Besser, nicht anders

New Labour hat gute Chancen auf einen Sieg bei den Parlamentswahlen in Großbritannien. Ihre Stärke verdankt die Partei der Schwäche der Konservativen. von matthias becker

Labour liegt vorn!« Niemanden in Großbritannien überrascht diese Schlagzeile. Die Briten schenken dem Parteienstreit vor den Parlamentswahlen am 5. Mai kaum Aufmerksamkeit. Vergeblich bemühen sich die Medien und die Parteien, so etwas wie Aufregung zu erzeugen. Die Boulevardzeitung The Sun startete in der vergangenen Woche sogar eine Kampagne unter dem Motto »Rock the Vote!«, in der Popstars jungen Leuten erklären sollen, warum Wählen wichtig ist. Ob Noel Gallagher von Oasis die jungen Briten überzeugen kann? Bei den Parlamentswahlen 2001 erreichte die Beteiligung den niedrigsten Stand seit 1918; er könnte 2005 noch unterboten werden.

Detailfragen und nationale Themen bestimmen den Wahlkampf. Auf nur 20 Seiten haben die konservativen Tories ihr Programm niedergelegt. Es wird einiges versprochen und die Kritik an der Regierung populistisch zugespitzt. Die Steuern sollen gesenkt werden, aber die Aufwendungen für das Gesundheits- und Bildungssystem sollen gleich bleiben. Die von der Regierung eingeführten Studiengebühren könnten wieder abgeschafft werden. Nach Vorstellung der Konservativen wird das Parlament jährlich Obergrenzen für die Einwanderung festlegen. Asylanträge sollen nur noch außerhalb der Landesgrenzen gestellt werden können.

Die Labour Party dagegen verspricht, so zu bleiben, wie sie ist. Der Mindestlohn soll ein wenig angehoben werden, Eltern sollen größere Wahlmöglichkeiten in der Schulerziehung erhalten. Das Thema »europäische Verfassung« versucht die Partei zu vermeiden. Nicht ohne Erfolg argumentieren Labour-Politiker, dass die siegreichen Konservativen den Sozialstaat und die öffentlichen Dienste rigoros beschneiden würden.

Wirtschaftliche, nicht außenpolitische Themen wie der Krieg im Irak, dürften bei den Wahlen den Ausschlag geben. Trotz eines bedrohlichen Handelsdefizits, privater Überschuldung und der Immobilienfinanzblase gilt der Zustand der britischen Ökonomie als gut. Warum sollten die Briten da für die Herausforderer stimmen? In den jüngsten Umfragen konnte Labour den Vorsprung sogar noch ausbauen. So ist das Einzige, was der Regierung gefährlich werden könnte, die Überzeugung, dass die Tories ohnehin keine Chance haben. Sollten alle, die davon ausgehen, am Wahltag zuhause bleiben, dürften die Konservativen deshalb zwar nicht gewinnen, Blairs Mehrheit könnte aber empfindlich schrumpfen.

Noch nie ist es der Labour Party gelungen, drei Amtszeiten hintereinander an der Macht zu bleiben; nun scheint es unvermeidlich. Woher kommt ihre politische Dominanz, wie lautet das Erfolgsrezept von New Labour, das sich Gerhard Schröder so gerne abschauen würde? Zunächst sind einige Einschränkungen nötig. Obwohl Kommentatoren es immer wieder gerne behaupten, brachten weder die Wahlen von 1997, noch die im Jahr 2001 Tony Blair »erdrutschartig« an die Macht. Dass er beide Male gewann, verdankte er dem britischen Mehrheitswahlrecht, das manchmal schon kleine Stimmengewinne mit großen Parlamentsmehrheiten belohnt, vor allem aber der immer weiter sinkenden Wahlbeteiligung. Als im Jahr 2001 etwa 10,7 Millionen Briten für New Labour stimmten und Blair zum Sieg verhalfen, waren das weniger Stimmen als sein Vorgänger Neil Kinnock in den Parlamentswahlen 1992 erhielt. Er bekam damals 11,5 Millionen Stimmen und verlor. Die Wahlbeteiligung lag 2001 nur bei 59 Prozent, auf die ganze Bevölkerung bezogen, stimmte nicht einmal jeder Vierte für Blair.

