Von der Zelle ins Koma

In der Angelegenheit eines 30jährigen Bonners, der im Polizeigewahrsam ins Koma fiel, mehren sich die Ungereimtheiten. Die sprechen gegen die Polizei. von jörg kronauer

Der Fall begann als eine Lappalie. In der Nacht zum 16. November 2004 fand im Bonner Norden eine Auseinandersetzung zwischen Betrunkenen statt, alltäglich, unbedeutend. Ob es sich wirklich um eine Massenschlägerei handelte, wie die Polizei zunächst angab, mag bezweifelt werden; die Lokalpresse sprach von einem banalen Geschubse zwischen zwei Alkoholisierten. Wie auch immer, der Streit führte zur Festnahme eines 30jährigen Mannes, der mit drei Promille im Blut in den Polizeigewahrsam verbracht wurde.

Was dort, genauer: in der Zelle Nummer 5 des Bonner Polizeipräsidiums, stattfand, ist inzwischen Gegenstand eines Ermittlungsverfahrens. »Die Ermittlungen dauern noch an«, sagt Fred Apostel, der Pressesprecher der Bonner Staatsanwaltschaft, und fügt hinzu, dass er nichts weiter über den Fall mitteilen wird. Dennoch ist inzwischen einiges bekannt geworden, der WDR nennt Einzelheiten aus einem medizinischen Gutachten über die Vorgänge. Die Details sind für die Bonner Polizei wenig schmeichelhaft.

Demnach wurde der 30jährige, nachdem er in Zelle Nummer 5 verbracht worden war, dort an Händen und Füßen gefesselt. Die Dienst habenden Beamten legten ihn auf den Bauch, einer kniete sich auf seinen Rücken. Angeblich war der Zweck der Übung die Entnahme einer Blutprobe. Musste das in einer derart angespannten Situation wirklich sein? Selbst in Polizeikreisen habe man sich darüber gestritten, berichtete der Bonner Generalanzeiger.

Der 30jährige jedenfalls vertrug die Prozedur nicht. Er sei plötzlich erschlafft, zitiert der WDR aus dem medizinischen Gutachten. Er habe einen Herz- und Atemstillstand in der folgenden halben Stunde erlitten, während der ihn die Beamten allein in der Zelle zurückließen. Seitdem liegt der Mann im Koma; es gilt als unwahrscheinlich, dass er jemals wieder daraus erwacht.

Fehler der Bonner Polizei und Ungereimtheiten treten mehr und mehr zutage. Die Fesselungsmaßnahmen in Zelle Nummer 5 entsprachen nicht den einschlägigen Richtlinien. Woher die Gesichtsverletzungen des 30jährigen stammen, die vom Anwalt seiner Familie als »massiv«, von der Polizei hingegen als »leicht« eingestuft wurden, scheint immer noch unklar. Dass die vier in den Fall verwickelten Beamten ein offizielles Merkblatt über den Umgang mit »Randalierern« angeblich nicht kannten, lastet das dem WDR vorliegende Gutachten der Behördenleitung an. Und gegen einen der beteiligten Polizisten wurde bereits früher einmal »der Vorwurf der Körperverletzung im Amt erhoben«, erklärte Staatsanwältin Monika Ziegenberg bereits im November; dieser habe sich jedoch »als unbegründet herausgestellt«.

Die Bonner Geschehnisse rufen den Tod des 31jährigen Kölners Stephan Neisius in Erinnerung. Er verlor sein Bewusstsein ebenfalls auf einer Polizeiwache, im Kölner Eigelstein. Polizisten hatten den Mann am 11. Mai 2002 nach einem lauten Familienzwist aus seiner Wohnung gezerrt, in Gewahrsam verbracht und mit Tritten und Schlägen schwer misshandelt, so dass er schließlich ins Koma fiel. Schwere Verletzungen stellten Ärzte anschließend fest, darunter »ein deutlich geformtes, frisches Hämatom nach Art eines Schuhsohlenabdruckes« in seinem Gesicht.

Der Fall wurde bekannt, weil eine Polizistin und ein Polizist nicht bereit waren, das Verhalten ihrer Kollegen zu vertuschen. Sie traten vor Gericht als Hauptbelastungszeugen auf und verglichen das Vorgehen der angeklagten Polizisten mit »SS-Methoden«. Auch hatte Stephan Neisius viele Freunde, die Öffentlichkeitsarbeit leisteten. Das Verfahren erregte in ganz Deutschland Aufmerksamkeit, es wurde als »Kölner Polizeiskandal« bekannt. Sechs Kölner Beamte wurden schließlich wegen »Körperverletzung mit Todesfolge« zu Bewährungsstrafen verurteilt. Neisius jedoch wachte nie wieder auf. Zwölf Tage nach den Misshandlungen erlag er seinen Verletzungen.