Streit um die Insel

Mit der Verabschiedung eines Antisezessionsgesetzes will China taiwanesischen Unabhängigkeitsbestrebungen entgegenwirken. von volker häring

Nach zwei Jahren der außenpolitischen Zurückhaltung ging die chinesische Regierung wieder in die Offensive. Selbst während des Irakk-Krieges 2003 hatte sich die Regierung erstaunlich neutral gezeigt, doch Anfang März verabschiedete der Nationale Volkskongress, das chinesische Parlament, während seiner jährlichen Sitzung das Antisezessionsgesetz, das die Haltung der VR China zur Taiwan-Frage juristisch definiert.

Der chinesische Ministerpräsident, Wen Jiabao, betonte, es handele sich nicht um ein »Kriegsgesetz, sondern um einen Plan zur friedlichen Wiedervereinigung des Mutterlandes«. Dennoch reagierte man in den USA alarmiert. Neben der Nordkorea-Krise war das Gesetz das zentrale Thema der Beratungen der US-amerikanischen Außenministerin Condoleezza Rice mit ihrem chinesischen Kollegen Li Zhaoxing am vorletzten Wochenende. Auch wenn der Ton der Beratungen, vor allem angesichts der chinesischen Vermittlungsrolle im Nordkorea-Konflikt, konziliant war, mehren sich in der US-Regierung Stimmen, die eine deutlichere Stellungnahme der USA zugunsten Taiwans fordern. George W. Bush gilt als Befürworter eines härteren Kurses gegenüber der VR China und hat 2004 eine deutlichere Unterstützung Taiwans, unter anderem mit zusätzlichen Waffenlieferungen, angekündigt. Schon heute sind die USA der größte Waffenlieferant der Insel.

Scharfe Töne kamen indes aus Taiwan. Cho Jung-tai, der Sprecher der taiwanesischen Regierung, erklärte, das Gesetz gleiche einer Ermächtigung zum Krieg. Taiwans Präsident, Chen Shui-bian, rief zu einer Massendemonstration gegen das Gesetz auf und beteiligte sich selbst am Protestmarsch von mindestens 300 000 Menschen, der am Samstag in Taipeh stattfand.

In Chen hat die chinesische Regierung den Hauptfeind ausgemacht. Der Präsident sprach in seiner Rede mit dem Titel: »Ein Land auf jeder Seite der Taiwan-Straße« im August 2002 als erster Staatsmann der Insel von einer möglichen Unabhängigkeit Taiwans. Die chinesische Führung reagierte mit Äußerungen über eine mögliche gewaltsame Wiedervereinigung.

Seit sich die besiegten Nationalisten 1949 nach Taiwan zurückzogen, hat die Regierung in Peking die Insel als Teil ihres Staatsgebiets betrachtet. Das nun verabschiedete Sezessionsverbot ist weniger eine Kriegserklärung als eine Warnung. Während es in den Artikeln 1 bis 7, die von der westlichen Presse kaum beachtet werden, einen Plan für eine friedliche Wiedervereinigung entwirft, autorisieren die Artikel 8 und 9 Regierung und Militär, »alle notwendigen Schritte zu unternehmen, Chinas Souveränität und territoriale Integrität zu bewahren«. Das Gesetz unterscheidet zwischen »den sezessionistischen Kräften« und der Bevölkerung Taiwans, die »mit allen Mitteln zu schützen« sei.

Das Ziel der chinesischen Regierung dürfte es vor allem sein, Chen in seiner zweiten, bis 2008 währenden Amtszeit von Schritten in Richtung Unabhängigkeit abzuschrecken. Auch wenn der Ton auf beiden Seiten zuweilen martialisch ist, bleibt eine militärische Eskalation sehr unwahrscheinlich. Zu groß sind die wirtschaftlichen Verflechtungen beider Seiten, zu hoch wären die Verluste bei einer militärischen Konfrontation.

Die Dramaturgie des Taiwan-Konflikts folgte schon immer auch innenpolitischen Beweggründen. Daran hat sich heute kaum etwas geändert. Während Chen das Wählerpotenzial der Unabhängigkeitsbefürworter, Umfragen zufolge etwa 30 Prozent der taiwanesichen Bevölkerung, im Auge hat, bedient die chinesische Regierung mit ihrer entschiedenen Haltung die starken nationalistischen Strömungen in der eigenen Bevölkerung und verschafft sich dringend benötigte innenpolitische Reputation. Verwundern würde es jedoch nicht, wenn beide Seiten, die schon lange inoffiziell verhandeln, bald auch offizielle Gespräche begännen.