Die heutige Stärke Labours liegt außerdem zu einem Gutteil an der Schwäche der Konservativen. Die Partei befand sich bis vor kurzem in einem desaströsen Zustand. Sie war tief gespalten über ihre Haltung zur EU, in interne Machtkämpfe verwickelt, und bei Themen wie Homosexualität, Abtreibung oder Integration wirkte sie antiqiuert. Unter der Führung von Michael Howard, der schon in den neunziger Jahren Innenminister war, haben sich die Tories wieder etwas konsolidiert. Aber ihre dritte Wahlniederlage in Folge könnte das Parteiensystem nachhaltig verändern und möglicherweise die Liberalen zur wichtigsten Oppositionspartei machen.

Paradoxerweise ist es gerade jene Personengruppe, auf die Margaret Thatcher einst ihre Hoffnungen setzte, die heute den Erfolg Labours garantiert. Hausbesitzer, im Dienstleistungssektor tätig und nicht gewerkschaftlich organisiert, eher im Süden als im Norden Englands ansässig, sind die ausschlaggebende Klientel von New Labour. Die Modernisierung, die Thatcher brachial durchsetzte, hatte vermeintlich sie selbst und ihre Partei nicht mehr nötig.

In Großbritannien ist an dem Konstrukt der neuen Mitte manches wahr und einiges falsch. Tatsächlich ist von der traditionellen proletarischen Kultur Englands, von ihrer Bindung an die Gewerkschaften und der Unterstützung der Labour Party, kaum etwas übrig geblieben. Als die Partei 1997 die Macht übernahm, war die Umgestaltung der britischen Gesellschaft unter Margaret Thatcher und John Major zum Großteil abgeschlossen. Die Macht der Gewerkschaften war gebrochen, der öffentliche Dienst privatisiert, der Finanzmarkt von gesetzlichen Beschränkungen befreit. Nach dem Wahlsieg machte Labour nichts davon rückgängig, federte aber symbolisch einige soziale Härten ab. In der Gesundheits- und Bildungspolitik führte sie die Politik der Konservativen unverändert weiter. Gleichzeitig gelang es Blair, traditionell konservative Themen wie »Sicherheit und Ordnung« zu besetzen. Das Wirtschaftsmagazin The Economist bezeichnete ihn einst treffend als »den besten konservativen Regierungschef, den man sich wünschen kann«.

Wollte man das überlieferte Schema anwenden, stünden heute Konservative und Liberale in vielen Fragen links von Labour. Dennoch fällt vielen britischen Linken der Abschied von der Partei der Arbeiterbewegung schwer. Mag Tony Blair auch noch so oft wiederholen, sein Konzept von »Chancengleichheit« dürfe keinesfalls mit Umverteilung verwechselt werden. Nahezu durchgängig argumentieren sie, dass Labour dennoch progressiver sei oder zumindest das kleinere Übel gegenüber den teils offen rassistischen und reaktionären Tories. Blair und einer kleinen Gruppe Vertrauter gelang es, die Macht in der Partei in nie dagewesenem Umfang zu zentralisieren. In den achtziger Jahren bestimmten Richtungskämpfe und innerparteiliche Spaltungen das Bild in der Öffentlichkeit. Damals wurden linke, vor allem trotzkistische Strömungen an den Rand gedrängt; heute bestimmen der Premierminister und die von ihm ernannten »special advisers«, was die Partei zu denken hat.

Susan Watkins schrieb im vergangenen Jahr im New Left Review treffend von Labours »schwereloser Hegemonie«. Hinter der Partei stehen der mächtige britische Finanzsektor, die wichtigsten Gewerkschaftsführer, sowohl liberale Intellektuelle als auch die britischen Medien. Solange die britische Wirtschaft nicht in die Krise gerät, kann New Labour nichts gefährlich werden.