Letzter Akt

Regierungskrise in Italien von deniz yücel

Sorgen bräuchte sich Silvio Berlusconi eigentlich nicht zu machen. Erst Mitte der vergangenen Woche gab seine Holding Fininvest bekannt, dass sie ihre Beteiligung am Mediaset-Konzern von 51 auf 34,3 Prozent reduzieren werde. Das Geschäft soll il presidente rund 2,1 Milliarden Euro einbringen. Und wer Fininvest besitzt, hätte es normalerweise nicht nötig, sich mit einem Fini oder dahergelaufenen Ex-Kommunisten herumzuplagen.

Berlusconi hat es aber nötig. Er gibt zu, dass er im Wechsel in die Politik die einzige Möglichkeit sah, sich der strafrechtlichen Verfolgung zu entziehen. Diese Tatsache allein, dass er, der Großbourgeois, sich persönlich darum kümmern musste, Gerichtsverfahren abzuschütteln, störende Gesetze zu beseitigen sowie Staat und Gesellschaft den gegenwärtigen Anforderungen der Kapitalakkumulation anzupassen, anstatt derlei notwendige, aber lästige Dinge dem geschäftsführenden Ausschuss seiner Klasse zu überlassen, zeigt, dass er nie der große Impresario war.

Mit dem Austritt der Christdemokraten und der Neuen Sozialistischen Partei aus der Koalition zerfällt nun seine Regierung. Nach der herben Niederlage für die Koalition bei den Regionalwahlen Anfang April forderten die Christdemokraten Berlusconi vergebens dazu auf, Neuwahlen anzusetzen oder das Kabinett umzubilden. Der Vorsitzende der Alleanza Nazionale, Außenminister Gianfranco Fini, verlangt nunmehr von Berlusconi, sich einem Vertrauensvotum zu unterziehen. Schon um zu verhindern, dass auf den Verlust seiner Immunität ein Verlust seiner Freiheit folgt, dürfte Berlusconi weitermachen, indem er Neuwahlen ansetzt, sich um ein neues Bündnis bemüht oder versucht, ohne eine Parlamentsmehrheit zu regieren.

Dennoch ist der vorerst letzte Akt seiner politischen Karriere eingeläutet. Weniger wegen einer verlorenen Wahl in der Provinz; denn was seine Leute in Ligurien oder in Apulien verlieren, könnten seine Jungs vom AC Milan wieder reinholen. Alarmierender für ihn ist, dass er wohl auch dem Kapital nicht mehr als zweckdienlich erscheint. In der vorigen Woche erklärte Luca Cordero di Montezemolo, der Präsident des Fiat-Konzerns und Vorsitzende des Unternehmerverbandes: »Wir brauchen eine Regierung, die regiert, sonst sind Neuwahlen besser.« Nötig sei ein »starkes Zeichen für die Wirtschaft und zwar schnell«.

Der geht es nicht gut. 2002 und 2003 betrugen die Wachstumsraten der drittstärksten Volkswirtschaft der Euro-Zone 0,4 und 0,3 Prozent, im vorigen Jahr waren es, je nach Berechnungsgrundlage, ein oder 1,2 Prozent. Seit Mitte der neunziger Jahre ist der italienische Weltmarktanteil von 4,6 auf drei Prozent gesunken, ebenso zurückgegangen ist der Massenwohlstand. Das ist das eigentliche Problem, nicht, wie Kommentatoren oder der designierte Kandidat des Mitte-Links-Bündnisses, Romano Prodi, bemängeln, dass Italien in diesem und im nächsten Jahr die europäische Stabilitätsmarke verfehlen wird und möglicherweise auch die letzten Male nur durch allerlei Tricks ein ausreichendes Ergebnis erzielen konnte. Das italienische Defizit zeigt aber, dass in Rom ein strikter Sparkurs derzeit offenbar nicht leicht fällt. Diesen Job dürften die linken Nachfolger übernehmen.

All das ist kein Grund zu jubeln, dass »Italien fast wieder Demokratie« sei, wie die taz jüngst titelte. Trotz der Konzentration an politischer, ökonomischer und medialer Macht hat Berlusconi bei seinen Reformen mit weit stärkerem Widerstand zu kämpfen als die Parvenüs, die die »Deutschland AG« managen. Die Spielregeln der Klassengesellschaft gestalten sich in erster Linie nach den objektiven Notwendigkeiten des kapitalistischen Verwertungsprozesses, in zweiter Linie aber werden sie ausgehandelt. So gesehen, ist es hierzulande um die politische und soziale Teilnahme schlechter bestellt als in Italien.