Kriegserklärung an die Gypsys

Die britische Boulevardpresse führt eine Kampagne gegen Gypsys und schafft ein mögliches Thema für die Wahlen im Mai. von matthias becker, london

Anfang März begann die größte englische Boulevardzeitung The Sun eine Kampagne gegen die in Großbritannien lebenden Roma. Unter dem Motto »Stoppt die Invasion der Gypsys!« begann sie Unterschriften zu sammeln, die ihre Leser an den stellvertretenden Innenminister, John Prescott, schicken sollten. In dem Vordruck heißt es: »Ich verlange, dass Menschenrechtsvereinbarungen abgeschafft werden, die den Gypsys Straffreiheit und Privilegien einräumen, die hart arbeitende Menschen in diesem Land nicht genießen.«

Um dem Vorwurf des Rassismus vorzubeugen, setzt die Sun auf eine bewährte Strategie. In beinahe jedem Artikel werden einzelne Roma als positive Beispiele angeführt, die sich als scharfe Kritiker anderer Nichtsesshafter hervortun. Andererseits gibt die Redaktion ihrer Kampagne eine extrem aggressive Färbung. »Stamp on the Camps!« (etwa: »Zerstampft die Lager!«) lautete die Überschrift ihres ersten Artikels zum Thema. Mehrere Vertreter von Gypsy-Organisationen erstatteten vor einer Woche Strafanzeige wegen »Aufstachelung zum Rassenhass« gegen die Redaktion, die ihre Kampagne selbst als einen »Krieg« bezeichnet.

Immer häufiger berichtet die Zeitung über angebliche Skandale auf den Lagerplätzen, während sie den etablierten Politikern Untätigkeit vorwirft. Ihre jüngste Aufsehen erregende Aktion war, die Toleranz des stellvertretenden Innenministers John Prescott zu testen, indem sie ein Gypsy-Lager inklusive Wohnwagen, Grills und Abfallhaufen in dessen Straße aufbauen ließ. Mit der populistischen Aktion sollte der Politiker der Doppelmoral überführt werden.

Nach Angaben der Zeitung haben bisher über 10 000 Leser an der Unterschriftensammlung teilgenommen. Besonderes Hassobjekt der Sun und ihrer Leser sind die Europäischen Menschenrechtsvereinbarungen, die die Räumungen von Gypsy-Siedlungen verhinderten. Eine Familie hat kürzlich gegen ihre Räumung geklagt und sich dabei auf die Europäische Menschenrechtskonvention berufen.

Hintergrund der Kampagne ist eine Pressemitteilung der Regierung vom Februar, in der sie von den Gemeinden »konkrete Aktionen bezüglich der Lagerplätze« forderte, um die Diskriminierung der Gypsys zu beenden. In einer wohl dosierten Mischung aus Integration und Repression sollen einerseits mehr Plätze zum Kauf für Gypsys ausgeschrieben, andererseits illegale Besetzungen effektiver bekämpft werden.

Besetzungen sind für die umherziehenden Gypsys oft die einzige Möglichkeit, einen Platz zum Verweilen zu bekommen. Die Behörden sprechen nach einer Besetzung meist eine Duldung aus, während sie Anträge von fahrenden Leuten auf Lagerplätze zumeist ablehnen. Im Februar ordnete Prescott an, dass der Ort Brescott in Essex Land für Gypsys zur Verfügung stellen müsse, gegen Bezahlung wohlgemerkt. Die konservative Partei sprach daraufhin von einer »diktatorischen Maßnahme« und will sich als Schutzpatron der Landbevölkerung profilieren. Von den Gypsys selbst meldet sich in der Debatte niemand zu Wort, unterdessen streiten die Vertreter von Menschenrechtsorganisationen mit Konservativen.

Andere Boulevardblätter haben das Thema mittlerweile aufgegriffen. John Wilson von der Wohlfahrtsorganisation Novas, die sich vor allem um Obdachlose kümmert, nennt die Kampagne »völlig fehlgeleitet«. »Immer noch sind die Gypsys eine unterprivilegierte Gruppe. Das Land, das die Gemeinden ihnen zuweisen, liegt oft direkt neben Müllhalden.«

Die Konservativen, die verzweifelt nach einem zugkräftigen Thema für die im Mai anstehenden Parlamentswahlen suchen, kritisieren die Regierungsinitiative. Ihr Vorsitzender, Michael Howard, forderte auf der letzten Parteikonferenz in Brighton im März, scharf gegen die illegalen Ansiedlungen vorzugehen. Er verlangte außerdem, Obergrenzen für die Einwanderung festzulegen. Andrew Ryder von der Gypsy and Traveller Law Reform Coalition kritisiert sowohl Labour als auch die Boulevardpresse. »Jahrzehntelang wurden wir diskriminiert. Wir haben es satt, herumgeschubst zu werden.«

Etwa 250 000 Menschen leben heute als Fahrende in Großbritannien. Einige davon sind Gypsys, also ursprünglich aus Europa eingewanderte Roma, andere sind Traveller, eine aus irischen und britischen Unterschichten entstandene nomadische Gruppe. Seit den sechziger Jahren führen auch verschiedene Subkulturen ein Leben im Wagen.

Seit dem Zweiten Weltkrieg haben britische Regierungen immer wieder versucht, die fahrenden Gruppen sesshaft zu machen. Als in den neunziger Jahren die so genannten new age travellers für Hysterie sorgten, erließ die konservative Regierung das Criminal Justice Gesetz, mit dem auch das kurzfristige Verweilen auf fremdem Landbesitz unter schwere Strafen gestellt werden kann. Unter anderem deshalb fehlen heute nach offiziellen Schätzungen Plätze für etwa 4 500 Gypsys. Die ländlichen Gemeinden in England wehren sich oft mit allen Mitteln gegen die Ansiedlung von Gypsys. Andererseits wächst der ökonomische Zwang, sich niederzulassen, weil traditionelle Verdienstmöglichkeiten, etwa als Erntearbeiter in der Landwirtschaft, seltener werden.

Aller Voraussicht nach wird der Wahlkampf einerseits von dem Thema Immigration, andererseits von Steuersenkungsprogrammen bestimmt werden. Die Konservativen suchen noch nach einem Thema, um die Regierung unter Druck zu setzen. Weil aber New Labour die Wirtschafts-, Sicherheits- und Außenpolitik besetzen konnte, bleibt nur die populäre Forderung nach Steuersenkungen. Und das Thema der Gypsys.

Mit Spannung wird auch das Abschneiden der rechtsextremen British National Party erwartet, die zwar bei den Europawahlen im vergangenen Jahr nur lokale Erfolge erzielen konnte, deren Forderung nach »Rückführung« von Einwanderern aber die Stimmung großer Teile der Bevölkerung treffen könnte.

Links von Labour herrscht Ratlosigkeit. Anscheinend hat sich ein Großteil der Briten mit der andauernden Besetzung des Irak abgefunden, obwohl die Truppenstärke der Briten nach einem möglichen Abzug der Italiener noch erhöht werden dürfte. Die Friedensbewegung organisiert zwar immer noch Demonstrationen, um »die Truppen nach Hause zu holen«, kann aber längst nicht mehr an ihre Mobilisierungserfolge im vergangenen Jahr anschließen. Für die Situation der Gypsys scheint sich in der Linken niemand zu interessieren.