau in Vietnam keinerlei Verfolgung ausgesetzt«, sagt der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, Michael Grunwald. Auch habe Vietnam zugesagt, eine mögliche Todesstrafe gegen sie in eine 20jährige Haftstrafe umzuwandeln und sie in der Haft vor nichtstaatlicher Verfolgung zu schützen.

»20 Jahre in einer vietnamesischen Haftanstalt zu überleben, ist unmöglich. Man kommt dort durch Verhungern, Folter oder Vernachlässigung um. Hier wird unzulässigerweise die Menschenrechtssituation ausgeklammert«, sagt Hedrich. Auch Thuy Nonnemann meint, es sei unmöglich zu kontrollieren, welchen Haftbedingungen die Frau in Vietnam ausgesetzt sei. So dürften weder Verteidiger noch Verwandte, Seelsorger oder internationale Organisationen die Inhaftierten besuchen. Dokumente, die das bestätigen, verschickte Nonnemann an Bundestagsabgeordnete, um die Auslieferung zu verhindern.

Tschechien hat kürzlich zwei vietnamesische Haftbefehle nicht vollstreckt. Im Gegensatz zur deutschen Justiz ging die tschechische davon aus, dass die gegen die Beschuldigten in Vietnam erhobenen Tatvorwürfe – Zollbetrug und Menschenhandel – nur vorgeschoben waren und dass das Land die Männer nur deshalb ausgeliefert haben wollte, weil sie gegen die dortige Regierung opponiert hatten.