We don’t need no Reeducation

Dem selbstverwalteten Studierendenwohnheim Collegium Gentium in Marburg droht die Privatisierung. Es wurde im Jahr 1949 von den US-Amerikanern gestiftet. von fabian rehm

Manch eine Psychologiestudentin wird nicht schlecht staunen, wenn sie auf der Suche nach ihrem Seminarraum aus Versehen ein Stockwerk zu weit nach oben geht und vor einem Wandbild steht, das an den faschistischen Putsch in Chile erinnert. Mit etwas Glück trifft sie dort auf einen netten Menschen, der ihr nicht nur die Intention des Wandbildes, sondern auch noch gleich den Weg zum Seminarraum erklärt. Viel mehr Kontakt gab es zwischen den BewohnerInnen des selbstverwalteten Studierendenwohnheims Collegium Gentium (CG) und dem im gleichen Gebäude angesiedelten Fachbereich Psychologie der Marburger Universität bislang nicht.

Wenn es nach der Universitätsleitung geht, sollen solche Begegnungen zukünftig ausbleiben. Seit Mitte vergangenen Jahres ist klar, dass das CG in der Gutenbergstraße nicht mehr erwünscht ist. Der Hauptgrund für die Aktivitäten der Universitätsleitung dürfte der steigende Raumbedarf der Psychologie sein, die dem Strategiepapier des Universitätspräsidenten mit dem Titel »Philipps-Universität 2010« zufolge einer der wichtigsten Fachbereiche der Universität ist. Ein Mitarbeiter der Verwaltung spricht davon, dass die Psychologie »richtig Geld einfährt«.

Mit einer Änderung der Brandschutzverordnung bekam die Universität das passende Mittel für die stille Abwicklung des CG in die Hand. Bevor das Ergebnis des damals in Auftrag gegebenen Brandschutzgutachtens bekannt war, wurde den BewohnerInnen untersagt, neue Mitbewohner aufzunehmen. Die Begründung lautete, eine negative Beurteilung der als Wohnheim genutzten oberen Etage des Gebäudes sei abzusehen.

In dem inzwischen vorliegenden Gutachten heißt es, dass eine »Wohnnutzung weiterhin tragbar« sei. Doch das spielt für die Verantwortlichen keine Rolle. Der Regierungspräsident sieht sich, wie er in einem der Jungle World vorliegenden Brief äußert, in seinen Befürchtungen bestätigt, dass »Leben und Gesundheit der Nutzer des Gebäudes konkret gefährdet seien«, weshalb sich für die Universität eine »besondere Verantwortung« ergebe.

Mit der Schließung des CG würde auch teilweise die amerikanische Reeducation-Politik abgewickelt werden. Im Jahr 1949 stifteten die Amerikaner Geld für das CG im Rahmen des Programms, das den Deutschen wieder ein demokratisches Zusammenleben mit Menschen aus anderen Ländern ermöglichen sollte. Satzungsziel war schon damals die »Pflege einer antifaschistischen Kultur«. In den Jahren der Studierendenbewegung entwickelte sich das CG zu einem linken Wohnheim mit antirassistischem und antisexistischem Anspruch, der sich unter anderem in festen Quoten für Frauen und Studierende ohne deutschen Pass zeigt.

Ganz ohne Widerstand wollen die BewohnerInnen der Universität das Feld jedoch nicht überlassen. Sie versuchen, auf allen Ebenen Widerstand zu organisieren, und erzielten bereits erstaunliche Erfolge: Nicht nur das Studierendenparlament, sondern auch die Stadtverordnetenversammlung sprachen sich gegen die Schließung aus. »Zwar solidarisieren sich alle, nur will keiner Konsequenzen aus seinen Worten ziehen«, resümiert Raoul, Mitglied des SprecherInnenrats des CG. So bemühten sich vor kurzem alle Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters zu betonen, dass die Stadt kein Geld für Umbaumaßnahmen habe.

Die Universitätsverwaltung plant nun die Privatisierung des CG. Der Umzug in ein Haus eines privaten Investors steht zur Debatte. Für die BewohnerInnen kommt das allerdings nicht in Frage. »Die Selbstverwaltung würde so um ihren Gegenstand beraubt werden und nur noch die Verwaltung von Zimmern für einen privaten Investor übernehmen«, sagt Anja aus dem CG.