Der Testfall

Der Anschlag in Tel Aviv und die Folgen von michael borgstede

Als am Freitagabend ein Selbstmordattentäter vor einem Nachtclub in Tel Aviv fünf Menschen in den Tod riss und 50 weitere verletzte, gab das Anlass zu den schlimmsten Befürchtungen. Gerade mal zweieinhalb Wochen war es her, dass Israels Ministerpräsident Ariel Sharon und der Präsident der Palästinenser, Mahmoud Abbas, im ägyptischen Sharm al-Sheikh eine Waffenruhe vereinbart hatten. Waren alle Absichtserklärungen bereits wieder vergessen? Wie oft schon haben brutale Terroranschläge und die darauf folgenden unvermeidlichen Vergeltungsaktionen gerade aufkeimende Friedenshoffnungen zerstört? Und warum sollte es ausgerechnet dieses Mal anders sein?

Erst auf den zweiten Blick fielen jene Unterschiede ins Auge, die zeigen, dass der Nahe Osten von heute wirklich ein anderer ist als der von vor einem Jahr. Da war zunächst die Verwirrung um die Urheber des Anschlags. Ausgerechnet der Fernsehsender der Hisbollah, al-Manar, wusste vor allen anderen Medien von dem Attentat in Tel Aviv und wies die Verantwortung dem Islamischen Jihad zu. Ein Sprecher dieser Organisation im Westjordanland stritt jede Beteiligung seiner Gruppe ab. Man fühle sich weiterhin dem Waffenstillstand verpflichtet, sagte er. Die Auslandsführung in Beirut sah das anders und übernahm die Verantwortung. Da blieb auch den Aktivisten in den Palästinensergebieten nichts anderes übrig, als klein beizugeben. Plötzlich wollte man es doch gewesen sein. Am Sonntag drohte ein Sprecher der Gruppe in Gaza-Stadt gar neue Anschläge an, falls Israel »seine Verstöße gegen die Waffenruhe« fortsetze.

Dennoch: Die wichtigen Entscheidungen, das wurde in diesem Chaos deutlich, werden eben nicht mehr in Tul Karm oder Gaza-Stadt getroffen, sondern in Beirut und Damaskus. Das bereitet der palästinensischen Autonomiebehörde ebenso Sorgen wie den Israelis. Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister, Zeev Boim, hat bereits Vergeltungsschläge gegen Syrien angekündigt. Auch denke man über eine Wiederaufnahme der gezielten Tötungen nach.

Andererseits würden solche Aktionen Mahmoud Abbas jede Möglichkeit nehmen, gegen die Radikalen vorzugehen, ohne sich selbst als Kollaborateur der Israelis zu diskreditieren. Es scheint, als wolle die israelische Regierung ihm eine weitere Chance einräumen. Er hat immerhin die Verantwortlichen als »Terroristen« bezeichnet – ein unüblicher Begriff auf palästinensischer Seite. Bei einem Treffen mit seinen führenden Sicherheitsleuten soll er »Ergebnisse, nicht Bemühungen« bei der Fahndung nach den Tätern gefordert haben. Ansonsten werde er nicht davor zurückschrecken, einige von ihnen auszuwechseln. Die offene Konfrontation mit den Terrorgruppen scheint er aber noch immer zu scheuen. Israels Verteidigungsminister Shaul Mofaz sagte am Sonntag, man habe den Palästinensern eine Namensliste gesuchter Männer übergeben und erwarte sofortige Festnahmen. Ob Abbas dieser Forderung nachgeben wird, ist ungewiss.

Nach dem Anschlag in Tel Aviv ist es wieder einmal offensichtlich, wie leicht die Situation in der Region eskalieren kann. Denn wären dem Attentäter nicht fünf, sondern 24 Menschen zum Opfer gefallen, hätte die israelische Reaktion weniger zurückhaltend ausgesehen. Momentan versucht Abbas, weiteren Schaden zu vermeiden. Er wird die Verantwortlichen wahrscheinlich vor Gericht bringen. Auf Dauer wird das nicht genügen. Präventive Maßnahmen sind vonnöten. Die arabische Welt ist derweil zweigeteilt. Während Ägypten und Jordanien an einer Beruhigung der Situation gelegen ist, wird die vom Iran unterstützte Hisbollah alles tun, um Fortschritte im Friedensprozess zu verhindern.